Sinfonie

Begriffsbestimmung

Die Sinfonie ist spätestens seit LUDWIG VAN BEETHOVENs (1770–1827) neun Sinfonien und der Entfaltung des Konzertwesens dessen zentrale, maßstabsetzende Gattung. Sie entsteht aus relativ bescheidenen Anfängen mit der Emanzipation der Opern-Ouvertüre („Sinfonia“) Ende des 17. Jh. vom Zusammenhang mit der Oper.

Die Bezeichnung „Symphonie“ bzw. „Sinfonie“ ist noch älter. GIOVANNI GABRIELI (1553/56–1612) vereinigte in seinen „Sacrae symphoniae“ (1597) erstmals instrumentale und vokale geistliche Werke unter der Sammelbezeichnung „Symphoniae“ (gleichbedeutend mit Concerto, also als „Zusammenklingen“ gedacht). Nach 1600 bezeichnete „Symphonia“ dann aber immer häufiger nurmehr instrumentale Vorspiele bzw. Ritornelle v.a. in Opern.

Bis um 1760 bestanden der französische und der italienische Typus als Operneinleitung nebeneinander. Dann verschwand die französische Ouvertüre als veraltet.

Inzwischen hatte sich – ausgehend vor allem von der italienischen Sinfonia – auf Grundlage des Orchestersatzes für Streicher mit Harmonie füllenden Bläsern (Oboen, Hörnern) die von der Oper emanzipierte Sinfonik

  • der Mannheimer Schule,
  • der Wiener Schule und
  • der Mailänder Schule

mit ihrem „singenden Allegro“ etabliert. Um 1740 wurde etwa gleichzeitig in Mannheim und Wien das Menuett in die Sinfonie aufgenommen. Die norddeutsche Schule blieb bei der Dreisätzigkeit und ließ den Tanzsatz weg. Vor allem die Sinfonie der deutschen und österreichischen Komponisten löste als nunmehr zentrale Gattung die Generalbassgattungen Suite, Concerto grosso und Triosonate ab.

Herausbildung der Sinfonie mit der Wiener Klassik zwischen Haydn und Beethoven

Die Sinfonie entfaltet sich als „Symphonie“ mit der Wiener Klassik von den 1760er-Jahren an zur führenden Gattung der groß dimensionierten bürgerlichen Musik des Konzertwesens. Den immens gesteigerten Anspruch gegenüber den Vorläufern drückt der Übergang von der italienischen zur gräzisierenden Schreibweise aus („Symphonie“ statt „Sinfonie“).

In zahlreichen Experimenten schuf JOSEPH HAYDN (1732–1809) dann den Typus der klassischen Sinfonie. Ab 1765 setzte sich bei HAYDN die Viersätzigkeit als Norm durch. Die Aufbietung sämtlicher verfügbarer satztechnischer Möglichkeiten – vom Liedhaften, Galanten und Tänzerischen bis zu komplexen, „gelehrten“ Verfahren wie Kanon und Fuge – markieren den Weg von HAYDNs Anfängen (1. Sinfonie 1759) bis zu den 12 großen „Londoner Symphonien“ (1791–1792 und 1793–1795;) mit ihrem am Streichquartett geschulten, intensiven motivisch-thematischen und orchestralen Durchformung sowie ihrem komplexen und monumentalen Aufbau.

Ein Nachhall der Verbindungen zum Konzert – dem Concerto grosso und Solokonzert – ist der Typus der konzertanten Sinfonie, eine besonders in der 2. Hälfte des 18. Jh. beliebte Verschränkung von Sinfonie und Solo-Konzert: meist dreisätzig, für mehrere konzertierende Soloinstrumente und Orchester, besetzt nach dem Vorbild des Concerto grosso. Im 19. Jh. setzten sich dafür die an sich triftigeren Bezeichnungen Doppel-, Tripel- und Quadrupelkonzert durch. Die Benennung als konzertante Sinfonie bzw. „Symphonie concertante“ hat sich nur bei wenigen Werken des Konzertrepertoires, z.B. bei

  • WOLFGANG AMADEUS MOZARTs (1756–1791) „Symphonie concertante“ KV 364 oder
  • HAYDNs „Symphonie concertante“ für Violine, Violoncello, Oboe, Fagott und Orchester (1792) erhalten.

