Das Wort „Motiv“ leitet sich vom lateinischen motivus ab, was sich mit „beweglich“ übersetzen lässt. Es steht allgemein für einen Beweggrund, einen Antrieb, eine Ursache oder einen Zweck.
In der musikalischen Formenlehre bezeichnet der Begriff die kleinste Sinneinheit und Triebkraft einer Komposition. Das Motiv ist charakterisiert durch eine prägnante Tonfolge, die entweder für eine ganze Komposition oder einen Formteil der Komposition von Bedeutung ist. Es ist abzugrenzen von Tonfolgen, die für die eigentliche Entwicklung eines musikalischen Werkes keine Relevanz haben. Dazu gehören Übergänge, Schlussfloskeln, Begleitfiguren, Figurationen, Verzierungen usw., die sich unter der Kategorie „Figur“ zusammenfassen lassen.
Die Länge von Motiven ist unterschiedlich. Es sollte jedoch mindestens aus zwei Tönen bestehen, wie beispielsweise das Jagdmotiv mit seiner aufsteigenden Quarte oder das Kuckucksmotiv mit der absteigenden kleinen Terz. Längere Motive können entweder in ihrem gesamten Umfang betrachtet werden oder noch einmal in Teilmotive zerlegt werden. Dabei sollten immer die Motivstruktur und der weitere Verlauf des Werkes im Auge bleiben.
Eine Abgrenzung zwischen einzelnen Motiven wird meist durch Wiederholungen, Phrasierungseinschnitten, Pausen und anderen Zäsuren deutlich gemacht. Selten ist sie mit der Taktgliederung identisch. Das Motiv wird durch die drei Grundelemente der Musik – Melodie, Harmonie und Rhythmus – bestimmt. Sie können unterschiedlich stark hervortreten. Während beispielsweise in einstimmigen Liedern das Motiv hauptsächlich durch die Melodie und den Rhythmus bestimmt ist, wird in mehrstimmigen Instrumentalsätzen auch das harmonische Gefüge das Bild des Motivs prägen.
Die Verarbeitung eines Motivs ist abhängig vom Stil des Musikstücks, in dem es vorkommt. In diesem Zusammenhang werden zwei Haupttypen von Motiven unterschieden: das „Fortspinnungsmotiv“ und das „Entwicklungsmotiv“.
Das Fortspinnungsmotiv tritt vorrangig in der polyphonen Musik bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts auf. Es beruht auf der linearen Melodik des mittelalterlichen Kirchengesangs. Die noch einstimmige Melodie des Eingangsmotivs wird meist ohne größere Unterbrechungen weitergesponnen bis ein neues Motiv auftaucht, das in ähnlicher Weise fortgeführt wird.
Durch solche Motivfortspinnungen fällt es oft schwer, das eigentliche Motiv abzugrenzen. Es entstehen fast nie symmetrische Abläufe im formalen Aufbau.
Das Entwicklungsmotiv steht in der homophon orientierten Musik des 18. und 19. Jahrhunderts im Vordergrund. Durch die melodische, rhythmische und harmonische Gestalt lässt es sich klar vom folgenden Motiv trennen. In der Regel orientiert sich sein Aufbau an symmetrischen Zwei-, Vier- oder Achttaktgruppen.
Das Entwicklungsmotiv erscheint im Verlauf des Werkes in veränderter Gestalt, aber die ursprüngliche Form bleibt erkennbar und nachvollziehbar. Die einzelnen Umbildungsformen des Ausgangsmotivs stellen die jeweiligen Stufen der Motiventwicklung innerhalb der Komposition dar.
Das Entwicklungsmotiv bleibt also nicht nur Ausgangspunkt von Entwicklung -wie das Fortspinnungsmotiv-, sondern trägt selbst zu dieser bei. Die Möglichkeiten der motivischen Verarbeitung lassen sich hier am besten untersuchen, da das Motiv gut abgegrenzt ist und seine rhythmische sowie die melodische Struktur auch in veränderter Form noch deutlich sichtbar bleibt.
Die Grundlagen jeder motivischen Verarbeitung sind: Wiederholung, Variierung oder Kontrast. Dabei ist es vom musikalischen Genre, vom Stil und von der Gattung abhängig, welches Prinzip vorwiegend verwendet wird.
Bei der Wiederholung sind zu unterscheiden zwischen
Ein besonderer Fall der wörtlichen Wiederholung ist das Ostinato (von ital. ostinato = starr- und eigensinnig, hartnäckig, entschlossen). Hier wird das Motiv über lange Strecken hinweg mehrmalig und unverändert in einer Stimme wiederholt.
Bei der Sequenz werden zwei Formen unterschieden. Die sogenannte reale Sequenz wiederholt das Motiv intervallgetreu auf einer anderen Tonstufe.
Werden aber Intervalle der ursprünglichen Tonfolge verändert, um die Ausgangstonart nicht zu verlassen, spricht man von tonaler Sequenz.
