Weltmusikensembles in Asien

China – Orchester als Repräsentation und Ausdruck des politisches Selbstbewusstseins

Im alten China wurde in der Tang-Dynastie (618–907 n.Chr.) der wirtschaftliche Reichtum und das politische Selbstbewusstsein mit einem Hofstaat von 500 bis 700 Musikern zum Ausdruck gebracht. Neben eigenen Orchestern unterhielt man auch solche aus fernen Provinzen, aus Tibet, Indien, Südostasien, und selbst aus Birma gab es ein fünfunddreißigköpfiges Orchester. Der Kaiser schätzte den exotischen Klang der verbündeten Könige und ließ sich die zum Geschenk gemachten fremden Orchester etwas kosten, genauso wie ehedem die ägyptischen Pharaonen an Musikerinnen und Tänzerinnen ihren Gefallen hatten.

Yue: Musik-Zeremonien in der Harmonisierung von Himmel, Mensch und Erde

In der chinesischen Musik Yue (wörtl. die „erhabene“ oder „edle“) unterschied man schon seit der Han-Dynastie (206–v.Chr. bis 220 n.Chr.) die sakrale Musik (ya-yue) von der Bankett-Musik (yan-yue), welche eher höfisch-unterhaltendem Charakter aufwies.

Die auf der konfuzianischen Ethik basierende ya-yue-Zeremonien wurden von der Grundidee getragen, den Menschen in seiner Gesellschaft in harmonische Übereinstimmung zu bringen mit den lichten Kräften des Himmels (Yang) und den dunklen der Erde (Yin).

Die Bankett-Musik wurde entweder im Freien stehend oder gehend (xing-yue) oder drinnen im Sitzen (zuo-yue) gespielt. Später wurde auch die neuere profane Musik (san-yue) von der sinisierten Fremdmusik westlicher Völker (hu-yue) unterschieden. Ein ungeheurer Reichtum an unterschiedlichsten Tanz- (wu), Schlagzeug- (gu), Singspielen und Volksmusikensembles prägt das weite China, das immer auch bereit war, Musik und Instrumente aus den Nachbarländern zu übernehmen.

Halbtonlose Pentatonik und das chinesische Tonsystem der zwölf Lü

Als Grundlage der chinesischen Musik und des chinesischen Tonsystems diente die halbtonlose Pentatonik. Aus dem theoretisch vorhandenen Material von 12 Halbtönen (lü) der Oktave werden 5 Töne (sheng) ausgewählt und mit einzelnen Ideen assoziiert: gong (do) steht für Herrscher), shang (re) für Minister), jue (mi) für Volk, zhi (sol) für Staatsgeschäfte und yu (la) für die natürliche Welt.

Es handelt sich hierbei um die halbtonlose Pentatonik Chinas (wuyin) mit drei Ganztönen und zwei kleinen Terzen (schwarze Tasten auf dem Klavier). Auf jedem der 5 Töne (c-d-e-g-a) kann wiederum eine eigene pentatonische Skala aufgebaut werden, so dass sich 5 Modi ergeben: der gong-Modus, der shang-Modus, der jue-Modus, der zhi-Modus und der yu-Modus.

Die fünf Töne können mit zwei zusätzlichen Nebentönen (bianzhi, dem „fa“ und bianggong, dem „si“) ausgeschmückt werden.

In der Theorie wurde in China bereits seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. eine zwölftonige Skala erörtert und viel später sogar vom Gelehrten ZHU ZAIYU (1536–1611) eine zwölfstufige gleichschwebende Temperatur berechnet ZHU ZAIYU war der erste in Ost und West, der ein verwendbares System mit gleichmäßig temperierten Halbtönen entwickelt hatte. Seine theoretischen Berechungen blieben jedoch ohne Wirkung auf die Musikpraxis (wie z.B. „Das wohltemperirte Clavier“ von JOHANN SEBASTIAN BACH, 1722).

