- Lexikon
- Geschichte
- 7 Von der Reformation bis zum Absolutismus
- 7.5 Der Dreißigjährige Krieg 1618-1648
- 7.5.3 Der Westfälische Frieden von 1648
- Die Entstehung des Völkerrechts
Hier zeigt sich schon, dass das Völkerrecht nur unter bestimmten Voraussetzungen funktionieren kann. Zunächst benötigt man eine Vielzahl von Staaten, die sich gleichberechtigt gegenüberstehen. Zwischen ihnen muss ein gewisser gegenseitiger Verkehr und Austausch bestehen (ansonsten bedürfen sie keiner inter-zwischen-nationalen Regelungen). Letztlich müssen diese souveränen Staaten eine Übereinstimmung bei allgemeinen Rechtsgrundsätzen haben. Liegt diese allgemeine Übereinstimmung nicht vor, wird sich ein Staat auch nicht an die Vorschriften des Völkerrechts halten, da sie ja seinem Rechtsempfinden und vor allem seiner internen Rechtspraxis zuwider laufen würden.
Die Anfänge des so verstandenen Völkerrechts reichen bis in die Antike zurück. Im klassischen Griechenland fühlten sich die Stadtstaaten untereinander verwandt, gleichsam als befreundet. Allerdings bestand auch hier die Frage, welches Recht untereinander gelten soll. Die Beziehungen der Griechen nach außen, z. B. zum Perserreich fanden auf gleichberechtigter Ebene statt.
In dieser Zeit wurden Rechtseinrichtungen entwickelt, die heute dem Vertragsvölkerrecht, Fremdenrecht und dem Recht der internationalen Organisationen entsprechen würden (z. B. gemeinsame Streitmacht der griechischen Stadtstaaten zum Schutz des Heiligtums von Delphi).
Zu Zeiten des Römischen Reiches fanden sich völkerrechtliche Bestimmungen in den ius fetiale. Die fetiales waren eine Priesterkaste. Sie entschied darüber, ob ein Krieg gerecht ist. Sie waren für die förmliche Kriegserklärung zuständig, ebenso wie für den Friedensschluss und das Gesandtschaftswesen.
Das Römische Reich hatte wenige Beziehungen auf der Grundlage des Völkerrechts, da es nur wenige souveräne Staaten neben dem Römischen Reich gab, mit denen dieses in Beziehungen stand. Vielmehr wurde ein Recht für die Verhältnisse von Römern zu Nichtrömern sowie von Nichtrömern untereinander entwickelt. Dieses Recht war weit weniger formstreng als das römische Recht (ius civile). Vielmehr enthielt es Grundsätze, die nach damaliger Überzeugung allen Menschen gemeinsam seien. Man nannte dieses Recht ius gentium, das in seiner Übersetzung als Völkerrecht seit Beginn der Neuzeit als Bezeichnung des Rechts zwischen souveränen Staaten verwendet wird.
Nach dem Zerfall des Römischen Reiches hatte das Völkerrecht eine breitere Grundlage gefunden, denn nunmehr gab es viele souveräne Staaten. Hierbei war es unerheblich, dass der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation die Oberhoheit beanspruchte, da z. B. bereits die Könige von Frankreich und England diesen Anspruch nur noch als leere Floskel ansahen.
Durch die Zeit der Kreuzzüge (1095–1291) beschäftigte sich das Völkerrecht mit einem wesentlichen Gebiet – dem Kriegsvölkerrecht. Es galt zu klären, ob und wie Beziehungen zwischen beiden Lagern möglich sind, Waffenstillstands- und Friedensverträge zu schließen sind. Ein weiterer Denkansatz war die Frage, ob die europäische Christengemeinschaft eine moralische Berechtigung zum Heiligen Krieg haben konnte. THOMAS VON AQUINO entwickelte die Lehre vom gerechten Krieg, wonach eine Verteidigung gegenüber einem militärischen Angriff oder eine Verteidigung von Rechten jedenfalls einen Krieg rechtfertigen können. Diese Lehre entwickelte er anhand der Erörterung von Einzelfällen, womit ihm der Schritt von moralphilosophischen Erwägungen hin zur Diskussion völkerrechtlicher Probleme gelungen ist.
In der darauffolgenden Zeit wurde der Kaiser geschwächt, und einzelne Stadtstaaten erstarkten. Im Westfälischen Frieden wurde der großen Zahl der Reichsstände die Befugnis erteilt, mit Mächten außerhalb des Reiches zu kontrahieren, d. h. in Beziehung zu treten, Verträge zu schließen oder sich zu bekämpfen.
Gleichzeitig konnte auch der Kaiser im Namen des Reiches nach außen treten. Der Papst war nicht mehr die von allen anerkannte Autorität des christlichen Abendlandes. Es entfiel seine Rolle als Rechtssetzer für die politischen Machthaber, wie auch seine Rolle als Landverteiler und Streitschlichter. Der Westfälische Frieden gab den Fürsten eine diplomatische Handlungsfreiheit in die Hände, wodurch sich ihnen ein weites Feld für die Gründung und Änderung von Allianzen und Koalitionen bot. Dies wird als erster Schritt gewertet in die heute noch international gepflegte Praxis von Vertragsschlüssen und Bündnisvereinbarungen durch souveräne Staaten miteinander.
