Jugendstildesign

Jedes noch so komplizierte Barockornament wurde schnell, preiswert und in großen Mengen maschinell hergestellt. Das bedeutete zwar maschinengepresst statt handgeschliffen, aber entsprach durchaus dem Anspruch nach üppiger Dekoration und Zierrat, auch als billige Kopie.

Während der Ingenieurbau neue Materialien und Fertigungstechniken schon materialgerecht in kühnen Konstruktionen mit einer sachlich-konstruktiven Formensprache schuf (z. B. Glaspalast, London: 1850/51; Eiffelturm, Paris: 1889), ähnelten die Theater, Bibliotheken und Universitäten griechischen Tempeln oder gotischen Kathedralen.

Ausweg aus der „Industrialisierung des künstlerischen Prozesses“

Künstler und Formgestalter suchten einen Ausweg aus der „Industrialisierung des künstlerischen Prozesses“. Sie wandten sich gegen die Trennung von Entwurf und Ausführung, gegen das Kopieren unzeitgemäßer Formen, das Vortäuschen bestimmter Herstellungsverfahren und Materialien und die Versachlichung der Produktwelt durch die maschinelle Herstellung.

Angeregt durch die englischen Reformbewegungen und die Ideen WILLIAM MORRIS orientierten sich die Künstler wieder an den herkömmlichen Produktionsmethoden und Formen, die der Natur entlehnt waren. Dieser Stil, genannt floraler Stil, war gekennzeichnet durch organische Formen, die an sich windende Schlingpflanzen, Frauenhaare, Wellen u.a. erinnern. Gerade in der Möbelproduktion war es das Ziel, die stilisierten Naturformen nicht nur als reines Dekor zu verwenden, sondern die funktionalen Bestandteile in dieser Form zu veredeln.

Neben dem floralen Stil mit seinen sich überschneidenden oder auseinander strebenden geschwungenen Linien und Formen entwickelte sich eine andere, eine geometrische Ausrichtung des Jugendstils. Als Gestaltungsprinzip dominierten Waagerechte und Senkrechte, die eine strenge Funktionalität ausstrahlten. Vertreter dieser Richtung waren z.B. JOSEF HOFFMANN und OTTO WAGNER.

Vereinigung von Künstlern und Designern

Die Schaffung von Gesamtkunstwerken durch die Vereinigung und Durchdringung aller Künste und des Handwerks wurde zum Ziel des Jugendstils, deren ideale Ausführung sich im „Bau“ verwirklichte. Zu diesem Zweck schlossen sie sich vielerorts Künstler und Kunsthandwerker zu Vereinigungen/Werkstätten (1897: Wiener Sezession, 1892: Münchener Sezession) zusammen.

Der wachsende Bedarf und die Konkurrenzsituation Konsumgüter produzierender Unternehmer hatten die relativ rasche Vereinnahmung des Jugendstils durch die industrielle Produktion zur Folge. Anonyme Musterzeichner übernahmen die Formsprache des Stils, Maschinen die Fertigung für den Massenkonsum.

Die Bedeutung des Jugendstils liegt vor allem in der Überwindung des Historismus und in der Schaffung herausragender Kunstwerke mit einem einzigartigen künstlerischen Ausdruck, auch wenn aus ihrer Ablehnung der Industrie keine wirkliche Alternative entstand.

Mit Beginn des Ersten Weltkrieges endete der Jugendstil. Nach Beendigung des Krieges wurden zahlreiche Stilelemente des Jugendstils im Art déco übernommen.

Art déco

Der Begriff Art déco leitet sich von der internationalen Kunstgewerbeausstellung 1925 in Paris ab und wurde bis 1930 für dekorativ-künstlerische Tendenzen gebraucht. Wie die Ausstellung selbst, von der sich progressive Designer wie LE CORBUSIER kritisch distanzierten, lebte auch der Art déco nicht von einheitlichen, konsequenten Vorstellungen, etwa im Sinne von Funktionalität, sondern von der Mischung sehr unterschiedlicher Komponenten.

Der Art-déco-Stil war primär auf alle Bereiche der Innenausstattung, im weiteren Sinne auch auf Plakat- und Buchkunst sowie auf Malerei (TAMARA DE LAMPICKA) und Kleinplastik gerichtet. In ihm lebten Elemente des Jugendstils fort, die innerhalb des Art déco ihr Spätwerk vorstellten, etwa MAURICE DUFRÊNE und RENÉ LALIQUE.

In der Möbelkunst arbeiteten die Entwerfer des Art déco bevorzugt mit teuren und ungewöhnlichen Materialien. Zu den führenden unter ihnen zählen ÉMILE-JAQUES RUHLMANN, EILEEN GRAY und PIERRE LEGRAIN.

Die Tapisserie erhielt durch SONIA DELAUNAY-TERK, die Silberschmiedekunst durch JEAN PUIFORCAT, GÉRARD SANDOZ, JEAN FOUQUET und RAYMOND TEMPLIER bedeutende Impulse, die Glaskunst durch LALIQUE und MAURICE MARINOT.