Im asiatischen Raum werden in erster Linie als Grundlage die um die beiden Nebentöne erweiterte pentatonischen Tonbeziehungen aufrechterhalten, die natürlich noch um ein vielfaches differenzierter in unterschiedlichen Gattungen, Stilen und Praktiken der Kunst- oder Volksmusik zum Ausdruck gebracht sind. Die Sequenz der rhythmischen Schläge erfolgt in metrischen oder auch nicht-metrischen Formen. Im Unterschied zur westlichen Musik ist ein Tripelmetrum weniger gebräuchlich. 2/4-, 4/4- ode-8/4 „Takte“ – um in der westlichen Terminologie zu sprechen – wiegen vor. Charakteristisch ist oft eine asymmetrische Verschiebung eines Zweiermettrums, so dass betonter und unbetonter Schlag alternierend wahrgenommen werden: Gegen den Schluss von einem Stück wird damit oft ein Akzellerando (chui) herbeigeführt.

Kulturelle Wechselbeziehungen: China, Tibet, Korea, Japan, Vietnam und Indien

China strahlte mit seiner Musiktheorie, -Praxis und Pentatonik besonders auf die benachbarten Länder wie Korea, Japan und Vietnam aus, nahm zugleich aber aus Zentralasien und über Indien, mit der Verbreitung des Buddhismus, zahlreiche Einflüsse von außen auf. Zu den berühmtesten Orchestern der verschiedenen Kulturen gehörten die asiatischen Militär-, Zeremonial- und Hoforchester, die in erster Linie der kaiserlichen Repräsentation bei Siegesfeiern, bei der Ahnenverehrung, bei sakralen und weltlichen Festen und Gastmählern in den Palästen dienten.

Korea übernahm Musik aus China und entwickelte neben dieser gleichberechtigt eine eigenständige Tradition. Im Unterschied zu der chinesischen und japanischen Dominanz von geraden Rhythmen in den höfischen Ensembles ist die koreanische Orchestermusik eher durch Tripelrhythmen charakterisiert.

Hatten alle asiatischen Hochkulturen sakrale und höfische Orchester hervorgebracht, so blieb im Tibet die Orchestermusik der Klöster vorwiegend an die eigenständigen buddhistischen Gebets-Rituale gebunden.

Die Vietnamesen assimilierten sowohl chinesische als auch indische Musik. Es gehört sowohl zum Fernen Osten als auch zu Südostasien. Vietnam reiht sich ein in die große Familie der chinesischen Überlieferung, die neben China selbst, die Mongolei, Korea und Japan umfasst und die in ihren Ländern mit der Hofmusik eine ähnliche Tonsprache, ähnliche Instrumente und Notationssysteme und vergleichbare halbtonlose Pentatonik verwenden, allerdings mit je eigenständigen Weiterentwicklungen und regionalen Differenzierungen.

Der Seidenstraße entlang – der Klang von Seide und Bambus

Der Klang von Seide und Bambus war seit dem Alten China mit den traditionellen Fünftonmelodien verbunden. In China, Korea und Japan war die halbtonlose Pentatonik (c-d-e-g-a-c’) ein bestimmendes kulturelles und ästhetisches Merkmal, das aufs Engste verknüpft war mit den alten Handels- und Karawanenwege der Seidenstraße, die seit mehr als zweitausend Jahren Ost-, Zentral-, West und Südasien mit den Ländern des Mittelmeerraumes und Europas verband. Nicht nur Naturalien, Gold, Seide, Gewürze und Handelsgüter aller Arten, sondern auch Musikinstrumente, Musikkonzepte und Ideen wechselten die Besitzer und Orte. Auf diesen Handelsstrassen pflegte China die interkulturellen Kontakte nach Indien, Zentralasien bis zum Vorderen Orient. Der Islam verwandelte später die riesige Handelsregion zwischen China und Spanien zu einer blühenden Kultur- und Wirtschaftsgemeinschaft, an der sich Christen, Juden Buddhisten, Hindus und Muslime gleichermaßen beteiligten.

Im Gefolge des Erstarkung der islamischen Reiche um die Metropolen Bagdhad, Damaskus, Kairo und Cordoba blühten neben den Wissenschaften und Künsten auch die musikbezogenen Kulturleistungen auf. Hierbei spielten auch die mystischen Sufi-Ordensgemeinschaften mit einer besonderen Nähe zu durchorganisierten Ordensregeln der buddhistischen und christlichen Mönche wie auch die tanzenden Derwische eine herausragende Rolle.

