Wilhelm Heinrich Wackenroder

WILHELM HEINRICH WACKENRODER wurde am 13.07.1773 in Berlin geboren und dort starb er auch, im Alter von nur 25 Jahren am 13. 02.1798 an Typhus. Er war der einzige Sohn eines hohen preußischen Beamten, eines Kriegsrates und Justizbürgermeisters von Berlin. Die Strenge und Enge seines preußisch-protestantischen Elternhauses und das rationale Nützlichkeitsdenken der Aufklärung, die in Berlin ihr Zentrum hatte, prägten die Atmosphäre seiner frühen Jugend. Sie lösten in dem empfindsamen jungen Mann eine Art Gegenreaktion aus und weckten die hingebungsvolle Liebe zur Kunst und die Sehnsucht, mit ihrer Hilfe sein Dasein im Geiste und im Gefühl zu überschreiten.

Leben und literarisches Werk

Er war von 1786 bis 1792 Schüler am Friedrichwerderschen Gymnasium in der Kurstraße, dessen Direktor GEDICKE sich auch als Verfasser pädagogischer Schriften betätigte und an dem die Schriftsteller AUGUST FERDINAND BERNHARDI und FRIEDRICH EBERHARD RAMBACH als Lehrer tätig waren. Hier schloss WACKENRODER enge Freundschaft mit dem jungen LUDWIG TIECK. Bereits 1789 hörte er Vorlesungen über Kulturgeschichte der Antike bei dem Dichter und gerade zum Professor für die Theorie der Schönen Künste ernannten KARL PHILIPP MORITZ. Außerdem nahm er Musikunterricht, zu seinen Anregern und Lehrmeistern gehörten der Direktor der Berliner Singakademie CARL FRIEDRICH ZELTER und der Musiker und Schriftsteller JOHANN FRIEDRICH REICHARDT.

Studium

Auf Wunsch seines Vaters musste WACKENRODER Jurisprudenz studieren. Seine Neigung galt allerdings der Literatur, insbesondere der des Mittelalters und der Renaissance. 1792/93 hörte er bei ERDUIN JULIUS KOCH Vorlesungen über mittelalterliche deutsche Literatur. Er trieb auch selbst philologische Studien, wobei er zum Beispiel auf die Suche nach alten Handschriften ging und sich mit den Dramen HANS SACHS' beschäftigte. KOCH hat Ergebnisse von WACKENRODERs Arbeit 1795 in seinen „Grundriß der Sprache und Litteratur der Deutschen von den ältesten Zeiten bis auf Lessing's Tod“ aufgenommen.

Studium in Erlangen und Göttingen

1793 ging WACKENRODER gemeinsam mit seinem Freund TIECK zum Studium nach Erlangen, das Wintersemester 1793/94 verbrachten sie in Göttingen. Von Erlangen aus unternahmen die beiden Freunde Reisen und Ausflüge in die Städte und Landschaften Frankens. Sie reisten nach Nürnberg, Bamberg und Bayreuth, genossen die Schönheit der mittelalterlichen Stadtbilder, entdeckten auch die Malerei der italienischen Renaissance auf Schloss Pommersfelden sowie die Pracht der katholischen Gottesdienste und die überwältigende Wucht katholischer Kirchenmusik. Im Fichtelgebirge fanden sie liebliche und unberührt wirkende Natur, die sie in romantischer Schwärmerei genossen. In ihrer rückwärtsgewandten Verklärung einer verflossenen, als heil empfundenen Geschichtsepoche liegen die Ursprünge der romantischen Begeisterung für das Mittelalter, den Katholizismus, die Kirchenmusik, die Malerei DÜRERs und RAFFAELs. Mit ihrem enthusiastischen Aufspüren von Kunst und Bauwerken aus dem Mittelalter und dem tief empfundenen Naturerleben begründeten sie die Tradition der romantischen Kunstreise. Die Reiseberichte, die WACKENRODER an seine Eltern richtete, zeugen von seiner Beobachtungsgabe und seiner Empfänglichkeit für landschaftliche Schönheit. Mit den Kunstreisen der beiden jungen Dichter WACKENRODER und TIECK kann die Geburtsstunde der Frühromantik angesetzt werden.

Berlin

Im Herbst 1794 wurde WACKENRODER von seinem Vater nach Berlin zurückgerufen, um sein Gerichtsreferendariat abzuleisten. 1796 wurde er Kammergerichtsassessor in Berlin. Nach den Worten TIECKs beschleunigte eine Art Nervenfieber seinen frühen Tod, ausgelöst durch die Vorbereitungen zu den Examen in den ungeliebten juristischen Wissenschaften, von denen er nichts verstand und zu denen er sich ganz und gar nicht berufen fühlte. So spiegelt denn auch WACKENRODERs schmales Werk, das zu seinen Lebzeiten zumeist anonym und in der Bearbeitung TIECKs erschien, in Gedichten, Erzählungen und Kunstbetrachtungen das an der eigenen Person erlittene Auseinanderfallen von Ideal und Wirklichkeit in der modernen Welt. Durch die Flucht in die Innerlichkeit versuchte er diesem unerträglichen Zustand zu entgehen.
WACKENRODER ist damit der erste Dichter, der diesen Konflikt zwischen der „Poesie des Herzens“ und der „Prosa der Verhältnisse" (HEGEL), den bürgerliche Künstler der Moderne fortan oft zu ihrem Thema machten, so tief empfunden und so entschieden zum Ausdruck gebracht hat.