Mit der Es-Dur-Sinfonie op. 55, der „Eroica“ (1803), geht LUDWIG VAN BEETHOVEN (1770–1827) nochmals neue Wege. Schon die reinen Größenmaße sind ungewöhnlich: ein Satz dauert so lang wie sonst eine ganze Sinfonie. Die Programmatik verschränkt den Heros der Revolution mit dem Mythos des Prometheus. Wieder eine neue Wendung bringt die 5. Sinfonie in c-Moll (1804/1808) mit ihrer radikalen motivisch-thematischen Vereinheitlichung besonders des 1. Satzes und ihrer modellhaften Gesamtdramaturgie des „Durch Nacht zum Licht“. Die 6. Sinfonie („Sinfonia Pastorale“) 1807/08 wird zum Ausgangspunkt der Programmsinfonie. Die ebenfalls modellhafte 9. Sinfonie (1822/1824) mit ihrem groß angelegten Chorfinale mit Texten aus FRIEDRICH SCHILLERs (1759–1805) „Ode an die Freude“ als 4. Satz feiert einmal mehr die nach wie vor uneingelösten Ideale „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ .

FRANZ SCHUBERT (1797–1828) geht mit seiner „Unvollendeten“ (7. Sinfonie h-Moll [früher 8.], D 759, 1822) und seiner „großen“ C-Dur-Sinfonie (D 944, 1826) spätklassisch-romantische Wege einer epischen und lyrischen Ausbreitung.

Neue Gattungs-Typen im 19. Jahrhundert

Im Verlauf des 19. Jh. bilden sich einige wichtige Abzweigungen und Sondertypen heraus:

  • Sinfonie-Kantate bzw. Sinfonie mit Elementen des Oratoriums nach dem Vorbild des Finales von Beethovens 9. Sinfonie und der Einbeziehung des Gesangs in die „reine“ Instrumentalmusik (u.a. bei FRANZ LISZT, 1811–1886; GUSTAV MAHLER, 1860–1911; HANNS EISLER, 1898–1962; HANS WERNER HENZE, 1926-2012)
  • Programmouvertüre bzw. Konzertouvertüre: als selbstständiges, einsätziges Werk für den Vortrag im Konzert verwendete Ouvertüre (= orchestrales Einleitungsstück zu Bühnenwerken wie Ballett, Schauspiel, Oper)
     
  • Programmsinfonie (BEETHOVEN; HECTOR BERLIOZ, 1803–1869; LISZT usw.)
     
  • Sinfonische Dichtung: von LISZT entwickelte einsätzige (statt viersätzige) Synthese von Konzertouvertüre und (mehrsätziger) Programmsinfonie

ROBERT SCHUMANN (1810–1856) hielt in seinen 4 Sinfonien (1841–1850) an der klassischen Norm fest, erweiterte sie aber durch neue Gehalte und Techniken von innen heraus.

JOHANNES BRAHMS (1833–1897) verfeinerte und vertiefte diese klassizistisch-romantische Tradition in seinen 4 Sinfonien (1876–1885) unter bewusstem Bezug auf BEETHOVEN.

ANTON BRUCKNER (1824–1896) dagegen erweiterte Form und Ausmaße der Sinfonie ins Monumentale (neun anerkannte Sinfonien, 1887–1896, dazu zwei frühe Sinfonien).

GUSTAV MAHLER (1860–1911) knüpfte hier an, differenzierte aber in seinen insgesamt 10 vollendeten sinfonischen Werken (1888–1911) die einzelnen Werke aus und erweiterte das Gattungsspektrum.

