Winterschlaf

Es wird kalt und trübe. Der Bär zieht sich zurück, geht schlafen und zehrt von seiner Fettschicht. Der Storch ist längst weg, denn schon im Juli befällt die Jungstörche die erste Unruhe. Die kürzer werdenden Tage signalisieren ihm, dass es Zeit wird, langsam die Abreise zu planen. Und der Mensch? Auch er scheint an die veränderte Situation angepasst zu sein, denn bereits im Herbst kann man beobachten, dass unzählige Menschen die Kaufhäuser durchstöbern, um geeignete Bekleidung zu erwerben. Wenn er Pech hat, bekommt er schlechte Laune oder kann auch krank werden.

Diese als Winterdepression bekannte Krankheit könnte ihre Ursache in einer unzureichenden Anpassung an die Lebensbedingungen weitab vom Äquator haben, denn erst vor rund 150000 Jahren zog der moderne Mensch los, um sich auch in den kälteren Regionen des Nordens anzusiedeln. 150000 Jahre ist im Vergleich zur gesamten Evolution eine viel zu kurze Zeit, um Kälte, Nässe, fehlendes Grün und die zu kurzen Tage schätzen zu lernen. Regelmäßig im Herbst und Winter (besonders im Monat November) werden einige Menschen jedenfalls von einem Stimmungstief erfasst.

Nach Ansicht von einigen Chronobiologen (Biologen, die sich um die sogenannte „innere“ Uhr kümmern) könnte dies auf die zunehmende Dunkelheit im Winter zurückzuführen sein. Mangelndes Licht lässt nämlich unsere biologische Uhr anders ticken und an diese Veränderung scheinen einige Menschen nicht ausreichend angepasst.

Durch das Auge wird die Lichtinformation direkt ins Gehirn geleitet. Die Lichtwahrnehmung funktioniert auch dann, wenn das Auge geschlossen ist, denn es treffen noch immer genug Photonen auf die Netzhaut, sodass eine entsprechende Information an das Gehirn weitergegeben werden kann. (Dies kann man sehr leicht selbst überprüfen, man schließe die Augen und bitte jemanden in einem dunklen Raum das Licht an- und wieder auszuschalten.)

Durch den ankommenden Lichtreiz wird die Melatoninausschüttung im Gehirn unterdrückt (Melatonin: Hormon, welches im Gehirn nur bei Dunkelheit gebildet wird). Durch diese Schnittstelle wird der Tag-Nacht-Rhythmus im Gehirn und allen Körperzellen bestimmt. Melatonin bewirkt aber auch die Ausschüttung wichtiger fortpflanzungs- und stimmungsregulierender Hormone.

Bei Tieren löst Licht ganz deutlich saisonale Verhaltensweisen aus. So lässt sich ein saisonaler Fellwechsel beobachten, ein meistens im Frühjahr einsetzendes Brunftverhalten und nicht zuletzt im Winter der Winterschlaf oder das Auswandern in südliche Gebiete (Zugvögel).

Wenden wir uns dem Winterschlaf und hierbei zuerst den kleinen Winterschläfern zu. Da ein kleiner Körper immer ein ungünstigeres Verhältnis zwischen Volumen und wärmeabstrahlender Oberfläche besitzt, ist es ihnen nicht möglich, den Winter unter Aufrechterhaltung der Körpertemperatur zu überstehen. Fledermäuse beispielsweise hängen sich in frostsicheren Burgen oder Dachböden auf.

Murmeltier und Igel dagegen rollen sich an geschützten Plätzen ein, fallen in Winterschlaf und senken dabei die Körpertemperatur von 34 auf 4 Grad ab. Auch das Herz schlägt deutlich langsamer, statt achtzig nur noch drei- bis viermal pro Minute. Geatmet wird dann nur noch alle paar Minuten. So lässt sich 95 % der Energie einsparen.

Im Gegensatz zu den kleinen Winterschläfern schlummern die Bären, z.B. der Braunbär und der Grizzlybär bei molligen Temperaturen von 32 bis 34 Grad. Er hält Winterruhe. Die Aufwärmphase würde bei einem so großen Tier sonst Tage dauern und der Bär würde so seine Verteidigungsbereitschaft im Winter vollständig verlieren. Dadurch verbraucht der Bär aber auch in den Wintermonaten fast 6000 Kalorien am Tag.

Aber wie schafft er es, während dieser Zeit weder essen noch trinken zu müssen oder irgendwelche Ausscheidungssekrete loszuwerden?