Das arabische maqâm-Phänomen – von Kashmir über Samarkand bis Fès

Mit der Islamisierung verbreitete sich auf der Seidenstrasse seit rund 1000 Jahren zusehends auch das arabisch-persische Tonarten- und Musiksystem des maqâm. Das arabische Wort maqâm (wörtl.: „Ort“, „Lage“, „Stelle“) bezieht sich auf den „Sitz“ der Melodie, bzw. auf die Stellung der einzelnen Töne und Strukturintervalle innerhalb einer quasi modalen Tonreihe, die als Tonschritte allerdings auch kleine, mittlere, große und übermäßige Sekunden, d.h. einzelne Viertel-, Halb-, Ganz- und Dreivierteltonschritte verzeichnet (z.B. maqâm rast: c-d-es+-f-g-a-h+-c).

Man unterscheidet acht maqâm-Gattungen mit jeweils mehreren Untergruppierungen (Modi). Die maqâm-Reihen (pl. maqâmât) folgen differenzierten Regeln; im einzelnen werden die maqâm-Gattungen durch die Kadenzen von unterschiedlichen Sekundfolgen voneinander unterschieden. Als ein Improvisationsverfahren innerhalb der sowohl weltlichen als auch religiösen arabischen Musik wird der maqâm keiner festen Zeitorganisation unterworfen. In der Kunstmusik der Türkei heißt das Prinzip makam, im Iran dastgah, in Aserbeidschan ist es der mugam und in Zentralasien der shash-maqom.

Das maqâm-Phänomen erstreckt sich inzwischen von Kaschmir, mit der Musik der Sufi, zu den Uiguren der Volksrepublik China im Westen über die Gebiete der Usbeken, Tadschiken, Perser, Aserbeidschani, Araber und Türken bis nach Fès im Königreich Marokko am atlantischen Ozean. Neben dem maqâm mit freier rhythmisch-zeitlicher Organisation gibt es allerdings auch eine Fülle von Gattungen mit fester rhythmisch-zeitlicher Gestaltung. Es sind in der Regel Kompositionen, denen eine rhythmische Formel als „Maß“ (wazn) zugeordnet wird.

Rhythmische Organisation mit wazn und usûl – Trommeln und Pauken

Die Araber verwenden für die rhythmische Muster mehrere Ausdrücke wie wazn, usûl (Originale) oder darb (Schläge). Die rhythmischen Formeln basieren auf den beiden Grundelementen dum und tak und kombinieren sich in einer Vielfalt von mindestens zwei gleichen oder ungleichen Zeitabschnitten, wie z.B. (3 + 3) oder (3 + 2 + 3).

In der türkische Volksmusik ist vor allem das Davul-Zurna-Ensemble (mit ein bis zwei Oboen und einer oder mehreren großen Trommeln) eine überaus beliebte Musik zu Hochzeits- und Beschneidungsfesten. Es findet seine Entsprechung in der ägyptischen Volksmusik der Oboen-Trommelgruppe mizmâr-baladi bzw. der tabl baladi (drei Schalmeien, ein Kesselpaukenpaar und zylindrische Trommel).

Zwischen Pentatonik und makâm

Hat sich – etwas vereinfacht gesagt – die asiatische und südostasiatische Musik mit ihren Orchestern und Ensembles im Zuge der chinesisch geprägten Geschichte und Kulturkontakte auf der Grundlage einer auf Pentatonik mit Nebentönen orientierten tonräumlichen Vorstellung entwickelt, so ist dagegen die Welt des Islam vorwiegend durch das arabisch-persische makâm-Phänomen geprägt.

Das höfisch-aristokratische a’ak-Ensemble in Korea

In Korea wird einmal im Jahr im Mai vor dem Schrein der königlichen Ahnen eine große rituelle Musik zu Ehren der Verstorbenen ausgeführt. Es handelt sich hierbei um die feierliche a’ak-Zeremonie, die historisch gesehen in der konfuzianisch-chinesischen ya-yüeh-Orchestermusik wurzelt und neben zahlreichen Flöten, Oboen und Wölbbrettzithern auch mit Klingsteinen (Lithophonen), Glockenspielen, Metallophonen, Trommeln sowie Tänzern besetzt ist. Sie wird von zwei Orchestern antiphonisch im Freien ausgeführt. Das Terassenorchester ist auf dem Terassenplatz vor dem Hauptschrein positioniert und das Hauptorchester im Hof.

