Atombau im Original

Nachfolgend sind Auszüge aus dieser Arbeit von E. RUTHERFORD angegeben.

Streuung von α - und β -Teilchen an Materie und Atombau

Von
E. Rutherford

Es ist bekannt, daß α - und β -Teilchen durch Zusammenstöße mit den Atomen der Materie von ihren geradlinigen Bahnen abgelenkt werden. Diese Streuung ist bei β -Teilchen wegen ihrer viel kleineren Impulse und Energien weit mehr ausgeprägt als bei α -Teilchen . Es scheint keinem Zweifel mehr zu unterliegen, daß solche schnell bewegten Teilchen das Atom auf ihrem Weg durchqueren und daß die beobachteten Ablenkungen von dem starken elektrischen Feld hervorgerufen werden, das im Inneren des Atomsystems durchlaufen wird. Es wurde allgemein vermutet, daß die Streuung eines Bündels von α - oder β -Strahlen beim Passieren einer dünnen Materieschicht das Resultat einer Vielzahl von kleinen Streuungen an den Atomen der durchquerten Materie ist. Die Beobachtungen von GEIGER und MARSDEN (1) über die Streuung von α -Strahlen zeigten jedoch, daß einige α -Teilchen bei einem einzigen Stoß eine Ablenkung um mehr als einen rechten Winkel erfahren haben mußten. Sie fanden z. B., daß ein kleiner Teil der einfallenden α -Teilchen , ungefähr 1 von 20.000, beim Durchqueren einer etwa 0,000.04 cm dicken Goldfolie, die einem Bremsvermögen von 1,6 mm Luft für α -Teilchen äquivalent ist, um einen durchschnittlichen Winkel von 90° abgelenkt wurde. GEIGER (2) zeigte später, daß der wahrscheinlichste Ablenkwinkel für ein α -Teilchenbündel , das eine Goldfolie dieser Dicke durchquert, ungefähr 0,87° ist. Eine einfache Rechnung mit Hilfe der Wahrscheinlichkeitsrechnung zeigt, daß die Wahrscheinlichkeit für ein α -Teilchen , um 90° abgelenkt zu werden, verschwindend klein ist. Hinzu kommt, wie man später sehen wird, daß die Verteilung der α -Teilchen über die verschiedenen Winkel bei großen Ablenkungen erwartungsgemäß dann nicht mehr dem Wahrscheinlichkeitsgesetz folgt, wenn diese großen Ablenkungen sich aus einer großen Zahl kleiner Abweichungen zusammensetzen. Es erscheint vernünftig anzunehmen, daß die Ablenkung um einen großen Winkel durch einen einzigen Stoß mit einem Atom erfolgt; denn die Wahrscheinlichkeit, daß ein zweiter Zusammenstoß dieser Art eine große Ablenkung verursacht, ist in den meisten Fällen außerordentlich klein. Eine einfache Rechnung zeigt, daß das Atom Sitz eines intensiven elektrischen Feldes sein müßte, um solch eine große Ablenkung bei einem einzigen Stoß zu verursachen.

Vor kurzem hat Sir J. J. THOMSON (3) eine Theorie zur Erklärung der Streuung elektrisch geladener Teilchen beim Durchqueren von Materie geringer Dicke vorgelegt. Es wurde angenommen, daß das Atom aus einer Anzahl N negativ geladener Korpuskeln besteht, die von einer gleich großen Menge positiver gleichmäßig kugelförmig verteilter Elektrizität begleitet werden. Die Ablenkung eines elektrisch negativ geladenen Teilchens beim Durchqueren eines Atoms ist dann auf zwei Gründe zurückzuführen:
1. die Abstoßung der über das Atom verteilten Korpuskeln und
2. die Anziehung der positiven Elektrizität im Atom. Die Ablenkung des Teilchens beim Durchqueren des Atoms wird als klein angenommen, während die mittlere Ablenkung nach einer großen Zahl m von Zusammenstößen als m Θ angenommen wird, wobei Θ die mittlere, durch ein Atom verursachte Ablenkung darstellt. Es wurde gezeigt, daß die Anzahl N der Elektronen in einem Atom aus den Beobachtungen über die Streuung elektrisch geladener Teilchen abgeleitet werden kann. Die Richtigkeit dieser Theoric der Mehrfachstreuung wurde von CROWTHER (4) in einer späteren Arbeit experimentell geprüft. Seine Ergebnisse bestätigten scheinbar die wesentlichen Schlußfolgerungen aus der Theorie, und er folgerte aus der Annahme, daß die positive Elektrizität kontinuierlich verteilt ist, daß die Anzahl der Elektronen in einem Atom etwa dreimal so groß wie dessen Atomgewicht ist.