Die notwendige Energie erhält der Bär durch Fettverbrennung. Das Fett hat er sich im Herbst als Antwort auf eine saisonale Hormonveränderung mit seinem sprichwörtlichen Bärenhunger angefuttert. Er muss während dieser Zeit ca. 20000 Kalorien am Tag zu sich nehmen. Das bei der winterlichen Fettverbrennung anfallende Wasser kann der schlafende Bär recyceln. Dadurch benötigt er kein zusätzliches Wasser und muss die Schlafphase auch nicht zur Harnausscheidung unterbrechen.

Auch der Mensch ändert sein Verhalten mit der Jahreszeit. Was den Lichtmangel beim Menschen jedoch genau auslöst oder verändert ist noch weitgehend ungeklärt. Belegt ist lediglich, dass es in den Wintermonaten zu einem größeren Schlafbedürfnis, fehlender Energie und sogar Depressionen kommen kann. Etwa jeder zehnte Nordeuropäer leidet unter diesen Stimmungsschwankungen. Außerdem verkürzt sich nachgewiesenermaßen der Tiefschlaf, während die Träume zunehmen. Die kürzeren Tiefschlafphasen führen dann wiederum zu einem erhöhten Schlafbedürfnis. Zunehmende Träume in den Morgenstunden und die noch dunkle Nacht beim ersten Augenaufschlag verursachen dann die vielen bekannte Bettschwere. In diesen Momenten der Seelenverwandtschaft zwischen Mensch und Feldhamster, besteht auch beim Menschen oftmals der dringende Wunsch nach Winterruhe. Und vor nicht allzu langer Zeit galt das Prinzip "Futtern und Ruhen zur Winterszeit" auch noch beim Menschen.

Während die Felder brach lagen und das Licht einen nur spärlich verwöhnte, hielten zumindest Bauern so etwas wie Winterruhe. Es war die Zeit der Besinnlichkeit, der Ruhe und des Verarbeitens der Eindrücke der letzten Monate. Dem heutzutage geltenden Anspruch, auch im Winter die gleiche Leistung erbringen zu müssen wie im Sommer, sind die Menschen von Natur aus nicht gewachsen. Ein Scheitern und Erkranken der Betroffenen ist daher vorprogrammiert. Bei manchen tritt dies Phänomen regelmäßig zu Beginn der Winterzeit auf, bei anderen dagegen plötzlich nach jahrelanger Nichtbetroffenheit. Fest steht, der Mensch braucht Ruhephasen, sei es die nächtliche jeden Tag oder zusätzlich die saisonale zur Winterzeit.

Aber noch einen anderen lichtabhängigen Botenstoff versucht der Winterfühlige auszugleichen, das Serotonin (Serotonin: Botenstoff, der auf die Psyche des Menschen wirkt, dessen genaue Funktion bei Mensch/Tier und Pflanze aber noch nicht ausreichend geklärt ist).

Ein übermäßiger Schokoladengenuss zur Winterzeit könnte seine Ursache im Serotoninmangel haben, denn Kohlenhydrate und Fett kurbeln die Produktion des körpereigenen Glücklichmachers im Gehirn an. Die kalorienarme Alternative dazu heißt Lichttherapie. Auch die Tiere, die im Winter in unseren Breitengraden bleiben und keinen Winterschlaf machen, wie z.B. Gämsen, ziehen sich in die Berge zurück, wo die Lichtmenge, bedingt durch Schneefall und Höhe, erheblich größer ist als im Tal.

Aktivitäts- und Erholungsphasen während eines Tages

Aktivitäts- und Erholungsphasen während eines Tages

Ganz anders sieht es dagegen z.B. bei Mäusen und Lemmingen aus. Regelrecht fröhliche Zeiten brechen für die kleinen Kerlchen an, denn mit Beginn der Wintersaison startet das Gruppenleben dieser sonst eher einzelgängerisch lebenden Tiere. Sie kuscheln, um den Verlust der Körperwärme möglichst gering zu halten. Das winterliche Gruppenleben bietet dann auch Gelegenheit zur Partnerfindung.

Lemmingweibchen können sich in einer Wintersaison bis zu fünf mal fortpflanzen. Beim Menschen kann man zwar auch ein Zusammenrücken beobachten, ein Reproduktionserfolg resultiert daraus jedoch nicht. Ganz im Gegenteil zeigen Statistiken aus nordischen Ländern einen eher kleinen „Babyboom“ im Frühjahr, welcher auf eine erhöhte Zeugungsrate in den lichtstarken Sommermonaten schließen lässt. Der Mensch gehört offensichtlich doch eher zu den Winterschläfern.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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