Das Variationsprinzip steht für die veränderte Wiederholung des Ausgangsmotivs. Sie beruht auf der Veränderung der drei Grundelemente der Musik: Melodie, Harmonie und Rhythmus. Werden nicht nur Motive variiert, sondern auch größere Formteile, Sätze sowie Lied- und Instrumentalthemen entsteht der Formtyp Variation.
In melodischer Hinsicht gibt es drei grundsätzliche Möglichkeiten den ursprünglichen Melodieverlauf zu verändern:
Um die Tonart möglichst nicht zu verlassen, gibt es bei der Umkehrung und beim Krebs die Möglichkeiten von realer und tonaler motivischer Verarbeitung.
Rhythmisch können die folgenden Veränderungen auftreten:
Der Rhythmus des gesamten Motivs kann entweder vergrößert (Augmentation) oder verkleinert werden (Diminution). Dabei werden die einzelnen Töne meist auf doppelte oder vierfache Werte ausgedehnt bzw. vermindert. Es gibt aber auch die Möglichkeit nur einzelne Töne des Motivs zu augmentieren bzw. zu diminuieren.
Die melodischen und rhythmischen Umbildungen können gleichzeitig auftreten. In einem solchen Fall wird das Motiv so abgewandelt und verändert, dass die Bezüge zum Ausgangsmotiv immer lockerer werden und oft kaum noch zu erkennen sind.
Beim Kontrastprinzip tritt dem ursprünglichen Motiv ein Kontrast- oder Konfliktmotiv entgegen. Es bringt neues Material mit und erzeugt durch den Gegensatz zum Ausgangsmotiv interessante Spannungsverhältnisse für den weiteren Werkverlauf.
Das Wort „Thema“ kommt aus dem Griechischen und wird übersetzt mit: Satz, abzuhandelnder Gegenstand oder das (Auf)gesetzte. Im Allgemeinen bedeutet es: Aufgabe, Gegenstand, Leitgedanke und zusätzlich beinhaltet es die Möglichkeit zur Ver- bzw. Bearbeitung fähig zu sein.
In der musikalischen Formenlehre bezeichnet der Begriff „Thema“ den Hauptgedanken einer Komposition. Dieser Grundgedanke tritt deutlich hervor und trägt eine charakteristische melodische, rhythmische und harmonische Gestalt. Das Thema ist meist aus mehreren Motiven zusammengesetzt, die es untergliedern. Während ein Motiv aus wenigstens zwei Tönen besteht, erstreckt sich ein Thema über mehrere Takte.
Da der formale Aufbau des Themas vom musikalischen Stil, der Zeit und seinem Erscheinungsort abhängig ist, werden zwei Hauptformen unterschieden: das „geschlossene Thema“ und das „offene Thema“.
Ein geschlossenes Thema ist meist symmetrisch aufgebaut und in sich abgeschlossen. Es bestimmt die Musik der Klassik des 18. und 19. Jahrhunderts. Bei den zugrunde gelegten Motiven handelt es sich um Entwicklungsmotive.
Ein offenes Thema ist in der Regel kürzer und vorwiegend asymmetrisch geformt. Es prägt die polyphonen Werke der barocken Musik bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts. Sein offenes Ende entspricht dem offenen Schluss des zeitgleichen Fortspinnungsmotiv. Oft ist das Thema mit einem solchen Motiv identisch.
Innerhalb der Musikgeschichte lässt sich eine zunehmende Bedeutung des Themas als Kernpunkt einer Komposition erkennen. Es dient als formbildendes Mittel zur Vereinheitlichung. Bereits in den frühen Imitationen des 15. Jahrhunderts beginnt diese zunehmende Bedeutung des Themas, da es in allen beteiligten Stimmen wiederholt wird. Auf diesem Imitationsprinzip beruht auch das durchkomponierte Orgel-Ricercare (ab 2. Hälfte 16. Jh.), das in jedem Abschnitt auf einem einzigen Thema basiert.
Diesem Formtyp schließen sich die Variations-Ricercare GIROLAMO FRESCOBALDIs (1583–1643) an. Hier wird in den verschiedenen Kompositionsabschnitten ein und dasselbe Themas in variierter Form verwendet.
Besondere Bedeutung erlangt das Thema in der barocken Fuge. Hier baut sich in der Regel aus einem einzigen Thema das gesamte Werk auf. (Seltener sind Doppel-, Tripel- oder Quadrupelfugen mit zwei, drei oder vier Themen.)
Dieses Thema eröffnet das Werk und durchläuft in der sogenannten Exposition alle Stimmen. Es bildet also den Ausgangspunkt für die Entwicklung der gesamten Komposition. Als Grundidee der Komposition eröffnet das Fugenthema auch die weiteren Durchführungen, in denen das Thema immer wieder unverändert durch die beteiligten Stimmen geführt wird.