Die Theorie von Sir J. J. THOMSON basiert auf der Annahme, daß die durch einen einzelnen atomaren Stoß verursachte Streuung gering ist, und die angenommene Struktur eines Atoms läßt keine sehr große Ablenkung eines α -Teilchens beim Passieren eines einzelnen Atoms zu, es sei denn, man würde annehmen, daß der Durchmesser der Kugel positiver Elektrizität gegenüber dem Durchmesser der Einflußsphäre des Atoms winzig klein ist. Da ja die α - und β -Teilchen das Atom durchdringen, sollte es möglich sein, aus einer geschlossenen Untersuchung der Natur der Ablenkung eine gewisse Vorstellung über den Aufbau des Atoms abzuleiten, um die beobachteten Effekte zu erklären. Tatsächlich ist die Streuung sehr schneller geladener Teilchen an Atomen der Materie eine vielversprechende Methode, um diese Probleme in Angriff zu nehmen. Die Entwicklung der Szintillationsmethode zur Zählung einzelner α -Teilchen brachte ungewöhnliche Vorteile für die Untersuchung, und die Forschungen von H. GEIGER mit dieser Methode haben bereits viel zu unserer Kenntnis über die Streuung von α -Strahlung durch Materie beigetragen.

§ 7. Allgemeine Überlegungen

Beim Vergleich der in dieser Arbeit skizzierten Theorie mit den experimentellen Ergebnissen wurde vorausgesetzt, daß das Atom aus einer zentralen, in einem Punkt konzentrierten Ladung besteht und daß große Einfachablenkungen von α - und β -Teilchen hauptsächlich beim Durchgang durch ein starkes zentrales Feld verursacht werden. Die Wirkung einer gleich großen kompensierenden entgegengesetzten Ladung, die gleichmäßig über eine Kugel verteilt angenommen worden ist, wurde vernachlässigt. Einige Hinweise zur Unterstützung dieser Annahme sollen jetzt kurz betrachtet werden. Konkret betrachten wir den Durchgang eines α -Teilchens hoher Geschwindigkeit durch ein Atom, das eine positive Zentralladung Ne besitzt und von einer kompensierenden Ladung von N Elektronen umgeben ist. Wir erinnern uns, daß Masse, Impuls und kinetische Energie des α -Teilchens sehr groß sind gegenüber den entsprechenden Werten für ein schnell bewegtes Elektron. Aus dynamischen Überlegungen heraus ist es daher unmöglich, daß ein α -Teilchen bei starker Annäherung an ein Elektron um einen großen WinkeI abgelenkt werden kann, selbst wenn sich das Elektron in schneller durch ein starkes elektrisches Feld erzwungener Bewegung befindet. Eine vernünftige Annahme scheint zu sein, daß die Wahrscheinlichkeit für große Einfachablenkungen bei einem Stoß mit einem Elektron wenn nicht Null, dann doch zumindest äußerst klein gegenüber der Ablenkung an der zentralen Ladung ist.
Es ist von Interesse zu prüfen, inwieweit experimentelle Ergebnisse Licht auf die Frage nach der Ausdehnung der Verteilung der zentralen Ladung wirft. Nehmen wir z. B. an, die zentrale Ladung sei aus N Einheitsladungen zusammengesetzt, die über ein solches Volumen verteilt sind, daß große Einfachablenkungen hauptsächlich durch die Einzelladungen und nicht durch das äußere Feld der gesamten Ladungsverteilung verursacht werden. Es wurde gezeigt (§ 3), daß der Anteil der um einen großen Winkel gestreuten α -Teilchen proportional zu ( N e E ) 2 ist, wobei Ne die in einem Punkt konzentrierte Zentralladung und E die Ladung des abgelenkten Teilchens sind. Wenn diese Ladung jedoch in einzelne Einheiten (Subteilchen) verteilt ist, ist der Anteil der um einen bestimmten Winkel gestreuten α -Teilchen proportional zu N e 2 statt zu N 2 e 2 . In dieser Rechnung ist der Einfluß der Masse der Subteilchen vernachlässigt, lediglich ihr elektrisches Feld ist in Rechnung gestellt worden. Da gezeigt wurde, daß der Wert der zentralen Punktladung für Gold ungefähr 100 sein muß, müßte der Wert einer verteilten Ladung, die das gleiche Verhältnis von Einfachablenkungen um einen großen Winkel erzeugt, wenigstens 10.000 sein. Unter diesen Bedingungen würde die Masse eines einzelnen Subteilchens, verglichen mit der des α -Teilchens , klein sein, und große Einfachablenkungen wären überhaupt schwierig hervorzubringen. Weiterhin ist bei solch einer weit verteilten Ladung der Effekt der Mehrfachstreuung bedeutender als der der Einfachstreuung. Zum Beispiel würde der wahrscheinlichste kleine Ablenkwinkel eines Bündels von α -Teilchen beim Durchgang durch eine dünne Goldfolie viel größer sein, als dies experimentell von GEIGER beobachtet wurde. Die Streuung in große und in kleine Winkel könnte dann nicht durch die Annahme einer zentralen Ladung vom gleichen Wert erklärt werden. Betrachtet man die Sachlage im Ganzen, scheint es am einfachsten anzunehmen, daß das Atom eine zentrale Ladung in einem sehr kleinen Volumen enthält und daß große Einfachablenkungen durch die zentrale Ladung aIs Ganzes und nicht durch ihre Bestandteile hervorgerufen werden. Gleichzeitig ist jedoch der experimentelle Befund nicht genau genug, um die Möglichkeit auszuschließen, daß ein kleiner Teil der positiven Ladung durch Satelliten in einem gewissen Abstand vom Zentrum getragen wird. Eine Klärung dieses Punktes könnte erfolgen, indem man prüft, ob die gleiche zentrale Ladung erforderlich ist, um die großen Einfachablenkungen von α - und β -Teilchen zu erklären; ein α -Teilchen muß sich dem Atomzentrum viel stärker annähern als ein β -Teilchen mittlerer Geschwindigkeit, um die gleich große Ablenkung zu erfahren.

