Volksmusik

Die Grenzen sind hier freilich nicht nur fließend, sondern durch oft lang andauernde Übergangsprozesse mit historischen Zwischenformen wie dem städtischen Straßenlied (Gassenhauer) gekennzeichnet. Das macht eine genaue Bestimmung von Volksmusik außerordentlich schwierig.

Geschichte und Problematik des Begriffs

Der im späten 18. Jh. im Bürgertum aufgekommene Begriff „Volksmusik“ hat zu einer Reihe von Missverständnissen Anlass gegeben und zudem immer wieder Neubewertungen erfahren, die ihn trotz seiner scheinbaren Selbstverständlichkeit nahezu unbrauchbar machen. Gemeint ist mit ihm ja nicht die Musik des „Volkes“ – ein ebenfalls nicht unproblematischer Terminus -, sondern lediglich die Musikpraxis der unteren sozialen Schichten und dabei wiederum in der Regel nur derjenigen Formen, die den bürgerlichen Wertvorstellungen vom „Volk“ am ehesten entsprachen.

Als JOHANN GOTTFRIED HERDER (1744–1803) vor dem Hintergrund des sich herausbildenden bürgerlichen Nationalbewusstseins 1773 mit seiner Sammlung „Stimmen der Völker in Liedern“ den Begriff „Volkslied“ prägte, ging er von einem nationalen Volksverständnis aus, das für die bürgerliche Volksmusikforschung richtungweisend geblieben ist. Nicht als Volksmusik anerkannt und als solche gesammelt wurden damit die Lieder, die in die politischen Auseinandersetzungen ihrer Zeit einbezogen waren, durch ihren eindeutigen sozialen Bezug der Suche nach einer nationalen Identität entgegenstanden. Die weitverbreiteten Trinklieder und nicht selten deftigen Tanzlieder wurden ebenfalls – aus moralischen Gründen – konsequent ignoriert. Der Begriff „Volkstanz“ kam sogar erst im 20. Jh. auf, als begriffliche Abgrenzung vom Gesellschaftstanz.

Auch wenn die vom europäischen Bürgertum geprägten ideologischen Implikationen des Begriffs „Volksmusik“ unbedingt mitzudenken sind, was eine Übertragung auf die Kulturen Asiens oder Afrikas etwa unmöglich macht, beziehen sie sich natürlich auf eine historisch reale Erscheinungsform von Musikpraxis. Sie ist aus der ständischen Gliederung des Musiklebens im frühen Mittelalter hervorgegangen und hatte in Tanz und Lied ihre Hauptformen. Das ständische Organisationsprinzip feudaler Gesellschaften mit ihren klaren sozialen und kulturellen Trennungslinien zwischen den Ständen hatte zur Folge, dass sich hier standesgebundene Formen von Musikpraxis mit jeweils eigenen Gesetzmäßigkeiten ausbildeten. Der Begriff Volksmusik bezieht sich dabei auf diejenigen Formen des Musizierens, die in der Musikpraxis der leibeigenen Bauernschaft sowie der bäuerlich-dörflichen Gemeinschaften ihren Ursprung hatten und sich angesichts der sozialen Barrieren zwischen den Ständen auch in relativer Selbstständigkeit entwickelten. Sie

  • blieben ein unmittelbarer Spiegel der Lebensweise,
  • waren eingebunden in die alltäglichen Lebensprozesse oder in die rituellen Feste des dörflichen Gemeinwesens,
  • mündlich tradiert und
  • geprägt durch die lokalen Besonderheiten.

Das führte trotz eines im einzelnen begrenzten Repertoires an Liedern und Tänzen, die zumeist auch noch an ganz bestimmte Anlässe gebunden waren (Tänze für bestimmte Feste, Lieder zu Verrichtungen des Alltags wie Wiegenlieder, Arbeitslieder usw.), zu einer enormen Formenvielfalt, zumal die schriftlose Tradierung zwangsläufig mit reichhaltigen Variantenbildungen verbunden war.

Von Volksmusik zu unterscheiden ist die volkstümliche Musik, eine kommerzielle Variante, die zwar auf Volkmusik basieren kann (aber nicht muss, sie häufig nur imitiert), sie in jedem Fall aber dem herrschenden musikalischen Zeitgeschmack anpasst.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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