Willem Barents – Suche der NO-Passage durch das Eismeer

Die NO-Passage durch das Nördliche Eismeer nach „Indien“

Im 16. Jh. gelang es England und den Generalstaaten der Niederlande, die Vormachtstellung der Weltmacht Portugal in Ost- und Südostasien, u. a. in Indien und China, zurückzudrängen. Von da an konnten die Handelsschiffe holländischer Kaufleute relativ ungestört die Schiffsroute um Südafrika nach „Indien“ benutzen, die vom Portugiesen VASCO DA GAMA entdeckt worden war.
Andererseits vermuteten die Holländer, dass es eine kürzere Schiffsroute zu den Reichtümern Asiens geben musste: die NO-Passage durchs Nördliche Eismeer entlang der Nordküste des Kontinentes Asien.
Jede holländische Stadt, die auf eigene Kosten Expeditionsfahrten ins Nördliche Eismeer ausrüstete, konnte deshalb mit der Unterstützung der Generalstaaten rechnen. Zwischen 1594 und 1597 unternahmen die Holländer drei Expeditionen, um den Seeweg nach China und zu den Gewürzinseln Südostasiens zu finden. Alle drei Fahrten sind mit dem Namen von WILLEM BARENTS verbunden, der an ihnen als Steuermann teilnahm.
Holländer waren neben Engländern im 16. Jh. die ersten Westeuropäer, die das Nördliche Eismeer auf der Suche eines Seewegs nach Ostasien erkundeten. Es sollte aber noch bis weit ins 19. Jh. hinein dauern, bis dem Schweden ADOLF ERIK NORDENSKIÖLD mit seinem Schiff „Vega“ die Durchfahrt durch die NO-Passage gelang, die heute als Nördlicher Seeweg bezeichnet wird.

Niederländer auf der Suche nach der NO-Passage

Amsterdamer Kaufleute waren trotz aller bisherigen witterungsbedingten Fehlschläge davon überzeugt, dass Asien auf einer nördlichen Route umfahren werden konnte. Die Holländer rüsteten 1596 eine weitere Expedition aus. Am 10. Mai 1596 verließ die Expedition auf zwei Schiffen Amsterdam. WILLEM BARENTS fuhr als Steuermann auf einem der beiden Schiffe. Es war die dritte und letzte holländische Eismeerunternehmung. Sie verfolgte das alleinige Ziel, die NO-Passage nach China und Indien zu finden.
Dank der überlieferten Tagebuchnotizen von BARENTS erfuhr die Nachwelt von den Leistungen und Entbehrungen dieser Männer, die als erste Westeuropäer im Nördlichen Eismeer zu überwintern gezwungen waren. Sie belegen aber nicht zuletzt auch das Scheitern der Expedition.
Folgen wir Auszügen des Berichts.

Umkehr vor Spitzbergen

Monate nach dem Verlassen Hollands entdeckten die niederländischen Seefahrer die Bäreninsel, die nördlich von Norwegen liegt, und ein weiteres Land, dass sie zunächst für einen Teil Grönlands hielten. Später stellte sich aber heraus, dass es sich um die Küste Spitzbergens, einer noch weiter nördlich liegenden Insel, handelte, die aber für sie unerreichbar blieb, denn das Eis wurde immer dicker und zwang die Schiffe zur Umkehr. Über den Weg zurück gab es aber keine Einigung zwischen den beiden Kapitänen. Das eine Schiff kehrte um. Das andere mit BARENTS als Steuermann nahm Südwestkurs auf die Insel Nowaja Semlja.

An der Ostküste von Nowaja Semlja zur Überwinterung gezwungen

Nachdem die Nordmeerfahrer schon einmal vor Spitzbergen vom Eis an der Weiterfahrt gehindert worden waren, kam ihr Schiff auch vor Nowaja Semlja nur noch äußerst mühsam voran. Die Männer um BARENTS fuhren die Küste Nowaja Semljas nordostwärts entlang, ständig bedroht von Eisbergen und Eisschollen. Am 19. August umsegelten sie auf 76° nördlicher Breite endlich den nördlichsten Punkt der Insel. Gerade aber nur vier Meilen kamen sie an ihrer Ostküste südostwärts voran. Dann war das Eis so stark, dass das Schiff in einen Eishafen, eine vereiste Bucht, gedrängt wurde, aus dem es kein Entrinnen mehr gab. Ende August war das Schiff dann restlos vom Eis eingeschlossen. Es wurde von den Eismassen mehrfach ausgehoben und dabei stark beschädigt.