Die verfügbaren allgemeinen Meßergebnisse zeigen, daß der Wert dieser zentralen Ladung für verschiedene Atome genähert proportional zum Atomgewicht ist, zumindest für Atome schwerer als Aluminium. Es wird von großem Interesse sein, experimentell zu prüfen, ob eine solche einfache Beziehung auch für die leichteren Atome gilt. In Fällen, in denen die Masse des ablenkenden Atoms (z. B. Wasserstoff, Helium, Lithium) von der des α -Teilchens nicht sehr verschieden ist, muß die allgemeine Theorie der Einfachstreuung modifiziert werden; denn es ist notwendig, die Bewegungen der Atome selbst zu berücksichtigen (s. § 4).
Es ist interessant zu vermerken, daß NAGAOKA (8) mathematisch die Eigenschaften eines „Saturn“-Atoms beschrieben hat, das nach seiner Annahme aus einer zentralen anziehenden Masse besteht, die von Ringen kreisender Elektronen umgeben ist. Er zeigte, daß solch ein System stabil ist, wenn die Anziehungskraft groß ist. Von dem in dieser Arbeit betrachteten Standpunkt würde die Wahrscheinlichkeit einer großen Ablenkung praktisch unverändert bleiben, ob man das Atom nun als Scheibe oder als Kugel betrachtet. Es sei vermerkt, daß der für die zentrale Ladung des Goldatoms gefundene Näherungswert (100 e) ungefähr gleich demjenigen ist, der zu erwarten wäre, wenn das Goldatom aus 49 Heliumatomen mit einer Ladung von je 2e bestünde. Es mag nur rein zufällig sein, aber es ist sicherlich bezeichnend im Hinblick auf die Emission von Heliumatomen mit zwei Einheitsladungen durch radioaktive Materie.

