Jazz als Sonderform der populären Musik

Charakteristik und Hauptformen des Jazz

Kennzeichen des Jazz sind:

  • ein bestimmtes Verhältnis zur musikalischen Zeit (swing);
  • sein Verhältnis zur musikalischen Form im Spannungsfeld zwischen Komposition und Improvisation;
  • ein Konzept des Musizierens, das die Pole Spontaneität, Individualität und Kollektivität umfasst.

Jeder Stil in der mehr als einhundertjährigen Entwicklung dieser Musik hat dafür neue musikalische Lösungen hervorgebracht.

Hauptformen des Jazz

Hauptformen des Jazz

Jazz als Sonderform der populären Musik - Hauptformen des Jazz

Die Hauptformen des Jazz umspannen Gegensätze, die vom einfachen Two-beat-Spiel des New Orleans Jazz

  • bis zu den irregulären Rhythmen in den entwickelten Spielweisen des Modern Jazz,
  • von der nahezu durchkomponierten Form des Swing-Stils
  • bis zur freien Improvisation im Free Jazz reichen.

Dass sich der Jazz nicht durch einen Kanon ganz bestimmter Musizierprinzipien definiert, macht die Dynamik seiner Entwicklung aus – auch wenn innerhalb der einzelnen Stilkonzepte grundlegende musikalische Verbindlichkeiten existieren. Jazz stellt damit eine ständige Herausforderung an die Kreativität des Musikers dar, was sich in einer unüberschaubar gewordenen Vielzahl von Spielweisen und Stilformen niederschlägt.

Ursprünge des Jazz – archaischer Jazz, New Orleans Jazz, Chicago Jazz

Die Ursprünge des Jazz liegen in der afroamerikanischen Volksmusik, in Blues und Ragtime. Vorbereitet wurde er durch eine Reihe von Instrumentalstilen, die als Straßenmusik in den Städten des Südens der USA unter den afroamerikanischen Street oder Marching Bands bzw. Brass Bands entstanden und oft auch unter der Bezeichnung archaischer Jazz zusammengefasst werden. Diese Bands verschmolzen die Eigenheiten der afroamerikanischen Musik in Spielweise, Timbre, Rhythmus und Intonation mit dem europäischen Repertoire der Blasmusik, das sie imitierten.

Einen ersten Höhepunkt hatte der sich herausbildende Jazz zu Beginn des 20. Jh. in New Orleans, was dieser Entwicklungsphase nachträglich auch die Bezeichnung New Orleans Jazz eingebracht hat. Das Zusammenspiel der Bands war hier durch eine einfache Funktionsteilung der Instrumente geregelt, die sich durch die Entwicklung des Jazz hindurch zieht. Große Trommel, kleine Trommel und Tuba gaben den vom Marsch abgeleiteten Rhythmus vor (Rhythm Section), während Kornett, seltener Trompete, Posaune und Klarinette als Melodieinstrumente (Melody Section) den homophonen Satzaufbau der nachgespielten Stücke linear auflösten, indem sie die Mittelstimmen improvisierend variierten.

Auftritt einer Jazz Band in der Preservations Hall in New Orleans (Louisiana, USA), dem Mekka des traditionellen Jazz

Auftritt einer Jazz Band in der Preservations Hall in New Orleans (Louisiana, USA), dem Mekka des traditionellen Jazz

Sonderform der populären Musik, Jazz - Jazz Band in der Preservations Hall

Im Chicago der 1920er-Jahre begannen sich dann auch weiße Musiker um einen eigenständigen Beitrag zur Entwicklung dieser Musik zu bemühen, der als Chicago-Stil in die Jazzgeschichte eingegangen ist.

Eine bedeutende Rolle in der Herausbildung des Chicago Jazz spielte die 1922 an der Chicagoer Austin High School als Schüler-Band gegründete AUSTIN HIGH SCHOOL GANG. Zu ihren Gründungsmitgliedern gehörten

  • der Kornettist und Trompeter JIMMY MCPARTLAND (1907–1991),
  • dessen Bruder DICK MCPARTLAND (1905–1957) als Gitarrist,
  • JIM LANIGAN (1902–1965) am Klavier,
  • der Klarinettist FRANK TESCHEMACHER (1906–1932) und
  • der Tenorsaxophonist BUD FREEMAN (1906–1991).

Sie führten die Soloimprovisation in den Jazz ein, mit der sich der Übergang vom melodiebezogenen kollektiv-variativen Improvisationsverfahren des New Orleans Jazz zur solistisch freien Stimmerfindung über der Harmoniefolge des Themas vollzog. Damit begann die allmähliche Umwertung des Jazz in eine Musik, die nicht mehr nur als Tanzmusik, sondern zunehmend auch um ihrer selbst willen, als Form der Entfaltung individueller Kreativität und spieltechnischer Virtuosität gespielt wurde.

