Hendrik Antoon Lorentz

HENDRIK ANTOON LORENTZ war ein bedeutender und vielseitiger niederländischer Physiker, der an der Wende von der klassischen zur modernen Physik lebte und wirkte. Die klassische Physik näherte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert ihrer Vollendung. Das war verbunden mit den Namen solcher bedeutender Physiker und Zeitgenossen von LORENTZ wie LORD KELVIN (1824-1907), JAMES CLERK MAXWELL (1831-1879), GUSTAV ROBERT KIRCHHOFF (1824-1887), HEINRICH HERTZ (1857-1894) oder WILHELM CONRAD RÖNTGEN (1845-1923). Zugleich begann die Entwicklung der modernen Physik. Ein Vortrag von MAX PLANCK (1858-1947) im Jahre 1900 gilt als Geburtsstunde der Quantentheorie. 1905 veröffentlichte ALBERT EINSTEIN (1879-1955) die spezielle Relativitätstheorie. ERNEST RUTHERFORD (1871-1937) und NIELS BOHR (1885-1962) entwickelten neue Vorstellungen vom Aufbau von Atomen.

Jugend und Ausbildung

HENDRIK ANTOON LORENTZ wurde am 18. Juli 1853 in gutbürgerlichen Verhältnissen in Arnheim geboren. Schon während seiner Schulzeit interessierte er sich besonders für Mathematik und Physik, aber auch für Sprachen und Geschichte. Er war stets Klassenbester. So ist es nicht verwunderlich, dass er nach seiner Schulzeit 1870 mit dem Studium der Mathematik und Physik an der Universität Leiden begann, zur damaligen Zeit ein bedeutendes Zentrum naturwissenschaftlicher Forschung. Bereits 1871 legte LORENTZ das Magisterexamen ab. Anschließend unterrichtete er als Gymnasiallehrer in Arnheim und bildete sich daneben im Selbststudium weiter. Bereits 1875, also im Alter von 22 Jahren, promovierte LORENTZ mit einer Arbeit über Eigenschaften des Lichtes. Diese Arbeit hatte das Thema „Réflexion et réfraction de la lumière dans la théorie électromagnétique“. In ihr beschrieb LORENTZ die Reflexion und die Brechung des Lichtes mithilfe der Wellentheorie. Er fasste Licht als elektromagnetische Welle auf, die sich in einem ruhenden Äther ausbreitet. Er zeigte damit auch die Überlegenheit der maxwellschen Lichttheorie gegenüber anderen Auffassungen.

Hochschullehrer und Forscher

1877 wurde H. A. LORENTZ auf den ersten Lehrstuhl für theoretische Physik an der Universität in Leiden berufen. Hier widmete er sich der Ausbildung von Studenten und Wissenschaftlern, forschte aber auch selbst auf verschiedenen Gebieten. So beschäftigte er ab 1880 vorrangig mit der kinetischen Gastheorie und der Thermodynamik. Unter anderem bestätigte er die Gültigkeit der Zustandsgleichung für reale Gase von VAN DER WAALS (1880) und untersuchte den thermoelektrischen Effekt in Metallen aus thermodynamischer Sicht (1886). Mit der Erweiterung der Theorie von LUDWIG BOLTZMANN über die kinetische Energie der Moleküle schloss er 1887 diesen Themenbereich ab.

Danach beschäftigte sich LORENTZ intensiv mit Problemen der Elektrizitätslehre und elektromagnetischen Vorgängen im Äther, dessen Existenz man damals annahm.
1881 heiratete LORENTZ die Tochter eines Kunstprofessors. Aus der harmonische Ehe gingen drei Kinder hervor.
Da die Universitätsverwaltung in Leiden seinem Wunsch nach eigenen Laborräumen nicht nachkam, verließ LORENTZ im Jahre 1912 Leiden und übernahm die Leitung der physikalischen Abteilung des Teyler-Instituts in Haarlem, einer Einrichtung, die mit der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt in Berlin vergleichbar war.

Wie vielseitig LORENTZ als Wissenschaftler war, zeigt das folgende Beispiel: Nach mehreren Flutkatastrophen in den Niederlanden wurde um 1915 beschlossen, die Zuider-See trockenzulegen. LORENTZ war an der Planung dieser Arbeiten intensiv beteiligt und führte insbesondere die erforderlichen Gezeitenberechnungen durch. Diese Arbeiten schloss er 1926 ab. 1932 wurde der Dammbau beendet.

LORENTZ war auch als Wissenschaftsorganisator tätig. So beschloss der belgische Chemiker und Industrielle ERNEST SOLVAY (1838-1922), einen Teil seiner großen Einnahmen für die Lösung einiger ihn interessierender Probleme der Physik und Chemie zu nutzen. Zu diesem Zweck wurde ein internationales Komitee geschaffen, dessen Vorsitzender HENDRIK A. LORENTZ wurde. Der erste SOLVAY-Kongress fand 1911 statt (Bild 1), weitere Kongresse alle drei Jahre. Anderthalb Jahre vor dem jeweiligen Kongress wurde ein eng begrenztes Problem der Physik oder Chemie ausgewählt und dazu 8 Wissenschaftler, die es möglicherweise am besten lösen konnten. Darüber hinaus wurden 10-15 Physiker bzw. Chemiker eingeladen, die für das jeweilige Thema besonders kompetent waren. Acht Tage lang wurde dann das gewählte Problem von den verschiedenen Seiten erörtert. 16 Jahre lang organisierte und leitete LORENTZ die SOLVAY-Kongresse. Zugleich wirkte er für die internationale Verständigung und Zusammenarbeit der Wissenschaftler, insbesondere nach dem Ersten Weltkrieg. Darüber hinaus beriet er von 1919-1926 die niederländische Regierung in Erziehungsfragen.