Die bisher betrachteten Ableitungen aus der Theorie sind unabhängig vom Vorzeichen der zentralen Ladung, und es war bis jetzt nicht möglich, einen stichhaltigen Grund für die Entscheidung zu finden, ob sie positiv oder negativ ist. Es scheint möglich zu sein, die Frage des Vorzeichens zu entscheiden, indem man Überlegungen über den Unterschied der Absorptionsgesetze anstellt, die nach den beiden Hypothesen für β -Teilchen zu erwarten sind; denn der Effekt der Strahlung infolge der Geschwindigkeitsabnahme eines β -Teilchens sollte für ein positives Zentrum weit ausgeprägter sein als für ein negatives.

Für eine positive Zentralladung ist leicht einzusehen, daß eine positiv geladene Masse beim Verlassen des Zentrums eines schweren Atoms eine große Geschwindigkeit während der Bewegung durch das elektrische Feld erlangen wird. Es scheint möglich, auf diese Weise die hohe Emissionsgeschwindigkeit der α -Teilchen zu erklären, ohne anzunehmen, daß sie sich ursprünglich im Atom schnell bewegt haben.
Weitere Überlegungen über die Anwendung dieser Theorie auf diese und andere Fragen sollen für eine spätere Arbeit aufgehoben werden, sobald die Hauptfolgerungen aus der Theorie experimentell geprüft worden sind. Experimente in dieser Richtung werden schon von GEIGER und MARSDEN vorbereitet.

Literatur

(1) GEIGER und MARSDEN, Proc. roy. Soc. 82 (1909) 495.
(2) GEIGER, Proc. roy. Soc. 83 (1910) 492.
(3) THOMSON, Cambridge Lit. philos. Soc. 15. (1910), Teil 5.
(4) CROWTHER, Proc. roy. Soc. 84 (1910) 226.
(5) GEIGER, Manchester Lit. Philos. Soc. (1910).
(6) MARSDEN, Philos. Mag. 18 (1909) 909.
(7) Schmidt, Ann. Phys. 23 (1907) 671.
(8) NAGAOKA, Philos. Mag. 7 (1904) 445.

 

Den nächsten wichtigen Schritt ging zwei Jahre später der dänische Atomphysiker NIELS BOHR (1885-1962), der mit seinem Atommodell (bohrsches Atommodell) Elemente der Quantenphysik in die Atomphysik einbrachte.
Nachfolgend sind Auszüge aus dieser Arbeit von N. BOHR angegeben.

Über den Aufbau der Atome und Moleküle

Von
Niels Bohr

Einleitung

Um die Ergebnisse der Experimente über die Ablenkung von α -Strahlen durch Materie zu erklären, hat Prof. RUTHERFORD (1) eine Theorie der Struktur der Atome angegeben. Nach dieser Theorie bestehen die Atome aus einem positiv geladenen Kern, umgeben von einem System von Elektronen, das durch Anziehungskräfte vom Kern zusammengehalten wird. Die gesamte negative Ladung der Elektronen ist der positiven Ladung des Kerns gleich. Ferner wird der Kern als der Sitz des wesentichen Teils der Atommasse angesehen; seine lineare Ausdehnung ist überaus klein, verglichen mit der linearen Ausdehnung des gesamten Atoms. Die Elektronenzahl eines Atoms wird ungefähr gleich dem halben Atomgewicht angenommen. Diesem Atommodell muß großes Interesse beigemessen werden, weil - wie RUTHERFORD zeigte - die Annahme der Existenz jener Kerne notwendig zu sein scheint, um die Resultate der Experimente über die Ablenkung der α -Strahlen um große Winkel zu erklären (2).
Bei dem Versuch, einige Eigenschaften der Materie auf der Grundlage dieses Atommodells zu erklären, treffen wir jedoch auf ernsthafte Schwierigkeiten, die aus der scheinbaren Instabilität des Elektronensystems erwachsen und die bei früher aufgestellten Atommodellen, z. B. bei dem von J. J. THOMSON (3), absichtlich umgangen wurden. Nach dieser Theorie besteht das Atom aus einer Kugel gleichmäßiger positiver Elektrizität, innerhalb deren sich die Elektronen auf Kreisbahnen bewegen.