Swing

Mit dem Swing setzte sich der Jazz in den 1930er-Jahren weltweit erst einmal als Tanzmusik durch. Der Swing-Stil wurde in der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre vor allem in den Big Bands von

  • FLETCHER HENDERSON (1898–1952) und
  • DUKE ELLINGTON (1899–1974)

geprägt. Mitte der 1930er-Jahre wurde er durch die spektakulären Erfolge des Orchesters von BENNY GOODMAN (1909–1986), der auch den Beinamen „King of Swing“ führte, zu einem Massenphänomen. Er zog die Jugend der damaligen Zeit in seinen Bann und äußerte sich auch in wilden Tanzmoden.

Das im Swing-Stil vorherrschende Big-Band-Konzept brachte mit der Notwendigkeit des Durcharrangierens der Stücke eine wesentliche Erweiterung der harmonischen Basis des Musizierens.

Bebop

Aus den Big Bands traten aber auch immer wieder Experimentalformationen hervor, die sich – obwohl im Schatten der zunehmend kommerzieller werdenden Big-Band-Shows – als entscheidend für die Weiterentwicklung des Jazz erwiesen. Hier knüpften in den 1940er-Jahren die Musiker des Bebop an, die als Gegenreaktion auf den inzwischen weitgehend kommerzialisierten Big-Band-Swing eine Erneuerung des Jazz anstrebten. Sie knüpften an das in dieser Zeit erstarkende politische Selbstbewusstsein der Afroamerikaner an und wandten sich dabei bewusst gegen die Orientierung an den Unterhaltungsbedürfnissen der weißen Bevölkerungsmehrheit in den USA.

Bebop war das Produkt eine Gruppe junger farbiger Musiker aus New York und Kansas City, darunter

  • der Trompeter DIZZY GILLESPIE (1917–1993),
  • der Altsaxophonist CHARLIE PARKER (1920–1955),
  • der Pianist THELONIOUS MONK (1920–1982),
  • der Gitarrist CHARLIE CHRISTIAN (1919–1942) und
  • der Schlagzeuger KENNY CLARKE (1914–1985),

die sich nach ihren offiziellen Verpflichtungen in diversen Nachtklubs regelmäßig trafen und zusammenspielten.

Der Bebop löste den Jazz endgültig aus seiner funktionalen Bindung als Tanzmusik und eröffnete damit den Musikern völlig neue künstlerische Freiräume zur Entfaltung ihrer Kreativität.

  • Wachsende Individualisierung der Spielweisen sowie
  • eine zunehmende Komplexität und Differenziertheit des Musizierens

kennzeichneten jetzt den Jazz, der sich nun in die unterschiedlichsten, oft geradezu gegensätzlichen Stilrichtungen zu entwickeln begann. Die Folge Thema – Improvisationen – Thema, die vorherigen Absprachen über Formverlauf, Rhythmus und thematisches Material (Head Arrangement) wurden dabei allmählich aufgegeben und durch individuelle Spielkonzepte ersetzt.

Free Jazz

Um 1960 leitete dies die als Free Jazz, gelegentlich auch als Creative Music, New Thing, Total Music bezeichnete Entwicklungsphase des Jazz ein, zu deren europäischem Gegenstück in den 1970er-Jahren die Improvised Music wurde.

Zu den Vorreitern dieser Entwicklung gehörten

  • der Pianist CECIL TAYLOR (* 1929) und
  • der Tenorsaxophonist ORNETTE COLEMAN (* 1930),

der mit seinem 1961 eingespielten Titel „Free Jazz“ dieser Spielweise auch ihren Namen gab.

Eine große Rolle für die Herausbildung des Free Jazz spielte die Ende der 1950er-Jahre von dem Tenor- und Sopransaxophonisten JOHN COLTRANE (1926–1967) und dem Trompeter MILES DAVIS (1926–1991) entwickelte modale Spielweise, bei der nicht mehr über eine Akkordfolge, sondern über eine vorher festgelegte Tonskala improvisiert wurde, auf der beliebige Akkordbildungen möglich waren. Das hat den Jazz nicht nur endgültig aus der tonalen Bindung herausgeführt, sondern ihn auch in die Nähe außereuropäischer Tonsysteme gebracht. In der Folge dieser Entwicklung wurde mit arabischen und indischen Skalen experimentiert. Zugleich wurde der Jazz durch Instrumente aus den Kulturen Afrikas und Asiens bereichert, insbesondere der Perkussionsapparat wurde erheblich erweitert. Der Klangraum wurde durch die musikalische Nutzung von Geräuschen und die spieltechnische Ausdehnung des Tonumfangs der Instrumente (Überblasen usw.) erheblich vergrößert.

Eine weitere Errungenschaft des Free Jazz war die Aufhebung der Funktionsteilung von Solist und Begleitung und damit der Hierachie der Instrumente (Soloinstrumente, Begleitinstrumente, Rhythmusinstrumente), was ein gleichberechtigtes kollektives Musizieren und Improvisieren ermöglichte. Individuelle Spielkonzepte von Solisten wie Ensembles, die sich in dem durch die Entwicklung des Jazz geschaffenen Raum entsprechend ihrer künstlerischen Überzeugungen positionierten, traten fortan an Stelle musikalischer Verbindlichkeiten.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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