Ein Blockhaus für den Winter wird gezimmert

Bis September verschlechterte sich der Zustand des Schiffes immer mehr. Das Eis drückte immer stärker gegen die hölzernen Schiffswände, die wenig später völlig eingedrückt wurden. Den Männern gelang es gerade noch, eines der Beiboote mit Lebensmitteln zu bepacken und an Land zu schieben. Ein Teil der Mannschaft erkundete die Küste, um eisfreie Wasserflächen für die Rückfahrt zu suchen.
Letztendlich waren aber die mutigen Seefahrer gezwungen, in dieser unwirtlichen Gegend zu überwintern.
An Land gespültes Treibholz, herangeschwemmt von den Flüssen Sibiriens, lieferte das Baumaterial für eine Hütte und war das Wärme spendende Feuerholz während des langen eisigen Winters. Das Holz musste über etwa sechs Kilometer Entfernung von der Küste bis zur Hütte auf nur notdürftig zusammengezimmerten Schlitten herbeigeschafft werden. Es war klirrend kalt, und starke Schneefälle und Stürme behinderten die Arbeit.
Unter diesen Bedingungen musste auch das stark beschädigte Schiff vollständig entladen werden. Am 2. Oktober begannen die Männer die vorgefertigten Teile des Hauses zusammenzubauen. Bretter für das Hausdach holten sie sich vom Schiff. Mit dem Werg aus den Schiffswänden dichteten sie das Haus gegen die scharfen Eiswinde ab. Erschwert wurden die Arbeiten nicht nur durch die heftigen Schneestürme, sondern auch durch sehr lästige Eisbären. Zehn Tage nach Baubeginn konnten die Männer erstmals in ihrem Haus übernachten. Es besaß aber noch keine Feuerstelle und noch keinen Rauchabzug. „Erleuchtet“ wurde das Haus nur von einer Lampe, die mit Bärenfett brannte. Bevor die lange Polarnacht vollständig angebrochen war, holten die Männer noch die letzten gebrauchsfähigen Dinge zum Überleben vom Schiff.

Frostbeulen in der Polarnacht

Im November war dann Polarnacht. Der Frost war so grimmig, dass niemand ins Freie konnte. Um das Haus herum tummelten sich Polarfüchse, die die Männer mit Schlingen und Fallen fingen. Mit Fuchsfellen fütterten sie ihre Kleidung.
Im Dezember kam es noch schlimmer: Die große Kälte zwang dazu, den Rauchabzug meist geschlossen zu halten. So konnte nur selten Feuer gemacht werden, um Rauchvergiftungen zu vermeiden. Brannte das Feuer aber nicht, musste die Mannschaft in den Kojen bleiben. Auf den Decken und den Kleidungsstücken bildeten sich dann zentimeterdicke Eisschichten. Im Freien froren die Schuhe an den Füßen fest. Deshab wurden sie durch mehrere Lagen Socken und Lappen ersetzt.
Trotz der grimmigen Kälte mussten dennoch dringende Arbeiten erledigt werden: So musste jeden Tag der Schnee geräumt werden, um den Zugang zur Hütte freizuhalten. Brennholz musste beschafft, und auch die Fuchsfallen mussten täglich kontrollierte werden. Wer dabei zu lange draußen blieb, kam mit Frostbeulen im Gesicht zurück.
Trotz aller Anstrengungen gelang es immer weniger, die erforderliche Menge Brennholz unter dem Schnee auszugraben. Außerdem wurde es Ende Dezember so dunkel, dass die Männer selbst einander nicht mehr erkannten, und zum Jahreswechsel war es dann so kalt, dass das Feuer in der Hütte die froststarre Kleidung nicht mehr auftauen konnte.

Erschöpfung, Krankheit und – endlich – Frühling

Nach dem Jahreswechsel auf 1597 kehrte langsam der Polartag zurück. Ende Januar zeigte sich zum ersten Mal wieder der Rand der Sonne am Horizont. Im Februar war dann der ganze Sonnenball über dem Horizont sichtbar.
Dennoch schneite es noch unaufhörlich. Auch die Bären waren wieder da. Ein Bär wurde erlegt. Mit seinem Fett konnte endlich die Lampe öfter brennen. Weil das Feuerholz langsam knapp wurde, wurden einige Männer zum Holzplatz an der Küste geschickt. Doch den völlig erschöpften Männern war der voll beladene Schlitten zu schwer. Einigen froren sogar die großen Zehen ab. Immer mehr Männer erkrankten auch an Mangelkrankheiten. Erkältungskrankheiten überlebten die meisten nur dank erhitzter Steine in den Kleidern.
Wechselhaftes Wetter führte im Verlaufe des März zu einem Aufbrechen der Eisfläche, sodass es immer gefährlicher wurde, Brennholz vom Schiff herbeizuholen. Den Männern klang das schreckliche Getöse des aufbrechenden Karischen Meeres nun fast ständig in den Ohren.
Sie konnten jetzt fast täglich ins Freie, mussten sich aber vor den Bären in Acht nehmen. Am 18. April 1597 wurde erstmals wieder ein Vogel gesichtet – ein untrügliches Zeichen dafür, dass der Frühling nahte. Auch die Kälte ließ nach, und ab Monatsende blieb die Sonne selbst um Mitternacht noch über dem Horizont. Der Polartag hatte begonnen.