Die Christen führten untereinander Krieg um den richtigen Glauben, wobei auf jeder Seite behauptet wurde, einen gerechten Krieg zu führen. Dies hat die Idee des gerechten Krieges diskreditiert. Es wurde nunmehr ein Gleichgewicht von sich gegenseitig kontrollierenden Koalitionen wertneutral betrachtet, aber vor allem wurde dieses Gleichgewicht der Kräfte als verlässliche Friedensgarantie eingeschätzt (Friede von Utrecht 1713).
Diese Gleichgewichtspolitik trug zu einer relativ langen Friedensphase in Europa bei. Zwar wurden auch zwischen dem 17. und 20. Jahrhundert viele Kriege geführt, aber sie führten die einzelnen Kriegsparteien nicht an den Rand der staatlichen Existenz. Die Ansicht des wertneutralen Charakters eines Krieges wurde aus diesem Grund weiter vertreten. Die Zusammenarbeit der Großmächte Frankreich, Großbritannien, Italien, Österreich usw. wirkte sich dabei in besonderem Maße friedenserhaltend aus.
Die wertneutrale Sicht auf den Krieg wurde nach Beendigung des Ersten Weltkriegs nicht mehr aufrecht erhalten. Die Öffentlichkeit verlangte danach, künftige Konflikte mit friedlichen Mitteln auszutragen. Dies führte zur Gründung des Völkerbundes. Als internationale Organisation zur Wahrung des Friedens vertrat der Völkerbund nunmehr die Ansicht, dass nur ein Krieg in Verteidigung gegen einen bereits begonnenen militärischen Angriff ein gerechter Krieg sein kann. Die übrigen Mitglieder des Völkerbundes verpflichteten sich wegen des Grundsatzes der kollektiven Sicherheit (der als Abschreckung für mögliche Angreifer diente) dem Opfer eines Friedensbruchs beizustehen, als ob der Angreifer einen jeden von ihnen auch angegriffen hätte. Allerdings blieb jeder Staat für sich berechtigt zu entscheiden, ob ein Friedensbruch vorliegt. Darüber hinaus hatte der Völkerbundpakt vorgesehen, dass beispielsweise deutsche Kolonien, deren Bevölkerungen noch nicht im Stande waren sich unter „...den Bedingungen der heutigen Welt“ selbst zu führen, nicht als Kolonie, sondern als Mandat des Völkerbunds verwaltet werden sollte. Dadurch wurde der Grundstein für den Gedanken der Selbstbestimmung in den ehemaligen Kolonien gelegt.
Letztlich konnte der Völkerbund aber auch nicht den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verhindern, was unter anderem daran lag, dass die 1919 festgelegten europäischen Grenzen der nationalen Souveränität unzureichend Rechnung trugen. Die Spannungen wurden durch die schwere Wirtschaftskrise und das Scheitern von Abrüstungsgesprächen erhöht. Hier zeigte sich ein großes Dilemma des Völkerrechts :
Wenn ein Staat die getroffenen, als rechtlich bindend anerkannten völkerrechtlichen Regeln verletzt, indem er einen Krieg beginnt, können die Mittel des Rechts dies nicht verhindern oder beenden. Vielmehr wird es zu Verteidigungshandlungen kommen, also unter Umständen zu einer Ausweitung des Kriegs. Allerdings sollte auch nicht übersehen werden, dass der Völkerbund sicherlich auch lange aufgrund seiner Regelungen als Abschreckung für Friedensstörer galt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde mit der Schaffung der UNO eine Weltorganisation gegründet, deren Grundlage auf dem Gewaltanwendungsverbot beruht. Dieses soll wiederum durch das Prinzip der kollektiven Sicherheit (vgl. schon beim Völkerbund) erzwungen werden. Neu ist die Einrichtung des Sicherheitsrat es, der nur einstimmig über die Frage eines Verteidigungsfalles entscheiden kann.
Aufgrund dessen, dass es in der heutigen Zeit eine Vielzahl von souveränen Staaten gibt, die untereinander Handel treiben, Kultur austauschen und vieles mehr, gibt es heute bereits eine unüberschaubare Anzahl internationaler Organisationen, Verträge und internationaler öffentlicher Einrichtungen (z. B. OSZE, EU, EFTA, OPEC).
Bei alledem wie sich das Völkerrecht entwickelt hat, bleibt auch heute noch festzustellen, dass die Bindung der Staaten ans Völkerrecht nicht so stark ist wie ans innerstaatliche Recht. Dies wird mit dem Fehlen einer höheren Instanz und von Sanktionsnormen begründet. Das ist sicherlich ein Aspekt, der aber vom Grundsatz der kollektiven Sicherheit, würde er konsequent umgesetzt werden, weithin neutralisiert würde. Hier erscheint der Charakter des Handelnden, die Bereitschaft seine eigenen Interessen durchzusetzen mit allen Mitteln als ein wesentlicher Punkt. Viele Völkerrechtler verweisen in diesem Zusammenhang auf das Strafrecht. Denn es gibt auch weiterhin Straftaten, trotzdem es Sanktionsnormen und eine höhere Instanz – das Strafgericht – gibt.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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