In Material, Stil und Ton eigenständige Entwicklungen brachten die „Nationalen Schulen“ des ausgehenden 19. Jh. seit den 1870ern, u.a. mit PETER TSCHAIKOWSKY (1840–1893) und ANTONÍN DVORÁK (1841–1904).

Im Prinzip schrieben alle Komponisten der nationalen Schulen Sinfonien; häufig wählten sie allerdings wegen der noch höheren programmatischen Aufladung die Gattung der Sinfonischen Dichtung. Die „nationalromantische Linie“ setzte sich bis ins 20. Jh. fort und verknüpfte sich mit den verschiedensten anderen Richtungen der deutschen und französischen Tradition, z.B. bei JEAN SIBELIUS (1865–1957).

Kammersinfonie, Orchesterstück – Entwicklungen im 20. Jh.

Ab 1917/1918 verliert die Sinfonie zwar an prägender und bestimmender Kraft für den Fortgang des Komponierens. Sie bleibt aber nicht zuletzt aufgrund der institutionellen und apparativen Schwerkraft von Konzertwesen und Orchester ein zentraler Bezugspunkt und eine wichtige Gattung.

Dabei zeigen sich ein breites Spektrum von Weiterführung spätromantischer Traditionen bis hin zu Neoklassizismus und Atonalität sowie Aufbrechungen der Gattung von innen heraus, u.a. bei:

  • CHARLES E. IVES (1874–1954),
  • KARL AMADEUS HARTMANN (1905–1963),
  • DMITRIJ SCHOSTAKOWITSCH (1906–1975) und
  • OLIVIER MESSIAEN (1908–1992).

Als Reaktion auf überdimensionierte Besetzungen und (oft leer laufende) Monumentalität entsteht nach 1900 die im Apparat bescheidene Kammersinfonie. Mit dem Fragwürdigwerden der bürgerlichen Kultur im späten 19. und im 20. Jh. weichen viele Komponisten dem Druck der Tradition aus und wählen neutrale Bzeichnungen wie „Stück für Orchester“.

Häufig sind Orchesterstücke aber eben doch zyklisch-mehrsätzig angelegt und damit gewissermaßen untergründig „sinfonisiert“, z.B. bei:

  • CLAUDE DEBUSSY (1862–1918),
  • ARNOLD SCHÖNBERG (1874–1951) oder
  • CHARLES E. IVES (1874–1954).

Explizit als „Symphonie“ bezeichnete Kompositionen stellen (im Gegensatz zu den Jahrzehnten vor dem Zweiten Weltkrieg) in der radikal neuen Musik nach 1945 eher eine Randgruppe dar. Originelle Auseinandersetzungen mit der Tradition sind u.a.:

  • LUCIANO BERIOs (1925–2003) fünfsätzige Sinfonia für Stimmen und Orchester ist im 3. Satz eine Paraphrase über das Scherzo aus MAHLERs „Symphonie Nr. 2“; BERIO zitiert und kommentiert seine Vorlage als Tradition und integriert aktualisierend Texte u.a. von CLAUDE LÉVI-STRAUSS und den Pariser Studentenunruhen des Entstehungsjahrs 1968;
     
  • HENRYK MIKOLAJ GÓRECKIs (* 1933) polystilistische, postmoderne 3. Sinfonie für Sopran und Orchester (1976) – die „Symphonie der Klagelieder“ – erreichte mit einer Schallplatten- Neueinspielung 1993 die Hitparaden.
     
  • DIETER SCHNEBELs (* 1930) Fünf Sinfoniestücke für Orchester (1985) umgehen den Symphonie-Charakter; seine abendfüllende Sinfonie X (1990/1992), sechssätzig und durch Tonbandzuspielungen nochmals erweitert, stellt sich der Tradition der Gattung.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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