A’ak (wörtl. „schöne bzw. elegante Musik”) wird unterschieden von der lauten Militärmusik bei königlichen Prozessionen (kun’ak), die neben Langtrompeten, Muschelhörnern, schrillen Oboen, Zimbeln, Gong, Fasstrommel und sanduhrförmigen changgo-Trommeln auch Querflöten und zweisaitige Fideln mit einbezog. Das höfische Orchester umfasst zwei Stile:

  1. die pentatonisch orientierte Musik koreanischer Herkunft (hyang’ak) und
  2. die eher heptatonisch ausgerichtete Musik tang’ak, die sich von der Tang-Dynastie herleitet und koreanisiert wurde.

Die alte aristokratische „Kammer“-Musik am Hofe wird mit chong’ak (wörtl. „richtige“ bzw. „korrekte“) Musik bezeichnet. Sie ist im Duktus langsam und würdevoll, „ein Abenteuer der Muße“, und weist eine Besetzung von Bläsern und Saiteninstrumenten auf. Sie wird in suitenähnlichen, auch im Wechsel mit Flötensolo oder etwa einem Duo von Mundorgel und kleiner Längsflöte dargeboten.

Gegenüber der höfisch-zeremoniellen Musik, die deutlich noch vom konfuzianischen Denken geprägt ist, ist die Volksmusik (minsog’ak) rhythmisch äußerst lebhaft bewegt und expressiv. Letztere umfasst vor allem das Volkslied (minyo), die Festmusik der Bauern (nong’ak) und den kunstvollen Epensgesang im p’ansori-Ensemble sowie die beiden solistischen Gattungen von kleineren sanjo- und shinawi-Musikensembles, die meist von professionellen Musikern ausgeführt werden und ursprünglich aus den schamanistischen Zeremonien (kut resp. muak) hervorgegangen sind.

Das Gagaku-Hoforchester in Japan – Links- und Rechtsmusik

In Japan heißt das kaiserliche Hoforchester gagaku (aus ga-gaku, wörtl. „vornehme“ oder „edle-Musik“). Das japanische gagaku war mit seinen chinesischen und koreanischen Gegenstücken (ya-yue und a-ak) verwandt und spiegelt Einflüsse aus diesen Ländern wider. Das koreanische Wort ak für Musik entspricht dem japanische gaku.

Wie in Korea zwischen koreanischem (yang’ak) und chinesischem Stil (tang’ak) unterschieden wird, teilt man auch in Japan die Gakaku-Hofmusik prinzipiell in zwei Stile auf. Bezogen auf eine geografische Orientierung sind dies etwas vereinfacht gesehen:

  1. die Linksmusik (togaku), die aus dem Alten China hergeleitet wird und
  2. die Rechtsmusik (komaku), die über Korea als neue Musik nach Japan gekommen ist.

Das tonale System leitet sich vom modalen System Chinas ab und ist geprägt von den fünf Kerntönen kyu, sho, kaku, chi und u mit jeweils zwei wechselnden Nebentönen (hennon).

Gagaku ist ein großes Orchester, dessen Besetzung wiederum abhängig ist von der Stilrichtung. So wird z.B. die chinesische Mundorgel Sho nur in der Linksmusik, die aus Korea stammende sanduhrförmige Trommel (jap. san-no-tsuzumi) nur in der Rechtsmusik verwendet.

Neben einem weiteren Großensemble wie dem des Kabiku-Theaters, sind in Japan das No-Drama (no-gaku) und das Bunraku-Puppentheater eher einer kleinen „kammermusikalischen“ Besetzung verpflichtet.

Gongspiel-Kulturen in Ostasien

Im gegenseitigen Kulturaustausch mit China ergaben sich nicht nur für die koreanische und japanische Musik sondern auch für die südostasiatischen Gongspielkulturen ein Substrat penatonischer Tonbeziehung mit den Erweiterungen um zwei zusätzliche Töne, die sich in der Praxis in komplexe fünftönige oder siebentönige Tonskalen der indonesischen Gongstimmungen ausdifferenziert haben.