Noch bis ins 18. Jahrhundert wurden Fugenthemen mit dem alten Begriff des Sogettos bzw. des Subjekts bezeichnet. Die Komposition eines solchen Subjekts beruhte aber nicht nur auf originellen und unverkennbaren Ideen des Komponisten. Entscheidend war die satztechnische Eignung. Das Interesse galt den kontrapunktischen Voraussetzungen, die das Thema bot. An diesen Möglichkeiten orientierte sich die zum Thema komponierte Gegenstimme, der Kontrapunkt bzw. das Kontrasubjekt.
Während in der Fuge ein Thema das Werk bestimmt, treten im Sonatensatz der Klassik zwei Themen auf. Es wird zwischen dem ersten Thema (Hauptthema) und dem zweiten Thema (Seitenthema) unterschieden. Beide Themen sind zwar symmetrisch beschaffen, doch in ihrem Charakter, ihrem Aufbau und der Harmonik sind sie voneinander verschieden. Meistens tritt einem kraftvollen Hauptthema ein kantables Seitenthema entgegen. Doch dieser Themengegensatz soll innerhalb des Sonatensatzes überwunden werden, in dem sich die zwei Themen einander annähern. Sie verändern sich im Verlauf des Musikstücks auf tonaler, harmonischer, melodischer und teilweise auch auf rhythmischer Ebene. Diese Wandlungen prägen das Bild der gesamten Komposition. Am Ende sind die Sonatenthemen nicht mehr dieselben wie am Anfang. Aber immer lässt sich ihre Entwicklung nachvollziehen und auf die ursprünglichen Themen zurückführen.
In der Form des instrumentalen Rondos (18./ 19. Jh.) dominiert ein Hauptthema (A) das Werk. Dieses Rondothema erscheint mehrmals. Es verbindet die unterschiedlichen Zwischenteile miteinander, sodass sich die folgende Form ergibt: A-B-A-C-A-D-…-A.
Da dieses Thema die Aufmerksamkeit des Hörers immer wieder aufs Neue fesseln und steigern sollte, muss es eine starke Aussagekraft besitzen. Oft wird es deshalb auch in variierter Form oder in einer anderen Tonart auftauchen. Der ständig wiederkehrende Eintritt des Themas als Grundidee der Komposition ist zwar nicht das einzige, wohl aber das entscheidendste Merkmal der Rondoform.
In der Form der Variation reihen sich mehre Abschnitte oder eigenständige Sätze aneinander, die auf nur einem Thema beruhen. Dabei werden in den einzelnen Variationsabschnitten Veränderungen des ursprünglichen Themas vorgenommen, die sich entweder direkt am Thema orientieren (strenge Variation) oder die nur indirekt auf das Thema gestützt sind (freie Variation). Wieder ist eine Themenidee, die für den gesamten Kompositionverlauf maßgebend ist.
In den großen Formen der Romantik, besonders der Spätromatik, werden thematische Ableitungsprozesse immer entscheidender. Darunter ist ein kompositorisches Verfahren zu verstehen, bei dem mehrere Themen innerhalb eines Werkes auseinander hervorgehen. Die verwendeten Themen setzen sich aus knappen, wandlungsfähigen Motiven zusammen, um möglichst viel Raum für motivische Verarbeitung zu geben.
Doch in welcher Gattung, in welcher Zeit oder an welchem Ort ein Thema erscheint, es ist immer auch Ausdruck der individuellen musikalischen Sprache des jeweiligen Komponisten.
In der atonalen Musik des 20. Jahrhunderts ist es nicht mehr sinnvoll von „Thema“ im ursprünglichen Sinne zu reden. Denn ohne tonale Harmonik und Melodik fehlten die wesentlichen Kräfte, die für eine einheitliche zusammenhängende Themenform sorgten.
In der Zwölftontechnik ARNOLD SCHÖNBERGs (1874–1951) wurde die Form des konkreten Themas, durch die sogenannte Reihe abgelöst. In solchen Reihen ist genau festgelegt, in welcher Abfolge alle 12 Halbtöne im Musikstück erklingen sollten. Dadurch ergeben sich vorgeordnete Ton- und Intervallbeziehungen, die gewissermaßen mit Motiven vergleichbar sind. Auf die Reihe lassen sich auch die Möglichkeiten der motivischen Verarbeitung anwenden. Da ihr aber die musikalisch konkrete Gestalt eines Themas oder eines festgelegten Motivs fehlt, ist es angebrachter bei einer Reihe allein von musikalischer Substanz zu sprechen.
In der seriellen Musik ab den 1950er-Jahren werden zwar die Töne der Reihe noch stärker durchorganisiert als zuvor, doch das thematisch-motivische Denken verliert zunehmend an Bedeutung. Schließlich löst es sich in der Aleatorik seit dem Ende der 1950er-Jahre völlig auf.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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