Auch in seinen letzten Lebensjahren war LORENTZ noch als Hochschullehrer und Forscher tätig. Seine berühmten „Montag-Vorlesungen“ an der Universität Leiden hielt er weiter. Allerdings war er gegenüber neuen physikalischen Theorie, insbesondere gegenüber der Quantentheorie und der speziellen Relativitätstheorie, sehr zurückhaltend. Er blieb weitgehend in der Physik des 19. Jahrhunderts verwurzelt. So schrieb er 1927:

„Ich möchte das Ideal von früher beibehalten, alles was sich in der Welt ereignet mit klaren Bildern zu beschreiben.“

Bei der Quantentheorie war eine solche anschauliche Deutung mit klaren Bildern nicht mehr möglich.
HENDRIK ANTOON LORENTZ starb am 4. Februar 1928 in Haarlem.

Solvay-Kongress 1911: LORENTZ war Vorsitzender des internationalen Komitees, das die SOLVAY-Kongresse veranstaltete. An diesen Kongressen nahmen ausgewählte Wissenschaftler teil. Auf dem Bild sind z.B. EINSTEIN, RUTHERFORD, M. CURIE und PLANCK zu sehen.

Solvay-Kongress 1911: LORENTZ war Vorsitzender des internationalen Komitees, das die SOLVAY-Kongresse veranstaltete. An diesen Kongressen nahmen ausgewählte Wissenschaftler teil. Auf dem Bild sind z.B. EINSTEIN, RUTHERFORD, M. CURIE und PLANCK zu sehen.

Wissenschaftliche Leistungen

Eine der bedeutendsten wissenschaftlichen Leistungen von LORENTZ ist die Entwicklung einer Elektronentheorie, die 1892 begann und mit der er sich bis 1904 beschäftigte. Nach dieser Theorie sind Elektronen die Träger der elektrischen Ladungen und bewegen sich in metallischen Leitern bei Stromfluss gerichtet. Dabei baute LORENTZ auf Erkenntnisse anderer Forscher auf. Bereits 1881 hatte der deutsche Physiker HERMANN VON HELMHOLTZ formuliert:

„Wenn wir von der Hypothese ausgehen, daß sich die elementaren Stoffe aus Atomen zusammensetzen, dann kommt man nicht um den Schluß herum, daß auch die Elektrizität ... aus definierbaren Elementarteilchen besteht, welche sich wie elektrische Atome verhalten.“

Nach LORENTZ setzt sich die Materie aus positiv geladenen Ionen und negativ geladenen Elektronen zusammen, die bei elektrischer Neutralität in gleicher Anzahl vorhanden sind. In Isolatoren sind die Elektronen elastisch gebunden, in Metallen dagegen können sie sich frei bewegen. Alle elektrischen und magnetischen Erscheinungen werden durch das Verhalten elektrischer Ladungsträger verursacht, durch die im Äther ein besonderer Zustand hervorgerufen wird. Heute bezeichnen wir diesen Zustand als elektrisches, magnetisches oder elektromagnetisches Feld. 1902 erhielt LORENTZ zusammen mit PIETER ZEEMANN (1865-1943) den Nobelpreis für Physik als Anerkennung des außerordentlichen Verdienstes, das sie sich durch ihre Untersuchungen über den Einfluss des Magnetismus auf die Strahlungsphänomene erworben haben.

1895 fand LORENTZ eine Gleichung zur Berechnung der Kraft auf bewegte Ladungen in einem magnetischen Feld. Diese Kraft wird heute zu seinen Ehren als LORENTZ-Kraft bezeichnet. Die Richtung der Kraft kann man mithilfe der Rechte-Hand-Regel bestimmen, ihren Betrag relativ einfach berechnen. Hinweise dazu findet man unter den Stichwörtern „Lorentzkraft“ und „Rechte-Hand-Regel“. Sie wird auch als „Linke-Hand-Regel“ formuliert.

Intensiv beschäftigte sich LORENTZ mit dem Ablauf elektromagnetischer Vorgänge in einem ruhenden Äther. Der Äther war eine Art Stoff, in dem sich elektromagnetische Wellen ausbreiten sollten. Sein Nachweis war ein Forschungsschwerpunkt dieser Zeit. LORENTZ beschäftigte sich u. a. mit der Frage, wie elektromagnetische Vorgänge in ruhenden und bewegten Bezugssystemen ablaufen. Er konnte 1899 zeigen, dass der Ablauf solcher Vorgänge in beliebigen Bezugssystemen gleich ist. Dafür entwickelte er auch Gleichungen, die es ermöglichten, den Ablauf elektromagnetischer Vorgänge in ruhenden und gleichförmig bewegten Bezugssystemen ineinander umzurechnen. Die Ätherhypothese stellte sich bald als nicht haltbar heraus. Ein Äther existiert nicht. Die von LORENTZ entwickelten Gleichungen gewannen aber im Rahmen der von ALBERT EINSTEIN (1879-1955) entwickelten speziellen speziellen Relativitätstheorie neue Bedeutung. Sie werden heute als LORENTZ-Transformation bezeichnet.

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