Die halbtonlose Pentatonik mit und ohne ihre Zusatztöne ist in verschiedenen Ausprägungen nicht nur in China, im Tibet, in der Mongolei, in Indien und Ozeanien belegt, sondern auch in der Kunst- und Volksmusik von Indonesien, auf den Inseln Java und Bali – südostasiatische Gongkulturen sind auch Indonesien, Philippinen, Birma, Thailand, Laos und Kambodscha, wobei die letzteren drei untereinander durchs Festland bedingt viele Gemeinsamkeiten untereinander aufweisen.

Thailand, Laos und Kambodscha sind mit dem an Höfen gepflegten klassischen Musikensemble besonders durch indische Einflüsse und durch indische Theorie-Konzepte nachhaltig geprägt. In Thailand heißt das Oboen-Ensemble, das mit Fasstrommel, Xylophonen und halbkreisförmig angeordnetem Gongspiel begleitetet wird, pi phât, in Kambodscha findet es seine Entsprechung in zum Teil unterschiedlichen Besetzungen als Pin-peat-Ensemble.

Die vietnamesische nahc-Ensembles der höfischen Zeremonialmusik

Die traditionelle Hofmusik in Vietnam mit bis zu über 40 Musikern in einzelnen Orchestern war vielfältig in ihren Formen und Funktionen. Sie diente als Tempelmusik, als Musik bei militärischen oder politischen Empfängen, als Palast-, Tafelmusik und Theatermusik. Die Hofmusik im engeren Sinne unterteilte sich in

  1. die aristokratische Musik (quan nhac),
  2. die „elegante“ Musik (nha nhac) und
  3. die „große Musik“ oder Palastmusik (dai nhac).

Das Ideogramm für den vietnamesischen Begriff nhac entspricht dem chinesischen yue bzw. dem koreanischen ak sowie dem japanischen gaku.

Das große Orchester der Palastmusik umfasst zum Beispiel vier Oboen (ken), eine zweisaitige Fidel (nhi), die Kulttrommel (trong nhac) und die „Reistrommel“ (trong com), deren Fell in der Mitte mit Reismehlpaste beschichtet wird, um den Klang unterschiedlich hell oder dunkel erklingen zu lassen ist; sie ist südindischer Herkunft. Das Orchester wird ergänzt durch ein Büffelhorn, eine sanduhrförmige Trommel, durch Klappern, Becken und ein Set von drei Gongs.

Das Gamelan-Orchester in Indonesien (Bali und Java)

Gamelan bezeichnet im Allgemeinen das traditionelle Instrumentarium eines indonesischen Orchesters, das sich überwiegend aus verschiedenen Bronze-Gongs, -Gongspielen und -Aufschlagstabspielen zusammensetzt. Diesen Metallophonen gesellen sich mindestens eine Trommel (khendang) hinzu, oft auch gestrichene und gezupfte Saiteninstrumente sowie eine oder mehrere Flöten (suling). Bei den Saiteninstrumenten handelt es sich um die Rebab arabisch-islamischer Herkunft und um die Zither celumpung.

Das Wort gamelan leitet sich aus dem altjavanischen Verb agamel her, d.h. „berühren“, „halten“ und meint im übertragenen Sinne „ein Instrument spielen“. Wie alle Arten des instrumentalen und vokalen Musizierens (karawintan) ist auch die Gamelan-Musik im Zusammenhang der Tonsysteme der südostasiatischen Pentatonik und Heptatonik einzureihen.

Die kleineren oder größeren Gamelan-Orchester mit bis zu 75 einzelnen Instrumenten spielen zu Aufführungen von Zeremonialmusik, zu Maskentänzen und zum Schattenspieltheater (wayang kulit). Kulturgeschichtlich ist Indonesien geprägt von Einflüssen des Buddhismus, des Hinduismus und Islam.

