Kulturelle Leistungen der Byzantiner bis zum 11. Jahrhundert

Das Oströmische Reich entsteht – „Byzanz“

Als „Byzanz“ wurde das östliche Römische Reich mit der Hauptstadt Konstantinopel erst von den Humanisten der Renaissancezeit bezeichnet. Diese Bezeichnung geht auf eine Siedlung namens Byzantion zurück, die von Griechen an der Stelle des späteren Konstantinopel errichtet worden war. Die Byzantiner selbst verstanden sich dagegen als Römer (griech.: Rhomaioi) und rechtmäßige Nachfolger des Imperium Romanum. Mit der Gründung Konstantinopels durch Kaiser KONSTANTIN im Jahr 324 n. Chr., das bald darauf Rom als Hauptstadt ablöste, verlagerte sich der Schwerpunkt des Römischen Reiches nach Osten. Während die westlichen Provinzen von der Völkerwanderung stark angegriffen wurden, konnte der römische Staat im Osten überdauern und sich Konstantinopel als florierende Handelsstadt und kulturelles Zentrum zum „neuen Rom“ entwickeln.

Unter Kaiser THEODOSIUS I. wurde 391 n. Chr. das im Osten weitverbreitete Christentum zur römischen Staatsreligion erklärt und alle heidnischen Kulte verboten. Durch die Einsetzung seiner beiden Söhne ARCADIUS und HONORIUS als Regenten leitete THEODOSIUS I. 395 n. Chr. die endgültige Teilung des Römischen Reiches ein. Das Weströmische Reich konnte den wiederholten Angriffen diverser germanischer Stämme und der Ostgoten bald nicht mehr standhalten und ging 476 n. Chr. endgültig unter. Dagegen bildete sich im Osten eine eigenständige Kultur aus dem Zusammenspiel von griechischer Sprache und Kunst, orientalischen Einflüssen, römischer Staatsordnung und christlicher Religion heraus. Dieser byzantinischen Tradition entstammen die orthodoxe Kirche und die in Bulgarien, Serbien und Russland gebräuchliche kyrillische Schrift.

Anfänge der oströmischen Kultur

Eine Basis für das Entstehen der byzantinischen Kultur stellte die 425 von THEODOSIUS II. reformierte Universität Konstantinopels dar, in der 16 griechische und 15 lateinische Professoren Grammatik, Rhetorik, Philosophie und Recht unterrichteten. Gelehrte dieser Universität sammelten auch sämtliche seit Kaiser KONSTANTIN erlassenen Gesetze im 438 herausgegebenen „Codex Theodosianus“. Um die Westgoten von Konstantinopel fern zu halten, ließ THEODOSIUS II. 410 die große Landmauer von Konstantinopel errichten und machte die Hauptstadt zur stärksten Festung des Mittelmeerraums.

Zur Bedrohung von außen kamen religiöse Konflikte im Innern, die im 5. Jh. das Reich zu spalten drohten. Diese Auseinandersetzungen kreisten – vereinfacht gesagt – um das Problem, wie die menschliche Natur Christi mit seiner Göttlichkeit zu vereinbaren sei. Als Garant der rechtgläubigen Lehre (Orthodoxie) musste der Kaiser die unterschiedlichen religiösen Strömungen in Einklang bringen. Erschwert wurde dies durch die rivalisierenden Patriarchen (Bischöfe) Konstantinopels, Alexandrias und Antiochias. Insbesondere der mächtige, den ägyptischen Christen des Reiches vorstehende Patriarch von Alexandria, Kyrillos, griff die in Konstantinopel verbreitete Richtung scharf an. Auf zahlreichen Konzilen rangen deshalb Kaiser, päpstliche Delegaten, Patriarchen und Gelehrte um die richtige Glaubensauslegung und verurteilten religiöse Abweichler wegen Ketzerei.

Der kulturelle Aufschwung Ostroms unter JUSTINIAN I.

Die Kaiserkrönung JUSTINIANS I. leitete 527 einen rasanten Aufschwung des Oströmischen Reiches ein. JUSTINIAN wollte als Nachfolger der großen römischen Kaiser und Stellvertreter Gottes auf Erden weltliche und religiöse Macht in seiner Person vereinen. Das durch die Teilung und den Untergang Westroms zerfallene Imperium sollte in alter Größe wiedererrichtet werden (Renovatio Imperii). Tatsächlich gelang es JUSTINIANS Truppen, große Teile der einstigen weströmischen Gebiete zurückzuerobern und das oströmische Reich auf fast die gesamte Mittelmeerregion auszudehnen. Es erstreckte sich nun von Edessa im Osten bis Gibraltar und Südspanien im Westen.

