Keilschrift

Im 17. Jahrhundert prägte der deutsche Entdeckungsreisende ENGELBERT KAEMPFER den Namen Keilschrift für die unverständlichen Inschriften auf altorientalischen Säulen, Stelen, vor allem aber auf gebrannten Tontafeln. Ausschlaggebend für diesen Namen war das Aussehen der Schriftzeichen, denn die Schrift bestand aus gut erkennbaren dreieckigen keilförmigen Grundelementen.
Beim „Schreiben“ wurden die Worte als bedeutungstragende Zeichen jeweils aus mehreren dieser Grundelemente in unterschiedlicher Kombination gebildet bzw. zusammengesetzt.

Schreibgerät war ein aus Schilfrohr geschnittener Griffel mit dreieckigem Querschnitt. Als Schreibmaterial dienten handgroße Tontafeln. Die Keilform der Schriftelemente entstand dadurch, dass in die Oberfläche dieser weichen Tafeln mit dem Rohrgriffel Vertiefungen für Zahlen und Linien für Schriftzeichen eingedrückt wurden, auf deren Form und Bedeutung man sich geeinigt hatte.
Nach Fertigstellung der Texte wurden die Schreibträger dann zu dauerhaften Tontafeln gebrannt.

Anfänge und Vorformen der Keilschrift

Bereits im 4. Jahrtausend v. Chr. wurden in den frühen Tempelwirtschaften der Sumerer in Mesopotamien Tonnachbildungen von Tieren und Gegenständen als sogenannte Zählsteine für die Buchführung über Herden oder in Nahrungsmittelspeichern verwendet.
Für alle Gegenstände, z. B. Schafe, Ochsen oder Esel, gab es Zählsteine. Sie unterschieden sich voneinander durch jeweils typischen Formen und Markierungen auf ihrer Oberfläche. Mit der leichten Veränderung der Form eines Zählsteins und der Markierungen auf ihm konnte man den betreffenden Gegenstand sogar noch genauer kennzeichnen, beispielsweise ob es sich bei Schafen um Mutterschafe, Böcke oder Lämmer handelte.

Die nächste wichtige Etappe auf dem Weg zur Keilschrift war die Ersetzung der Zählsteine durch die Wiedergabe entsprechender Bildsymbole, sogenannter Piktogramme, auf Tontafeln. So wurde der Gegenstand „Schaf“ durch ein kreisförmiges Piktogramm repräsentiert, das von zwei gekreuzten Linien in vier Segmente geteilt wird. Alle wichtigen Gegenstände, Geräte usw. erhielten solche konkreten Bildsymbole zugeordnet. Die Zahl der betreffenden Objekte wurde unmittelbar neben dem Piktogramm auf dem Schriftträger festgehalten.

Die sumerische Schriftrevolution

Die Entwicklung der Keilschrift aus den gekennzeichneten Vorformen um 2700 v. Chr. in Sumer stellt in der Menschheitsgeschichte eine kulturelle Revolution dar. Zur Keilschrift führte dabei die Kombination zweier Faktoren:
Die Bildzeichen bzw. Piktogramme erhielten erweiterte Bedeutungen. Sie repräsentierten nicht mehr nur bestimmte Objekte, sondern auch Abstraktionen, wie Ideen oder Tätigkeiten. Das Zeichen für „Fuß“ konnte auch die Bedeutungserweiterungen „gehen“, „bringen“ oder „Marsch“ erhalten. Es wurde damit vom reinen Piktogramm zum Ideogramm. Auf diese Weise entwickelte sich eine Bilderschrift, die der ägyptischen Hieroglyphenschrift verwandt war, die um die gleiche Zeit entstand.

Auf einer nächsten Entwicklungsstufe der Keilschrift kam noch eine dritte Bedeutungserweiterung der Zeichen hinzu: Sie konnten nun auch für einen phonetischen Klang stehen. Als Phonogramme besaßen nun beispielsweise das Zeichen für „großer Fluss“ den Lautwert für den Vokal „a“ und das Zeichen für „Mensch“ den Lautwert der Silbe „gu“.

Bild


Der zweite Faktor neben der Bedeutungsveränderung der Schriftzeichen war der parallel dazu verlaufende Prozess der Veränderung der Zeichen selbst.
Die Zeichen entwickelten sich immer weiter vom Abbild des Gegenstands weg und nahmen immer abstraktere Formen an. Dabei wurden die durchgehend gezeichneten und z. T. schön geschwungenen Linien der frühen Bilder zunehmend durch Kombinationen kleiner keilförmiger Eindrücke abgelöst.
Das wurde durch den Austausch des bisherigen spitzen Schreibstiftes gegen den schon gekennzeichneten Schreibgriffel möglich, mit dem sich die keilförmigen Abdrücke erzeugen ließen.
Um die Schreibschnelligkeit zu erhöhen, wurde die Schriftrichtung der Keilschriftzeichen von der vormaligen Senkrechten um 90° in die Waagerechte gedreht. Gelesen wurde die Keilschrift auf dieser Stufe wie unsere Buchstabenschrift von links nach rechts.