Bali und Java – das fünfstufige Slendro- und das siebenstufige Pelog-Tonsystem

Die Slendro-Skala teilt die Oktave in annähernd fünf gleiche Stufen (zu je ca. 240 Cents). Die Pelog-Skala verteilt dagegen ihre Töne in sieben ungleich große Intervalle.

Es gibt kein einheitliches Tonsystem, weil jedes Gamelan-Orchester verschieden gestimmt ist: es gibt keinen „Kammerton“ und keine standardisierten Intervallgrößen. Selbst die bis zu sechs unterschiedlichen Oktavregister können etwas variieren, da die unteren Oktaven etwas zusammengedrückt, die oberen etwas gestreckt sind. Dies ist durchaus intendiert und erzeugt mit den Schwebungen zwischen den nahezu gleich gestimmten Tönen einen pulsierenden Klang.

Ein großes Gamelan-Orchester weist jeweils einen doppelten Satz von Instrumenten auf. Der eine Satz ist auf Slendro gestimmt, der andere auf Pelog, d.h. je nachdem in welchem Tonsystem man spielt, werden die entsprechenden Instrumentengruppen eingesetzt. Sowohl Pelog als auch Slendro lassen sich je nach der Gewichtung des Grundtones und der tonalen Gestaltung des melodischen Verlaufs je in drei weitere Modi (patet) unterteilen.

  • Diatonik: 7-stufig mit Ganz- und Halbonschritten;
  • Pentatonik: javanische Slendro-Skala (5-stufig mit nahezu äquidistanten Intervallen);
  • Heptatonik: javanische Pelog-Skala (7-stufig mit ungleichen Intervallen).

Klassisches ruhiges Gamelan auf Java und dramatisch turbulentes Gamelan auf Bali

Die Ausdrucksformen der gamelan-Orchester unterscheiden sich in Java und Bali.
Das javanische Gamelan klingt weich und legato, da Schlägel und Hämmer, mit denen die Metallophone gespielt werden, wattiert sind. Die Tempi sind verhaltener und weniger kontrastreich als auf Bali. Feierliche Ruhe und geheimnisvolle Atmosphäre herrschen in Java vor. Im Unterschied hierzu ist der balinesische Gamelan rhythmisch lebhaft, kraftvoll und voller Überraschungseffekte.

Die Gamelan-Instrumente werden oft auch durch eine Sängerin oder einen chorischen Männergesang begleitet. Vielfach wird dann zwischen „leiser“ und „lauter“ Spielweise unterschieden. Die drei Saron-Instrumente markieren die Hauptmelodie in Oktavparallelen im Sinne von Kerntönen bzw. in der Art eines cantus firmus. Die anderen Instrumente umspielen diese, interpolieren schnellere Schläge, variieren diese und schmücken sie aus immer auch bezogen auf die großen Zeitabschnitte und Kadenzformeln der Kerntöne. In leisen Kompositionen kontrapunktieren die Spießgeige (Rebab) und die Längsflöte (Suling) die Hauptmelodie im freien Rhythmus.

Traditionelle Musik in Indien

Die am Indus seit 2100 v.Chr. bestehende Industalkultur hatte bereits mit den vedischen Traditionen (1500–600 v.Chr.) einen weitverzweigten Kulturaustausch mit vielen Völkern und Sprachen mit nachhaltender Ausstrahlung auf die alten Griechen, Perser, Chinesen und Araber. Dem älteren Hinduismus, Buddhismus und Janismus (600 v.Chr. bis 200 n.Chr.) folgte die Zeit der klassisch-hinduistischen Epoche (200–1200), dieser wiederum die indo-islamischen Zeit (1200–1700) mit der Gründung des Sultanats in Delhi (1206) und der Errichtung des Mogulreiches (Höhepunkt 1556–1605). 1818 wurde Indien britische Kolonie.

Mit der Unabhängigkeit von 1950 als Republik entwickelte sich aus den Erfahrungen der Geschichte und der vielen interkulturellen Verflechtungen ein neues Selbstbewusstsein, mit dem die überlieferten alten Musiktraditionen und Musiktheorien in die Moderne integriert wurden.

