Locus amoenus

Locus amoenus (lat. = lieblicher Ort) bezeichnet einen Topos (Pl. Topoi , griech. = Ort, Platz, soviel wie feststehender Ausdruck) der Natur- und Idyllendichtung.

Eine ideale und fiktive Landschaft setzt sich zusammen aus den stets gleichen „Requisiten“:

  • Quelle/Bach,
  • Hain,
  • Wiese,
  • Vögel

Bekannt ist der Locus amoenus seit der Antike durch THEOKRIT und VERGIL (siehe PDF "Theokrit - Idyllen").

In der Literatur des Mittelalters und des 17. Jahrhunderts (Schäferdichtung: Bukolik, Pastoraldichtung) ist der Locus amoenus vor allem der stereotype und idyllische Ort der Liebe und des Gesanges.

Der italienische Renaissanceautor JACOPO SANNAZZARO (1456–1530) schrieb die für seine Zeit ersten pastoralen Romanzen in Prosa und Versen und nannte sein Werk „Arcadia“, sein Landsmann TORQUATO TASSO (1544–1595) das erste dramatische Werk „Aminta“. Arkadien, eine Landschaft auf der Peloponnes in Griechenland, war seitdem der locus amoenus der Dichter.

In Deutschland wurde die Pastoraldichtung besonders im Barock gepflegt, u. a. PAUL FLEMING und PHILIPP VON ZESEN suchten den Locus amoenus.

PHILIPP VON ZESEN
Frühlingslust
Das Fünffte Lied.

I.
IHr Wiesen / Thäler / Büsch' und Felder
Die Ihr der Liebligkeiten voll /
Sagt mir / Ihr Schattenreichsten Wälder /
Was meiner Schönsten fehlen soll?
Mein' allerschönste Halb-Göttin
Ist meine Lust / mein ander Sinn.
II.
Gleich wie der kühle Tau im Meyen
Die Hügel / Thäler Berg' und Büsch'
Durch seiner Kräffte kan verneuen /
und macht die welcken Rosen frisch;
Also verneut auch meinen Sinn
Mein' allerschönste Halb-Göttin.
III.
Gleich wie die matten Wanders-Leuthe
Erfrischt und stärckt das Reben-Bluth /
Gleich wie dem Kriegesmann die Beuthe
Erfreuet Hertze / Sinn und Muth;
Also erfreut und stärckt den Sinn
Mein' allerschönste Halb-Göttin.
IV.
Gleich wie auff dücke fünstre Wälder
Sich freut bey Sommers-Zeit ein Thier /
und wie die bunt-geschmückten Felder
Sich freuen auff der Sonnen Zier:
So freut sich auch auff dich mein Sinn
O allerschönste Halb-Göttin.
V.
Gleich wie an frischen Wasserflüssen
Ein Hirsch sich labet mit Begier /
Die Ihm ein Laabsaal geben müssen /
Wenn Er durch Durst getödtet schier;
So kühlt und labet meinen Sinn
Mein' allerschönste Halb-Göttin.
VI.
Mit kurtzen will ich diß beschließen:
Mein Schatz ist mir noch mehr als Tau /
Kan mich noch mehr / als Wein / versüßen /
Sie ist die Beut' / auff die ich schau /
Sie ist mein Schatten meine Sonn;
Mein einig Laabsaal Lust und Wonn.

(Zesen, Philipp von: Sämtliche Werke, 17 Bände, Band 1, Berlin / New York: de Gruyter, 1970 ff., S. 183-184.)

Er war auch noch vorhanden, wenn er expressis verbis gar nicht vorkam:

PAUL FLEMING
Auff die Italiänische Weise:
O fronte serena.

    O Liebliche Wangen /
Ihr macht mir Verlangen /
diß rohte / diß weisse
zu schauen mit fleisse.
Und diß nur alleine
ists nicht / das ich meyne;
Zu schauen / zu grüssen /
zu rühren / zu küssen.
Ihr macht mir Verlangen /
O liebliche Wangen.

    O Sonne der Wonne!
O Wonne der Sonne!
O Augen / so saugen
das Liecht meiner Augen.
O englische Sinnen /
O himmlisch Beginnen.
O Himmel auff Erden /
magst du mir nicht werden.
O Wonne der Sonne!
O Sonne der Wonne.

    O schönste der schönen /
    benimm mir diß sehnen.
Komm / eile / komm / komme /
du süße / du fromme.
Ach Schwester / ich sterbe /
ich sterb' / ich verderbe.
Komm komme / komm / eile /
komm / tröste / komm / heile.
Benimm mir diß sehnen /
O schönste der schönen!

(Paul Flemmings Deutsche Gedichte. Stuttgart: Weydemann, 1865, S. 397-398)

In der geistlichen Dichtung des Barock wird dieser klassische Lustort zum christlichen Paradiesgarten umgedeutet.