Das byzantinische Reich unter Justinian I.

Das byzantinische Reich unter Justinian I.

Parallel zu den militärischen Erfolgen blühten unter JUSTINIAN auch Kultur und Handel auf. Als imposantes Zeugnis seines Anspruches, über Staat und Kirche zu herrschen, ist bis heute die „Hagia Sophia“ die Kirche der „Göttlichen Weisheit“ zu besichtigen. Obschon nach der osmanischen Eroberung Konstantinopels 1453 zur Moschee umgewandelt, gilt sie als das bedeutendste Werk der byzantinischen Architektur und vereint die beiden Haupttypen – Säulenbasilika und quadratischer Zentralbau mit Kuppel – des christlichen Kirchenbaus. Ihr Architekt war der herausragende Mathematiker ANTHEMIOS von Tralles. Zahlreiche weitere Kirchenbauten wurden in allen Provinzen des Reiches errichtet. Aber auch die Profanarchitektur, der Bau von Wasserleitungen (Aquädukten), Bädern, Palästen und Befestigungsanlagen, wurde vorangetrieben.

Neben der Architektur erreichte die Rechtswissenschaft in dieser Zeit einen Gipfelpunkt. Eine neue Gesetzessammlung, der „Codex Justinianus“ schuf die rechtliche Grundlage für den kaiserlichen Autokratismus mit christlicher Prägung und war Vorbild für die Rechtsordnung der meisten europäischen Staaten.

Auch in Literatur und Poesie entstanden beachtliche Werke, die in der Sprache der gebildeten Schicht, dem klassischen Griechisch verfasst wurden. Aus der Reihe von Dichtern und Schriftstellern des 6. Jh. sticht der Geschichtsschreiber PROKOP (oder: PROKOPIOS) hervor. Als Vertrauter und im Auftrag des Feldherrn BELISAR verfolgte er die Kriege gegen die Perser, Vandalen und Goten aus nächster Nähe mit, um sie dann in seinen „Historiai“ zu verewigen. Eine weitere Ruhmesschrift verfasste er über die Bautätigkeit des Kaisers JUSTINIAN. Das dritte von ihm geschriebene Werk – die „Geheimgeschichte“ – schlägt dagegen einen ganz anderen Ton an. In diesem Buch werden der Kaiser und seine einflussreiche Frau THEODORA, vor ihrer Heirat eine Tänzerin und Kurtisane, als mörderische Dämonen verleumdet.

Von der in klassischem Griechisch verbreiteten Hochkultur der Bildungszentren hob sich die Volkskultur sowohl sprachlich wie auch stilistisch ab. Die unter syrischem Einfluss entstandene volkstümliche Hymnen- und Liederdichtung fand Eingang in die liturgischen Gesänge des ROMANOS, die als kirchliche Vokalmusik bis heute ein fester Bestandteil des Gottesdienstes der christlich-orthodoxen Kirche ist.

Abbild des Heiligen – die Ikone

Besondere Beachtung in künstlerisch-religiöser Hinsicht verdient die Ikonendarstellung. Die Ikone, als Abbild eines Heiligen erhielt – im Zuge der wachsenden Reliquienverehrung – immer größeres Gewicht. Nicht allein der Reliquie, etwa einem Splitter des Christuskreuzes, wurden heilige Kräfte zugesprochen. Nach neuplatonischer Lehre (PLOTIN) gingen diese Kräfte auch vom Original auf sein Abbild, vom Archetypos auf die Ikone, über. Die in der griechisch-römischen Antike vorherrschenden Kunstformen der Skulptur und des Reliefs wichen einer flächigen Darstellung als Wandbild (Fresko) oder Mosaik.
Zu den bedeutendsten Kunstwerken der justinianischen Epoche zählen die großen, goldverzierten Wandmosaiken der Kirchen. Der Glanz des Goldes und der ebenfalls verwendeten Glassteinchen verliehen den abgebildeten Heiligen- und Kaiserfiguren ihre göttliche Ausstrahlung.
Die Ikonen-Kunst vermied den Eindruck räumlicher Tiefe und naturgetreuer Abbildung, um statt der menschlichen Gestalt dessen heiliges, übernatürliches Wesen zu symbolisieren. Deshalb erscheinen die Figuren flächig und frontal vor einem planen, häufig in Gold gehaltenen Hintergrund. Als Mittler zwischen heiliger und profaner Welt leistete die Ikone zudem einen wesentlichen Beitrag zur Festigung des Christentums in der überwiegend des Lesens und Schreibens unkundigen Bevölkerung.