Auf diese Weise entwickelte sich die Keilschrift zu einer gut schreib- und lesbaren Silbenschrift, die sogar schon Satzzeichen enthielt. In ihrem ausgereiftesten Stadium kam die Keilschrift als fast reine Silbenschrift mit nur noch rund 600 der ursprünglich 2000 Schriftzeichen aus.
In dieser Form war sie auch nicht mehr allein an die sumerische Sprache gebunden, sondern konnte in andere Sprachen übertragen werden.

Keilschrift und Hochkultur

Der Entwicklung der Keilschrift war für die altorientalischen Hochkulturen eine ihrer wichtigsten Grundlagen. Sie ermöglichte es, über die traditionelle Buchhaltung hinaus auch sprachliche Äußerungen festzuhalten und in unveränderter Form weiterzugeben:
Erst durch die Schrift wurde die effektive Verwaltung des Staates möglich. So konnten Gesetze jetzt der Bevölkerung überall öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein Beispiel dafür ist die Gesetzesstele des Kodex HAMMURAPI.
Die Schrift war aber auch ein wichtiges Instrument

  • in der Wirtschaft,
  • im Handel und
  • auf kulturellem Gebiet.

Verträge konnten nun dauerhaft und unbezweifelbar abgeschlossen werden. Und das Gilgamesch-Epos, mit dem die Geschichte der Weltliteratur beginnt, wäre ohne Schrift kaum überliefert worden.
Schließlich ermöglichte die Schrift auch die Geschichtsschreibung, den Übergang zur auf schriftlichen Überlieferungen basierenden Geschichte.

Die Verbreitung der Keilschrift

Verbreitung: Die Keilschrift wurde zunächst von den anderen Völkern Mesopotamiens, u. a.

  • den Akkadern,
  • Assyrern und
  • Babyloniern,

von ihren sumerischen Erfindern übernommen.
Die ersten Räume außerhalb Mesopotamiens waren ab 2 500 v. Chr. das Gebiet der syrischen Stadtstaaten und das südiranische Reich von Elam. Später kamen noch die Hethiter in Anatolien und weitere Völker des Alten Orients dazu. Die Keilschrift war hier viele Jahrhunderte lang die Grundlage des diplomatischen Schriftverkehrs. Selbst die Kanzleien der ägyptischen Pharaonen kommunizierten mit ihren vorderasiatischen Partnern mit Texten in Keilschrift.
Im Verlauf des letzten vorchristlichen Jahrtausends verlor die Benutzung der Keilschrift schließlich an Bedeutung. Sie wurde nach und nach von den noch leichter erlern- und anwendbaren Buchstabenschriften, wie den Schriften der Phönizier, Hebräer oder Griechen, abgelöst.

Die Entzifferung der Keilschrift

Ebenso wie die Kenntnis der ägyptischen Hieroglyphen ging die Fähigkeit zum Lesen von Keilschrifttexten verloren.
Der schleswig-holsteinische Gelehrte CARSTEN NIEBUHR (1733–1815, Abb.) war der erste, der von seiner Entdeckungsreise im Orient exakte Kopien der nicht mehr lesbaren Keilschrift mitbrachte. NIEBUHR publizierte im Jahre 1788 Ausschnitte davon.

Den Schlüssel zur Entzifferung der Keilschrift fand der Göttinger Gymnasiallehrer GEORG FRIEDRICH GROTEFEND erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts:
GROTEFEND verglich Namen in Textinschriften, die aus der Residenz der persischen Großkönige Persepolis stammten. Bekannt war, dass es sich bei diesen Texten um die Aufzählung königlicher Ahnenreihen handelte, von denen man einige kannte. Durch Vergleich der Inschriften konnte GROTEFEND erstmals die Lautwerte von Keilschriftzeichen bestimmen und damit Teile der Inschriften entziffern.

Den endgültigen Durchbruch bei der Entschlüsselung der Keilschrift brachte im Jahre 1837 dann die Entdeckung einer Inschrift des persischen Großkönigs DARIUS I. Der Brite HENRY RAWLINSON. hatte sie auf einer Felswand bei Behistun im Iran gefunden. In der dreisprachig (babylonisch, elamisch und altpersisch) verfassten Nachricht hatte der Großkönig die Grenzen seines Reiches festgehalten und seinen Gott Ahura Masda um Schutz gebeten.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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