Der prinzipielle Unterschied zwischen den von THOMSON und RUTHERFORD vorgeschlagenen Atommodellen besteht darin, daß die auf die Elektronen wirkenden Kräfte im thomsonschen Atommodell bestimmte Konfigurationen und Bewegungen der Elektronen gestatten, für die sich das System in einem stabilen Gleichgewicht befindet; solche Konfigurationen existieren im zweiten Atommodell jedoch offensichtlich nicht. Die Natur des vorliegenden Unterschiedes wird vielleicht am deutlichsten sichtbar, wenn man beachtet, daß unter den charakteristischen Größen für das erste Atom eine Größe - der Radius der positiven Kugel - mit der Dimension einer Länge und der gleichen Größenordnung wie die lineare Ausdehnung des Atoms enthalten ist, während eine solche Länge unter den charakteristischen Größen des zweiten Atoms, nämlich unter den Ladungen und Massen der Elektronen und des positiven Kerns nicht erscheint; eine charakteristische Länge kann auch nicht allein mit Hilfe der letzteren Größe bestimmt werden.

Die Art und Weise, ein Problem dieser Art zu betrachten, hat sich in den letzten Jahren wesentlich verändert angesichts der Entwicklung der Theorie der Energiestrahlung und der direkten Bestätigung der neuen in dieser Theorie eingeführten Annahmen durch Experimente im Bereich sehr verschiedener Erscheinungen, wie spezifische Wärme, Fotoeffekt, Röntgenstrahlen usw. Das Ergebnis der Diskussion dieser Fragen scheint eine allgemeine Bestätigung der Unzulänglichkeit der klassischen Elektrodynamik bei der Beschreibung des Verhaltens von Systemen atomarer Größe zu sein (4). Wie auch immer die Veränderung der Bewegungsgesetze der Elektronen sein mag, scheint es notwendig, in die vorliegenden Gesetze eine Größe einzuführen, die der klassischen Elektrodynamik fremd ist, und zwar die PLANCKsche Konstante, oft auch das elementare Wirkungsquantum genannt. Durch die Einführung dieser Größe verändert sich die Frage nach der stabilen Konfiguration der Elektronen im Atom wesentlich, da diese Konstante eine solche Dimension und Größe hat, daß sie, zusammen mit der Masse und der Ladung der Teilchen, eine Länge der gesuchten Größenordnung ergeben kann.
Diese Arbeit ist ein Versuch zu zeigen, daß die Anwendung der obigen Ideen auf das RUTHERFORDsche Atommodell eine Grundlage für eine Theorie des Atombaus schafft. Es soll ferner gezeigt werden, daß uns diese Theorie zu einer Theorie der Struktur der Moleküle führt. Im vorliegenden ersten Teil der Arbeit wird der Mechanismus der Bindung der Elektronen an einen positiven Kern im Zusammenhang mit der PLANCKschen Theorie diskutiert. Es wird gezeigt werden, daß es von dem gewählten Standpunkt aus möglich ist, die Gesetzmäßigkeit des Wasserstofflinienspektrums auf einfache Weise zu erklären. Ferner werden Begründungen für eine grundsätzliche Hypothese gegeben, auf die sich die in den folgenden Teilen enthaltenen Überlegungen gründen.
Ich möchte hier Prof. RUTHERFORD meinen Dank aussprechen für sein freundliches und ermunterndes Interesse an dieser Arbeit.

TEIL I

Die Bindung von Elektronen an positive Kerne

§ 1. Allgemeine Überlegungen

Die Unzulänglichkeit der klassischen Elektrodynamik bei der Erklärung der Atomeigenschaften mit einem Atommodell wie dem RUTHERFORDschen tritt besonders deutlich hervor, wenn wir ein einfaches System aus einem positiv geladenen Kern von sehr kleiner Ausdehnung und einem Elektron betrachten, das geschlossene Bahnen um diesen beschreibt. Der Einfachheit halber wollen wir voraussetzen, daß die Masse des Elektrons gegenüber der des Kerns vernachlässigbar klein ist, und ferner, daß die Elektronen sich mit einer gegenüber der Lichtgeschwindigkeit kleinen Geschwindigkeit auf kreisförmigen Umlaufbahnen bewegen.
Wie in den vorhergehenden Fällen eines einzelnen Elektrons oder eines um den Kern rotierenden Ringes sehen wir mit Hilfe dieses Theorems, daß die gesamte emittierte Energie bei der Bildung der Systeme aus einem Zustand, in dem sich die Teilchen in unendlichem Abstand voneinander befinden und relativ zueinander keine Geschwindigkeiten besitzen, gleich der kinetischen Energie der Elektronen in der endgültigen Konfiguration ist.

