Improvisation

In Europa wurde Musik erstmals im 7./8. Jahrhundert schriftlich dargestellt; in den folgenden Jahrhunderten fand eine starke Hinwendung zur Schriftlichkeit und damit zum fixierten Werk statt. In vielen außereuropäischen Kulturen gibt es dagegen bis heute keine schriftliche Aufzeichnung von Musik. Allerdings ist Musik, die mündlich überliefert wird, nicht notwendigerweise improvisiert. Musiktradition kann auf festen musikalischen Bestandteilen beruhen, die über Generationen weitervermittelt und nur im geringen Maße improvisatorisch abgewandelt werden.

Merkmale der Improvisation sind Unwiederholbarkeit und Vergänglichkeit. Dies gilt allerdings im Zeitalter der Tonaufnahme nur noch eingeschränkt: Soli berühmter Jazzmusiker können heute aufgenommen, transkribiert, analysiert und nachgespielt werden.

In der europäischen Musiktradition ist die Improvisation auf vielfältige Weise verankert und stand in ständigem Austausch mit ihrem Widerpart, der Komposition.

  • Improvisation: Der Improvisator hat das gesamte kompositorische Repertoire als Fundgrube zur Verfügung. Er erfindet Musik nicht „aus dem Nichts“, sondern bedient sich verschiedener Stile, Formen und Gattungen und setzt sie auf neue, individuelle Weise zusammen. Die Anteile der erlernten, vorgefertigen Elemente einerseits und die der spontanen Erfindung andererseits können unterschiedlich groß sein.
     
  • Komposition: Kompositionen entstanden oft als Folge einer Improvisation, gewissermaßen als deren schriftlich fixierte Überarbeitung. Im 18. Jh. „präludierte” ein Musiker, um sich und den Hörer auf das Konzert, die kirchliche Handlung, das folgende Musikstück einzustimmen oder um das Instrument kennenzulernen. Ohne einen festen Plan spielte er Läufe, Akkordbrechungen oder freie Harmoniefolgen. Solche „Präludien“ entwickelten sich später zu einer Kompositionsgattung.

CARL PHILIPP EMANUEL BACH (1714–1788), zweitältester Sohn von JOHANN SEBASTIAN BACH und „Cammer-Musikus“ am Hofe FRIEDRICHs des Großen, beschrieb 1762 in seinem Buch „Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen“ die Improvisationspraxis seiner Zeit:

§. 5. Es giebet Gelegenheiten, wo ein Accompagnist nothwendig vor der Aufführung eines Stückes etwas aus dem Kopfe spielen muß. Bey dieser Art der freyen Fantasie, weil sie als ein Vorspiel angesehen wird, welches die Zuhörer zu dem Inhalt des aufzuführenden Stückes vorbereiten soll, ist man schon mehr eingeschränkt, als bey einer Fantasie, wo man, ohne weitere Absicht, blos die Gesschicklichkeit eines Clavierspielers zu hören verlanget.

Improvisation heute

Während die Improvisation in der europäischen Aufführungspraxis bis ins 19. Jahrhundert hinein einen festen Platz hatte, verschwand sie danach völlig aus den Konzertsälen. Selbst die Kadenzen in Klavier- und Violinkonzerten der Klassik, zur Zeit ihrer Entstehung noch Ort spontanen Phantasierens, werden heute als komponierter Bestandteil des Werkes gespielt.

Gründe für das Verschwinden der Improvisation sind die zunehmende Komplexität mehrstimmiger Komposition und die Größe musizierender Ensembles, die eine Koordination mittels schriftlicher Fixierung nötig macht. Zudem hat sich die Form der Musik 19. Jahrhundert zu großen architektonischen Gebilden entwickelt, die der Idee der Improvisation als Gestaltung des musikalischen Augenblicks grundsätzlich entgegenstehen.

Im Jazz wie in außereuropäischen Musikkulturen, in denen Improvisation eine Rolle spielt, bietet sie die Möglichkeit der Darstellung von Nuancen, die mit Hilfe der Notation nicht darstellbar sind, wie feine Schwankungen der Tonhöhe und Tongebung, wie im Blues, oder Zwischenstufen zwischen den Tonhöhen einer Materialskala, wie in indischen Ragas.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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