Die „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders“ erschienen 1796 anonym bei dem Berliner Verleger UNGER, 1799 folgten die „Phantasien über die Kunst für Freunde der Kunst", herausgegeben von TIECK. Hier wird ein Konzept der reinen Kunst entworfen, derer man nicht durch verstandesmäßiges Erfassen, sondern nur durch religiöse Verinnerlichung habhaft werden kann. Am vollkommensten sei dies in der Musik ausgeprägt.
WACKENRODERs und TIECKs Kunstauffassung hatte großen Einfluss auf die Musik des folgenden Jahrhunderts und auf das romantische Lebensgefühl und die Kunstauffassung beispielsweise der Nazarener [1], einer Malergruppierung, die sich verpflichtet hatte, in Rom streng nach religiösen Prinzipien zu leben und religiöse Themen im Stile DÜRERs und RAFFAELs zu malen, in einem ebenfalls strengen, sehr klaren Stil.

[1] Nazarener: Diese erste moderne Malervereinigung hatte sich 1809 in Wien gegründet und nannte sich zunächst Lukasbund, nach dem Vorbild der Lukasgilde. Ihr gehörten u. a. JOHANN FRIEDRICH OVERBECK und FRANZ PFORR, später auch PETER CORNELIUS und WILHELM VON SCHADOW – der Bruder des Bildhauers – an. Aus Protest gegen die Napoleonische Besatzung huldigten sie einer deutschtümelnden, patriotisch gesinnten und rückwärtsgewandten Mittelalterschwärmerei. 1810 siedelten sie in das Kloster San Isidoro nach Rom um und verpflichteten sich zu frommem Lebenswandel und religiöser Malerei nach dem Vorbild PERUGINOs, RAFFAELs und DÜRERs. Ihre Lebens- und Denkweise hatte die Züge einer Sekte. U. a. malten sie in Rom die Casa Zuccaro und die Villa Massimo aus.

„Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders“

Die „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders" (siehe PDF "Wilhelm Heinrich Wackenroder - Herzensergießungen") gelten als WACKENRODERs Hauptwerk. Zudem sind sie das einzige Werk, das zu seinen Lebzeiten erschien. Es handelt sich um eine Sammlung von Gedichten, Skizzen, Künstlernovellen, Kunstbetrachtungen, dargeboten aus der Sicht eines weltfremden, sich der Feier der Kunst und der Religion hingebenden Klosterbruders. Die Künstlerbiographien beruhen zum Teil auf den Beschreibungen des GIORGIO VASARI, auf die WACKENRODER in Göttingen von einem Lehrer aufmerksam gemacht wurde, zum Teil sind sie auch frei erfunden. Den großen Renaissance-Malern RAFFAEL, DA VINCI, MICHELANGELO und DÜRER wird in bezeichnenden Episoden ihres Lebens und in Lobeshymnen auf ihre Gemälde gehuldigt. Sie werden als Leitbilder dargestellt, die einen frommen Lebenswandel führen und einem gleichsam göttlichen Auftrag folgen, indem sie die Menschen lehren, den kleinen Kreis ihres Bewusstseins und ihrer Erfahrung zu überschreiten. TIECK hat an den „Herzensergießungen“ vor allem editorische Arbeit geleistet: In der Erstausgabe stammen die Vorrede und drei Zusätze von ihm.
WACKENRODER hat wiederum einige Abschnitte zu TIECKs Roman „Franz Sternbalds Wanderungen“ (1798) beigesteuert. Zudem hat er einen Ritter- und Schauerroman „Das Kloster Netley“ von RICHARD WARNER übersetzt, damals ein sehr beliebtes Genre. Abgedruckt wurde er 1799 in TIECKs „Sämmtlichen Werken“. Tiefes Kunsterleben hatte für WACKENRODER die Intensität religiöser Versenkung.

Bedeutung der Musik

Das Erleben und Erschaffen von Kunst kam in seinem Verständnis einer göttlichen Offenbarung gleich, in ihr finde eine schöpferische Ganzheit ihren Ausdruck. Diese Auffassung war als deutlicher Gegenentwurf zum analytischen Zergliedern und dem rationalistischen Weltbild der Aufklärung zu verstehen. Die 14 Aufsätze der „Herzensergießungen“ werden durch den Text „Das merkwürdige musikalische Leben des Tonkünstlers Joseph Berglinger“ abgeschlossen. Darin ist noch einmal dieBedeutung der Musik im Besonderen und das Zusammenwirken, die Totalität aller Künste, im Sinne des äthetischen Konzeptes der Romantik im Allgemeinen herausgehoben. Der Tonmeister Berglinger geht letztlich an dem Konflikt zwischen sich und der Gesellschaft zugrunde. Das letzte Stück der „Herzensergießungen...“ ist somit als eine Art innere Biographie des Autors zu lesen.

Werke (Auswahl)

  • „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders“ (1796, siehe PDF "Wilhelm Heinrich Wackenroder - Herzensergießungen")
  • „Phantasien über die Kunst für Freunde der Kunst“ (1799, siehe PDF "Wilhelm Heinrich Wackenroder - Phantasien über die Kunst")
  • „Franz Sternbalds Wanderungen“ (mit LUDWIG TIECK, 1798, siehe PDF "Ludwig Tieck - Franz Sternbalds Wanderungen")
  • „Schilderung der dramatischen Arbeiten des Meistersängers Hans Sachs“

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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