Man unterscheidet in Indien

  • die Musik nach den geheiligten Regeln der Veden (mârga-samgîta)
  • von der klassisch-indischen Kunstmusik in den Provinzen (désî-samgîta)
  • und diese von den lokalen Musiken der Hindu-Dörfer (loka-samgîta)
  • sowie diese wiederum von den zahlreichen Stammesmusiken.

Die klassische Kunstmusik Indiens wird unterteilt in die Hindustani-Musik Nordindiens (hindustâni-samgâta) und in die karnatische Musik Südindiens (karnâtaka-samgâta).

In der populären Musik entwickelt sich seit den 1930er-Jahren besonders die Filmmusik und Genres von Liebesliedern (ghazal), die ursprünglich auf alten persischen Texten basierten sowie die durch Sufis berühmt gewordenen und islamisch geprägten Quawwal-Gesänge mit Harmoniumbegleitung nebst den solistisch dargebotenen oder orchesterbegleiteten religiösen Gesänge aus Usbekistan.

Die klassisch-indische Musik ist ähnlich wie die arabische Musik eher eine Musik der solistischen Improvisation, bei der ein Solist oder eine Solistin im Hintergrund mit einem Bordunklang auf einer viersaitigen Laute (tampura) untermalt wird. Nach einem langsamen einstimmenden und nicht-metrisierten freien Einleitung (âlâp bzw. âlâpana), die die Grundskala allmählich entwickelt, beginnt die eigentliche Komposition (gat oder kritit), die durch den Rhythmus-Zyklus des Tabla-Kesseltrommelpaars zeitlich strukturiert wird. Der Solopart kann von einer Sängerin oder einem Sänger, einem weiblichen oder männlichen Vina-Spieler, Sitar-Spieler oder Sarangi-Lautenspieler bzw. von einem Sarod-Fiedler oder einem Santur-Hackbrett-Spieler übernommen werden.

Râga, das ton-räumliche Organisationsprinzip der improvisierten Melodieentfaltung

Indische Musik basiert auf dem Râga-Tâla-Prinzip. Râga ist das Prinzip für die ton-räumliche Organisation der Melodietöne, Tâla ist das Prinzip für die zeit-zyklische Organisation der rhythmischen Schlageinheiten.

Râga (râg, râgam) bezeichnet als Oberbegriff den einzelnen „Melodietyp“ im Hinblick auf die unterschiedlichen Gebrauchstonleitern (Modi), die sich in der Regel auf sieben, seltener fünf Tonstufen (bei pentatonischen Skalen) innerhalb einer Oktave aufbauen und im Aufstieg etwas anders verlaufen als im Abstieg. Die Tonalität des Râga (wörtlich: Färbung, Röte, Stimmung) wird durch die besondere Stellung des Zentraltones (vâdî) und des Nebenzentraltones (samvâdî) bestimmt. Jeder einzelne Râga wird mit besonderen psychischen Stimmungen oder Gefühlen assoziiert. So werden bestimmte Râgas zu ganz bestimmten Tageszeiten ausgeführt. Die Tag-Râgas (dinka) werden zwischen 7 Uhr und 19 Uhr gespielt, die Nacht-Râgas (ratrika) zwischen 19 und 7 Uhr morgens.

Tâla – die rhythmisch-zyklische Organisation der komponierten Zeit

Die rhythmischen Schlageinheiten werden mit dem Trommelspiel mit dem Tâla organisiert. Das Wort „Tâla“ leitet sich von tala (Handfläche) oder von der Verbalwurzel tad, d.h. „schlagen“ ab. Ähnlich wie beim arabischen wazn, werden auch hier – wenn auch auf der Basis anderer theoretischer Regeln – einzelne Schläge (mâtrâs) zu sich wiederholenden größeren Schlagperioden zusammengefasst, die sich ihrerseits aus binären oder ternären bzw. ihren unterschiedlichen Kombinationsmöglichkeiten zusammensetzen.

Zum Beispiel besteht die mit dem Namen rupak bezeichnete Tâla-Periode aus den 7 mâtrâs (Schlägen) mit der Unterteilung in eine Schlaggruppe von 3 + 2 + 2 Schlägen.

Die âdi-tâla-Periode als weiteres Beispiel umfasst
8 Schläge = 4 + 2 + 2 Zählzeiten.

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