Das führt uns dazu, analog zum Fall eines einzigen Ringes anzunehmen, daß zu jeder Gleichgewichtskonfiguration eine Reihe geometrisch ähnlicher stationärer Konfigurationen des Systems existieren wird, in denen die kinetische Energie jedes Elektrons gleich dem Produkt aus der Umlauffrequenz und 1 2 τ h ist, wobei τ eine ganze Zahl und h die PLANCKsche Konstante sind. In jeder dieser Serien von stationären Konfigurationen wird diejenige dem größten emittierten Energiebetrag entsprechen, in der τ für alle Elektronen gleich 1 ist. Berücksichtigen wir, daß das Verhältnis der kinetischen Energie zur Frequenz für ein auf einer Kreisbahn umlaufendes Teilchen gleich dem π -fachen Drehimpuls zum Bahnmittelpunkt ist, so gelangen wir zu der folgenden, einfachen Verallgemeinerung der in § 3 und weiter oben im vorliegenden Paragraphen erwähnten Hypothese.

„In jedem aus positiven Kernen und Elektronen bestehenden molekularen System, bei dem sich die Kerne relativ zueinander in Ruhe befinden und die Elektronen auf Kreisbahnen umlaufen, ist der Drehimpuls jedes Elektrons, bezogen auf das Zentrum seiner Umlaufbahn im Grundzustands des Systems gleich h / 2 π , wobei h die PLANCKsche Konstante ist.“

(Anmerkung: Bei den zu dieser Hypothese führenden Betrachtungen haben wir vorausgesetzt, daß die Geschwindigkeit der Elektronen klein gegen die Lichtgeschwindigkeit ist. Der Gültigkeitsbereich dieser Voraussetzung wird in Teil II erörtert werden.)

Analog zu den soeben gegebenen Betrachtungen müssen wir annehmen, daß eine Konfiguration, die diese Bedingung erfüllt, stabil ist, falls die Gesamtenergie des Systems kleiner ist als in irgendeiner benachbarten Konfiguration, die die gleiche Bedingung für den Drehimpuls der Elektronen erfüllt.
Wie in der Einleitung erwähnt wurde, wird die obige Hypothese im folgenden als Grundlage für eine Theorie der Struktur von Atomen und Molekülen dienen. Es wird gezeigt werden, daß sie zu Resultaten führt, die mit den Experimenten über eine ganze Reihe verschiedener Erscheinungen übereinzustimmen scheinen.
Die Begründung der Hypothese wurde ausschließlich in ihrem Verhältnis zur PLANCKschen Strahlungstheorie gesucht; mit Hilfe späterer Betrachtungen soll von einem anderen Standpunkt aus versucht werden, etwas mehr Licht auf ihre Begründung zu werfen.

Literatur

(1) E. RUTHERFORD, Philos. Mag. 21 (1911) 669 (Auszüge davon sind oben enthalten)
(2) H. GEIGER, E. MARSDEN, Philos. Mag. 20 (1913) 604.
(3) J. J. THOMSON, Philos. Mag. 7 (1904) 237.
(4) Siehe z. B. Theorie du rayonnement et les quanta, in: Proceedings of the First Solvay Congress 1911. Paris 1912.
(5) Siehe z. B. M. PLANCK, Ann. Phys.31 (1910) 758; 37 (1912) 642; Verh. Dtsch. phys. Ges. Berlin 13 (1911) 138.
(6) A. EINSTEIN, Ann. Phys. 17 (1905) 132; 20 (1906) 199; 22 (1907) 180.
(7) A. E. HAAS, Jahrb. Rad. EI. 7 (1910) 261; s. auch A. SCHIDLOF, Ann. Phys. 35 (1911) 90; E. WERTHEIMER, Phys. Z. 12 (1911) 409; Verh. Dtsch. phys. Ges. Berlin 14 (1912) 431 ; F. A. LINDEMANN, Verh. Dtsch. phys. Ges. Berlin 13 (1911) 482 und 1107; F. HABER, Verh. Dtsch. phys. Ges. Berlin 13 (1911) 1117.
(8) J. W. NICHOLSON, Monthly Notices roy. astr. Soc. 72 (1912) 49, 139, 677, 693 und 729.
(9) N. BOHR, Philos. Mag. 20 (1913) 24.

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