Vorbereitung der Rückkehr nach Holland

Als es Mai wurde und der letzte Pökelfleischvorrat aufgegessen war, drängte die Mannschaft darauf, endlich die Rückkehr vorzubereiten. Ende Mai wurde dafür das eine Beiboot aus dem Schnee gegraben. Die Seitenwände des Bootes wurden mit den Dielenbrettern der Hütte erhöht, und Segel wurden angefertigt. Da die ganze Mannschaft physisch erschöpft war, ging das alles nur sehr langsam voran. Immer wieder störten Bären die Arbeiten. Nach dem Verzehr von Bärenleber brach zudem noch eine lebensgefährliche Krankheit aus.
Im Juni schleppten die Männer das zweite Beiboot an Land und bereiteten es für die Fahrt vor. Mühsam wurde vom Haus zum Schiff und von dort zum offenen Meer ein Weg freigeschaufelt, um Waren und Boote ans Wasser transportieren zu können. Bevor die Hütte verlassen wurde, hinterlegte WILLEM BARENTS, der ebenfalls erkrankt war, im Rauchfang Notizen über die Überwinterung.
Mannschaft und Gepäck wurden nun auf die beiden kleinen Boote verteilt. Alle Mannschaftsmitglieder unterschrieben noch einen Abschiedsbrief für den Fall, dass man die Heimat nicht erreichte.

BARENTS' Tod

Am 14. Juni 1597 fuhren die Boote in nordöstlicher Richtung ab. Wegen des Eises kamen sie nur langsam vorwärts. Unterwegs wurde der Eisdruck auf die Boote so stark, dass man sie aufs Eis ziehen musste. Auf dem Eis wurden die Boote entladen und ausgebessert. Da die Weiterfahrt auf dem Wasser nicht möglich war, mussten die Boote über das Eis gezogen werden. Bei einigen Mitgliedern der ohnehin gesundheitlich geschwächten Mannschaft führte das zur völligen Erschöpfung.
Am 20. Juni 1597 starb WILLEM BARENTS auf dem Eis. Auch weitere Matrosen ereilte dieses Schicksal.

Eisbarrieren, Skorbut und Begegnung mit Russen

Erst Anfang Juli konnte die Fahrt zu Wasser fortgesetzt werden.
Die Eisscholle, auf der die Boote gelegen hatten, war in viele Stücke zerbrochen. Dadurch ging ein großer Teil des Gepäcks verloren. Die Mannschaft konnte sich gerade noch an Land retten. Dort wurden die Boote ausgebessert. Ein weiterer Seemann starb. Vögel wurden gejagt und Bären abgewehrt. Wasserfahrt und mühsame Überwindung von Eisbarrieren wechselten sich ab. Die Nahrung der Mannschaft bestand fast nur noch aus gefangenen Seevögeln und aufgelesenen Eiern. Skorbut, eine der gefährlichsten Mangelkrankheiten bei Seefahrern dieser Zeit, breitete sich aus. Es mag deshalb eine große Erleichterung für die Holländer gewesen sein, als sie Ende des Monats zwei russische Schiffe sichteten. Die Begegnung mit den Russen verlief freundschaftlich, obwohl es sprachliche Verständigungsschwierigkeiten gab. Von den Russen bekamen die Holländer Nahrungsmittel.
Die Weiterfahrt nach Süden erfolgte zunächst gemeinsam mit den Russen, deren Schiffe sich aber bald im Eis verloren. Anfang August war die Meeresoberfläche dann endlich eisfrei.
Die Holländer verließen nun die Küste von Nowaja Semlja in südlicher Richtung und betraten nach zwei Tagen das russische Festland. Mithilfe eines Einheimischen trafen die Überlebenden der dritten Nordmeerexpedition hier Ende August auf holländische Landsleute, die sich auf Handelsfahrt befanden.
Am 1. November 1597 kehrten zwölf Überlebende von BARENTS' dritter Fahrt in das Nördliche Eismeer an den Ausgangspunkt der Expedition, nach Amsterdam, zurück.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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