Noch in der Aufklärung wurde dieser Topos unter dem Namen Anakreontik weitergeführt. Den Namen erhielt die Dichtung vom antiken Dichter ANAKREON.

Seine Gedichte

„... sind alle in dreifüßigen Jamben und scheinen recht eigen zu einem leichten fröhlichen Gesang abgemessen. Ihr Inhalt ist durchgehends die Fröhlichkeit, die den Genuß der Liebe und des Weines begleitet. Sie bezeichnen den Charakter eines feinen Wollüstlings, der sein ganzes Leben dem Bachus und der Venus gewidmet hat, dabei aber immer vergnügt und scherzhaft geblieben ist.
 Man muss also seine Lieder, bloß als artige Kleinigkeiten ansehen, die zum absingen in Gesellschaften gemacht worden, wo die sinnliche Lust durch feinen Witz sollte gewürzt werden. In dieser Absicht sind sie unvergleichlich. Eine große Munterkeit ohne alle ernsthafte Leidenschaft, ein überaus feiner Witz und die angenehmste Art sich auszudrücken, sind überall darin anzutreffen. Der Dichter sieht in der ganzen Welt und in allen Händeln der Menschen nichts als was sich auf Wein und Liebe bezieht; alles ist Scherz und Tändelei mit Beziehung auf diese beiden Gegenstände. Seine Laune ist die angenehmste von der Welt und lieblich, wie der schönste Frühlingstag

(aus: JOHANN GEORG SULZER: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, 1771)

Der literarische Rokoko kultivierte praktisch die antike Anakreontik. So besangen z. B. FRIEDRICH VON HAGEDORN, JOHANN GEORG JACOBI und der Zweite Hallesche Dichterkreis (anakreontischer Dichterkreis) um JOHANN PETER UZ, JOHANN NIKOLAUS GÖTZ und JOHANN WILHELM LUDWIG GLEIM in ihren Gedichten das Leben und seine Freuden, indem sie Wein und Geselligkeit priesen und eine poetische Schäferlandschaft zeichneten.

JOHANN WILHELM LUDWIG GLEIM

Anakreon

Anakreon, mein Lehrer,
Singt nur von Wein und Liebe;
Er salbt den Bart mit Salben,
Und singt von Wein und Liebe;
Er krönt sein Haupt mit Rosen,
Und singt von Wein und Liebe;
Er paaret sich im Garten,
Und singt von Wein und Liebe;
Er wird beim Trunk ein König,
Und singt von Wein und Liebe;
Er spielt mit seinen Göttern,
Er lacht mit seinen Freunden,
Vertreibt sich Gram und Sorgen,
Verschmäht den reichen Pöbel,
Verwirft das Lob der Helden,
Und singt von Wein und Liebe;
Soll denn sein treuer Schüler
Von Hass und Wasser singen?

(Gleim: Johann Wilhelm Ludwig: Versuch in scherzhaften Liedern und Lieder, Tübingen: Niemeyer, 1964, S. 4-5.)

 

JOHANN GOTTFRIED HERDER

Anakreons Grab.

Mutter des allerquickenden Weins, jungfräulicher Weinstock
     und der Rebe, die sich kräuselnd in Ranken erhebt,
Winde dich, zart Gewächs, rings um Anakreons Grabmal
     reich an Trauben und klimm’ oben zur Säule hinan,
Dass der trunkene Sänger des Weins auch unten die lange
     Nacht sich kürze mit nie-schweigendem Zittergesang
Von der Liebe Bathylls, dass der zur Erde gesunkne
     Greis zum Haupte sich noch glänzende Trauben erseh
Und mit dem labenden Thau sich netze, der von der Lipp’ ihm
     einst so holden Geruch süßer Gesänge verlieh.

(Herder, Johann Gottfried: Zerstreute Blätter, Erste Sammlung. Gotha: , 1785, S. 56)

Der Ruf des antiken Dichters scholl weit in die uns als Klassik bekannte Zeit hinein. Auch der Weimarer Rat GOETHE machte sich auf, des Anakreon Grab zu suchen:

JOHANN WOLFGANG VON  GOETHE
Anakreons Grab

Wo die Rose hier blüht, wo Reben und Lorbeer sich schlingen, 
Wo das Turtelchen lockt, wo sich das Grillchen ergötzt,
Welch ein Grab ist hier, das alle Götter mit Leben
Schön bepflanzt und geziert? Es ist Anakreons Ruh.
Frühling, Sommer und Herbst genoss der glückliche Dichter;
Vor dem Winter hat ihn endlich der Hügel geschützt.

(Goethe, Johann Wolfgang von: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 1, Berlin: Aufbau, 1960 ff, S. 361)

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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