Gemeinsam ist allen Objekten eine geometrische Struktur, gemischt mit andersartigen – etwa floralen – Elementen. Verwandte Entwicklungen der Art déco, die von Frankreich ausging, finden sich in allen europäischen Ländern und den USA, dort besonders auch in der Architektur (Chrysler Building in New York, 1930 vollendet). In England wirkten sich ihre Einflüsse erst um 1930 aus, lebten dort aber bis in die späten Vierzigerjahre fort. Auch japanische Firmen stellten für den Export Objekte in
Art-déco-Manier her.

Bedeutende Jugendstilzentren

Belgien (Style)

  • Brüssel, Zentrum des belgischen Jugendstils, besonders ausgeprägt in der Architektur
  • VICTOR HORTA (1861–1947) erschuf neue Raumkonzeptionen
  • Freilegung der Bauelemente statt Verkleidung
  • neuartige Verbindungen von Glas und Metall
  • geschwungene Treppenläufe, kunstvolle gusseiserne Geländer, Balkone und Tore (französischer Einfluss)
  • schwungvolle Decken- und Wandverziehrungen
    Werke: Haus Solvay, 1895–1900, Brüssel; Kaufhaus „Grand Bazar Anspach“, 1903, Brüssel; HENRY VAN DE VELDE (1863–1957)
  • um 1893 Zuwendung zur angewandten Kunst
  • besondere Leistungen im Jugendstil im Bereich der Innenarchitektur und des Kunstgewerbes
  • Möbeldesign gekennzeichnet durch ausgewogene Proportionen, elegante Linien, konstruktiver Aufbau (englischer Einfluss)
  • Schaffung von Gebrauchsgegenständen, z. B. Geschirr, Besteck u. a.
  • Inneneinrichtungen zeigen Symbiose von Funktion und Ornament
    Werke: Friseursalon „Haby“, 1901, Berlin; Lesezimmer im Nietzsche-Archiv, 1903, Weimar

Frankreich (Art nouveau)

  • Paris und Nancy, Zentren des französischen Jugendstils
  • HECTOR GUIMARD (1876–1942) Gestaltung der Metroeingänge um 1900 von besonderer Blütenart inspiriert
  • Schmuckgestaltungen von FOUQUET oder LALIQUE in pflanzlichen, weiblichen oder tierischen Formen verbreiteten sich in ganz Europa
  • EMILE GALLÉ (1846–1904) berühmt für seine Technik der Glasherstellung
  • vielfältige Variationen von ineinander fließenden Farben und Formen

England (Modern Style)

  • CHARLES RENNIE MACKINTOS (1868–1928) berühmtester Vertreter des britischen Jugendstils
  • in Glasgow Gründung der Gruppe „The Four“
    bedeutendstes Werk: der Erweiterungsbau der School of Art (1909 fertiggestellt)
  • Kennzeichen des Designs wurde die konstruktive Strenge des rechten Winkels, lange gerade Linien, sorgfältig gesetzte Flächen, kühle Farben (Weiß, Grün, Grau, Schwarz)
  • im Gegensatz zur floralen Dynamik des Jugendstils, klare strenge Wirkung der Möbel
    Werke: Stuhl „Hill House1“, 1903; Sessel „Willow 1“, 1901

Deutschland

  • München und Darmstadt, Zentren des deutschen Jugendstils
  • „volkstümliche“ Variante des Jugendstils
  • Durchbruch neuer Formensprache mit der Gestaltung des Hof-Ateliers „Elvira“, 1897/98 von AUGUST ENDELL (1871–1925)
  • Zusammenschluss der Künstler zur Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen in den „Münchner Werkstätten“ 1898
  • Mitglieder: HERMAN OBRIST, RICHARD RIEMERSCHMID, BERNHARD PANKOK u. a.
  • Darmstadt als Beispiel für Kunstmäzenat im Jugendstil – Großherzog LUDWIG VON HESSEN förderte durch den Bau der Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe Künstler, die der Idee des Jugendstils verbunden waren.
    Ursprünglich beteiligt: J. MARIA OLBRICH, P. HUBER, L. HABICH, R. BOSSELT, H. CHRISTIANSEN, P. BÜRCK, P. BEHRENS
  • neun Häuser im Jugendstil konstruiert und eingerichtet
  • regelmäßige Ausstellungen bis 1914 zu modernem Bauen und Wohnen

Österreich

  • Wien, Zentrum des österreichischen Jugendstils, besonders ausgeprägt im Bereich der Architektur
  • Architekt OTTO WAGNER (1841–1918) – Beeinflussung der Künstler ADOLF LOOS, JOSEPH HOFFMANN, JOSEPH MARIA OLBRICH
  • kein ausgeprägter organischer Jugendstil, sondern eher geometrische Ausrichtung mit klaren Flächen, geraden Linien und aufwendigen Einzelornamenten
  • Werkbeispiel: O. WAGNER, Postsparkasse Wien, 1904–1906
  • 1897 Vereinigung progressiver Künstler, Architekten und Kunsthandwerker in der Wiener Sezession, als Demonstration der Ablehnung überholter und erstarrter Kunstformen und Regeln
  • 1903 Entwicklung zu den Wiener Werkstätten mit dem Ziel der modernen Gestaltung aller Lebensbereiche (1932 geschlossen)

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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