Wilhelm Heinrich Wackenroder: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders

WILHELM HEINRICH WACKENRODER (1773–1798), ein Schulfreund LUDWIG TIECKs (1773–1853), studierte einige Zeit an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen, die in jenen Jahren durch Erbschaft zu Preußen gekommen war. Dort in Franken gerieten beide Freunde im Sommer 1793 in Kontakt mit der italienischen und mittelalterlichen deutschen Kunst, die sie stark beeinflusste. Sie unternahmen weite Reisen, u. a. in die Fränkische Schweiz, den Frankenwald und das Fichtelgebirge. WACKENRODER notierte seine Eindrücke eifrig in sein Notizbuch, TIECK hielt seine Eindrücke in Reisebeschreibungen fest.

In der Folge der Ausflüge entstanden u. a. TIECKs Roman „Franz Sternbalds Wanderungen“(1798, siehe PDF "Ludwig Tieck - Franz Sternbalds Wanderungen"), sowie die „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders“ von WACKENRODER, an denen sich TIECK beteiligte. Letztere erschienen Ende 1796 in Berlin, als Jahr des Druckes wird jedoch 1797 angegeben.

„Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders“

Die „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders“ (siehe PDF "Wilhelm Heinrich Wackenroder - Herzensergießungen") gelten als WACKENRODERs Hauptwerk. Zudem sind sie das einzige Werk, das zu seinen Lebzeiten erschien (WACKENRODER wurde nur 25 Jahre alt). Es handelt sich um eine Sammlung von Gedichten, Skizzen, Künstlernovellen, Kunstbetrachtungen, dargeboten aus der Sicht eines weltfremden, sich der Feier der Kunst und der Religion hingebenden Klosterbruders. Kunstgenuss wird zu einem Akt religiöser Hingabe erhoben.

Die „Herzensergießungen...“ sind – u.a. auch durch die Wiederentdeckung des Mittelalters – ein Zeugnis des romantischen Lebensgefühls der beiden Freunde. Die Künstlerbiografien beruhen zum Teil auf den Beschreibungen des GIORGIO VASARI, auf die WACKENRODER in Göttingen von einem Lehrer aufmerksam gemacht wurde, zum Teil sind sie auch frei erfunden.
Den großen Renaissance-Malern RAFFAEL, DA VINCI, MICHELANGELO und DÜRER wird in bezeichnenden Episoden ihres Lebens und in Lobeshymnen auf ihre Gemälde gehuldigt. Sie werden als Leitbilder dargestellt, die einen frommen Lebenswandel führen und einem gleichsam göttlichen Auftrag folgen, indem sie die Menschen lehren, den kleinen Kreis ihres Bewusstseins und ihrer Erfahrung zu überschreiten.

TIECK, der „König der Romantik“, wie FRIEDRICH HEBBEL ihn nannte, hat an den „Herzensergießungen...“ vor allem editorische Arbeit geleistet: In der Erstausgabe stammen die Vorrede und drei Zusätze von ihm.

In TIECKs Erstausgabe des vergleichbaren Werks „Franz Sternbalds Wanderungen“(1798, siehe PDF "Ludwig Tieck - Franz Sternbalds Wanderungen") wird der Anschein erweckt, als hätten beide Freunde einander beim Abfassen ihrer Werke geholfen. Das bestreitet der Autor vehement:

„Aus der kurzen Nachrede, die ich in meiner Jugend dem ersten Teile des Buchs hinzufügte, haben viele Leser entnehmen wollen, als wenn mein Freund Wackenroder wirklich teilweise daran geschrieben hätte. Dem ist aber nicht also. Es rührt ganz, wie es da ist, von mir her, obgleich der Klosterbruder hie und da anklingt. Mein Freund ward schon tödlich krank, als ich daran arbeitete.“
(Tieck, Ludwig: Franz Sternbalds Wanderungen. Nachrede. in: Werke in vier Bänden, Band 1, München 1963, S. 986.)

Trotzdem ähneln sich beide Werke auffallend.

WACKENRODER und THOMAS MANN

Die Geschichte um „Das merkwürdige musikalische Leben des Tonkünstlers Joseph Berlinger In zwei Hauptstücken“ beschließt die „Herzensergießungen...“. Sie wurde von THOMAS MANN für dessen Werk „Doktor Faustus. Das Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn, erzählt von einem Freunde“ (1947) aufgegriffen. Hierin erzählt MANN die Geschichte eines sich dem Teufel verschreibenden Künstlers. Freilich war WACKENRODERs Erzählung nur eine der Anregungen für THOMAS MANN, ihm war die Verarbeitung des Faust-Stoffes viel wichtiger. Und so interessierte ihn die gesamte Geschichte des „Faust“, seit ihren Anfängen. An dieser wohl „deutschesten literarischen Figur“ ließ sich vortrefflich auch die Geisteshaltung der deutschen Intelligenz exemplifizieren. THOMAS MANN interessierte die Frage, wie sich deutsche Geistesgrößen nach 1933 vom Nationalsozialismus vereinnahmen lassen konnten und letztlich mitschuldig wurden am Tode von Millionen Menschen. Damit das „Böse“ nicht selbst erzählte, musste eine besondere Art Erzähler her: Der sollte nicht allwissend erscheinen und doch nahe an der Geschichte bleiben. Diesen fand er bei WACKENRODER. MANN interessierte daran die Erzählhaltung eines quasi Augenzeugen: Der Ich-Erzähler bei WACKENRODER gibt vor, sich

„an der Geschichte eines Künstlers zu versuchen, den ich seit seiner frühen Jugend kannte und der mein innigster Freund war.“

Dies greift MANN im „Doktor Faustus“ auf: Der Erzähler zieht sich in sein Studierzimmer zurück,

„um mit der Lebensbeschreibung meines in Gott ruhenden – o möge es so sein!  – in Gott ruhenden unglücklichen Freundes den Anfang zu machen“.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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