Palladianismus

Herkunft und Kennzeichen des Palladianismus

Die theoretische Grundlage des Palladianismus bilden die 1570 von ANDREA PALLADIO (1508–1580) veröffentlichten „Il quattro libri dell' architectura ...“, durch die vor allem seine venezianischen Villenentwürfe verbreitet wurden.

In Italien blieb der Stil als Gegenströmung zum römischen Barock auf Venetien beschränkt und auf die unmittelbaren Nachfolger PALLADIOs, so VINCENZO SCAMOZZI (1548–1616), und in der Folge BALDASSARE LONGHENA (1596–1682; in seinen einfacheren Bauten) sowie GIORGIO MASSARI (1687–1766), DOMENICO ROSSI (1659–1715) und OTTAVIO BERTOTTI-SCAMOZZI (1719–1790). Seine Einflüsse wurden in der französischen Architektur des 17. Jh. zu einem barocken Klassizismus verarbeitet.

In den protestantischen Ländern Nordeuropas wurde der Palladianismus aufgrund seiner dem kirchlichen Stil des römischen Barock entgegengesetzten Grundhaltung aufgegriffen. Seine Hauptvertreter in den Niederlanden waren JACOB VAN CAMPEN (1595–1657), PIETER POST (1608–1669) und PHILIP VINGBOONS (1607 oder 1608–1678).

Niederländische Einflüsse gelangten nach England, wo der Palladianismus seit dem frühen 17. Jh. durch INIGO JONES (1573–1652) seine umfassendste Verbreitung fand. Er fand zunächst beim Bau staatlicher Repräsentationsbauten Anwendung. Während des 18. Jh.s wurde der Palladianismus zum bevorzugten Stil für Landsitze des englischen Adels, ebenso wie in den britischen Kolonien in Nordamerika.

In Deutschland wirkte sich der Palladianismus besonders auf Bauten von GEORG WENZESLAUS VON KNOBELSDORFF (1699–1753), FRIEDRICH WILHELM VON ERDMANNSDORFF (1736–1800) und SIMON LOUIS DU RY (1726–1799) aus.

Englische Möbelbaukunst

In England bestand eine Tradition der noblen und nüchternen Gliederung. Das Rokoko im Sinne des europäischen Festlandes hatte in Architektur und Dekorationskunst zwar weniger Erfolg, zeigte aber Einflüsse. So bildete sich eine Möbelbaukunst auf bürgerlicher Grundlage aus – das sogenannte Chippendale.

Dieser neue Stil wurde von THOMAS CHIPPENDALE (1718–1779) besonders für Sitz- und Schreibmöbel geschaffen. Durch sein Vorlagenwerk „The gentleman and cabinet maker's director“ (1754) gewann sein Stil große Verbreitung. Gute Proportionen und Zweckmäßigkeit sind für seine in Mahagoni ausgeführten Möbel charakteristisch. In den Ornament verwertete er Motive des französischen und ostasiatischen Rokokos.

Englische Stadtplanung

Im 18. Jh. kam der vornehme südwestenglische Kurort Bath in Mode. Der Architekt JOHN WOOD DER ÄLTERE (1704–1754) realisierte eine großzügige Stadtplanung mit regelmäßigen Platzanlagen und vereinheitlichten Fassaden mit Kolossalordnung im Stil des englischen Palladianismus.

Der quadratische „Queen Square“ (1729–1736), der kreisförmige „Circus“ (1754 ff.) sowie der als Halboval zum Park geöffnete „Royal Crescent“ (1764–1774) sind durch geradlinige Straßenzüge verbunden und bilden ein einzigartig geschlossenes Ensemble.

Der englische Landschaftsgarten

In England entstand um 1720 eine ganz neue, revolutionäre Kunstform: der Landschaftsgarten. Man taucht ein in eine andere Welt, in der man enger an den Quellen des Lebens zu sein scheint.