Der Bilderstreit

Die Nachfolger JUSTINIANS I. konnten das von ihm errichtete Großreich nicht erhalten. Unter General PHOKAS, der 602 zum Kaiser ausgerufen wurde, endete – nach schweren militärischen Niederlagen und blutigem Terror gegen politische Widersacher – die römisch-imperiale Tradition. Seine Säule (PHOKAS) ist das letzte auf dem Forum Romanum in Rom errichtete Monument.

Der nächste Kaiser HERAKLIOS unternahm eine umfassende Verwaltungsreform, mit der die einzelnen Provinzen zu militärischen Verwaltungseinheiten (Themen) unter dem Kommando eines Generals (Strategen) umgestaltet wurden. Dadurch sollten die Grenzen des durch die Gebietsverluste drastisch verkleinerten Reiches gegen die andrängenden Slawen und das islamische Kalifat verteidigt werden. Mit dem Verlust der Ostprovinzen war jedoch auch der Konfliktherd verschwunden, der die Einheit der christlichen Orthodoxie über mehrere Jahrhunderte gefährdet hatte. Die orthodoxe Kirche schwang sich zur einheitsstiftenden Kraft des Byzantinischen Reiches auf, dessen Einwohner nun überwiegend dem griechischen Kulturkreis (Hellenismus) entstammten.
Im 8. Jh. rief allerdings der Bilderstreit einen neuen religiös geprägten Konflikt hervor. Nach orthodoxer Lehre sollte nicht das Bild, sondern der abgebildete Heilige verehrt werden. In der Volksreligion hatte sich diese feinsinnige Unterscheidung jedoch abgeschliffen. Das Bild selbst wurde zum Gegenstand der Anbetung, weil man sich von ihm wundertätige Hilfe versprach. Diese vor allem im griechischen Osten des Reiches weitverbreitete Ikonenverehrung wurde von Gegnern (den Ikonoklasten = Bilderzertrümmerern) als heidnischer Götzenkult angeprangert. Kaiser LEON III. verbot daher im Edikt von 726 den Bilderkult und löste aber damit gewalttätige Unruhen aus.

In dem Streit zwischen den Ikonodulen (Bilderverehrern) und den Ikonoklasten prallten nochmals zwei unterschiedliche Traditionen des Reiches aufeinander:

  • die griechisch-römische Tradition bildlich-künstlerischer Götterverehrung
  • und die orientalische Tradition des Bilderverbots.

Entschieden wurde dieser Konflikt zugunsten der Ikonodulen auf dem letzten ökumenischen Konzil, das 787 in Nikaea tagte.
Dieser Beschluss war wegweisend für die byzantinische Kultur. Sie nahm zwischen der orientalischen Welt des Islam und der westlichen Welt des beginnenden Mittelalters eine Mittelstellung ein. Der Bilderstreit führte nicht zur Spaltung des Reiches, sondern erwies sich als Ausgangspunkt für den Wiederaufstieg von Byzanz im 10. und 11. Jh. unter makedonischer Herrschaft.

Die byzantinische Hochkultur im 10. und 11. Jh.

Zwischen 867 und 1056 konnten Kaiser MICHAEL III. und seine Nachfolger große Teile der an Bulgaren und Araber verlorenen Gebiete zurückerobern. Im Jahr 944 gelang es, eine der berühmtesten Reliquien, das wundertätige Bild Christi („Mandylion“ genannt), aus der den Arabern entrissenen Stadt Edessa nach Konstantinopel zu schaffen. Während dieser Phase militärischer und wirtschaftlicher Stärke entfaltete sich auch das kulturelle Leben in Byzanz. Zu den herausragenden Leistungen der makedonischen Ära zählen die unter Kaiser LEON VI. verfassten „Sechzig Bücher der Basiliken“, in denen die gesamte Rechtsordnung in griechischer Sprache neu aufbereitet wurde.

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