Der Garten ist nun nicht mehr in geometrische Formen und Formeln gezwängt. Es scheint alles freie Wachstum erlaubt zu sein. Und doch ist auch der Landschaftsgarten ganz bewusst und künstlich angelegt, um die Bauwerke – meist antikischem Zuschnitt nach römischem Vorbild oder im Sinne des PALLADIOs – in der floralen Rahmung oder gewollten Spiegelung innerhalb einer organisierten Sichtachse wirken zu lassen.

Der neue englische Landschaftsgarten war ebenfalls ein Zeugnis gegen das barocke System, das der Garten von Versailles verkörperte. Die neue bourgeoise Oberschicht mit großem Landbesitz wurde zu Initiatoren der englischen Landschaftsgärten als ein Symbol der Freiheit, in denen sie der Natur ihren Lauf ließen und sie nur unmerklich zu verbessern anstrebten.

Die sogenannten Lustschlösschen

Auf dem Kontinent war die Situation anders. Abseits der herrschaftlichen Schlösser und Hauptachsen der barocken Gartenanlagen findet man das, was nun zur eigentlichen Aufgabe der Architekten geworden war: Es sind die Lustgebäude.

Im großen Barockgarten von Schloss Nymphenburg in München baute der Kurfürst von Bayern, KARL ALBRECHT (1697–1745), gerade als Aussichten bestanden, dass er zum deutschen Kaiser gewählt würde, eine solche „maison de plaisance“. Nicht zufällig handelte das damals berühmteste und viel gelesene Buch des Pariser Architekten JACQUES-FRANÇOIS BLONDEL (1705–1774), in dem die Grundbegriffe der modernen Architektur benannt sind, von den „maisons de plaisance“.

Im Park des Schlosses Nymphenburg (München) entstand zwischen 1734–1739 eines der schönsten Lustschlösschen dieser Zeit: Während das Äußere des ebenerdig-eingeschossigen Bauwerkes durch Zurückhaltung und fast schon klassizistische Formensprache besticht, scheint im Inneren alles Spiel. Zum Eindruck des Unwirklichen trägt vor allem das Ornament bei.

Der überkuppelte Mittelsaal der Amalienburg ist ein Spiegelkabinett, in dem Wandöffnungen mit Spiegeln wechseln, in dem kaum zu unterscheiden ist zwischen dem Blick nach außen und dem immer wieder reflektierten Innenraum. Dadurch ist die Raumgrenze – auch weil sie so extrem ornamentiert ist – unbestimmt geworden. Es ist der architektonische Rahmen geschaffen für eine Gesellschaftsschicht, die völlig aufgeht in einer spielerischen und gespielten Existenz; für eine Gesellschaft wie aus einem Bild WATTEAUs (1684–1721).

Im Grundriss besitzt die Amalienburg eine Raumfolge wie sie typisch ist für das barocke Schloss: Den repräsentativen Mittelbau flankieren niedrigere Seitenflügel. Aber das Ganze scheint wie in einem Witz ironisch verkleinert. Mit der Idee des Schlosses wie auch mit dem Namen wird ein Spiel getrieben: Das Lustschlösschen ist eine Bagatelle und erst recht keine Burg.

Am Ende der kurzen Raumfolge der Amalienburg gibt es auf der einen Seite eine „Hundekammer“. In den viel zu kurzen rundbogigen Bodennischen des weiß getäfelten, reich mit Lackmalerei dekorierten Raumes hat mit Sicherheit kein Jagdhund verweilt. Schließlich ist aber diese „maison de plaisance“ dem Thema Jagd gewidmet. Gegenüber liegt eine Küche mit recht aufschlussreicher Ausstattung. Sie ist mit holländischen Kacheln ausgekleidet. Küchengerätschaften auf dem abzugslosen Herd sind bis heute erhalten. Aber die Dinge können nicht benutzt werden – sie sind überdimensioniertes Spielzeug einer großen Puppenstube.

 Schloss Amalienburg (1734–1739) im Münchener Stadtteil Nymphenburg

Schloss Amalienburg (1734–1739) im Münchener Stadtteil Nymphenburg

Palladianismus - Schloss Amalienburg

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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