Bündnis 90/Die Grünen
Bündnis 90/Die Grünen ging als sozial-ökologische Partei aus den Neuen Sozialen Bewegungen in West- und Ostdeutschland hervor. Die westdeutsche Partei Die Grünen vereinte sich 1993 mit der ostdeutschen Partei Bündnis 90. Mit der Doppelstrategie der öffentlichen Demonstrationen und zugleich der Beteiligung an politischen Wahlen gelangten die westdeutschen Grünen schnell zu politischen Erfolgen auf lokaler, Länder- und Bundesebene. Zur grünen Symbolfigur wurden JOSCHKA FISCHER, lange Jahre Sprecher des realpolitischen Flügels (Realo). Von 1998 bis 2005 bildeten die Grünen mit der SPD eine rot-grüne Koalition auf Bundesebene (Kabinett SCHRÖDER/FISCHER).
Zeitliche Einordnung
1980 | Gründung der Partei Die Grünen (Parteitag Karlsruhe) |
1983 | Die Fünf-Prozent-Hürde bei der Bundestagswahl übersprungen (5,6 %) |
1990 | Verlust der Bundestagswahl (Wahlgebiet West: 4,8 %) |
1991 | Gründung der Partei Bündnis 90 (Potsdam) |
1993 | Vereinigung zur Partei Bündnis 90/Die Grünen (Leipzig) |
1998 | Erstmals Regierungsbeteiligung auf Bundesebene (rot-grünes Kabinett GERHARD SCHRÖDER/JOSCHKA FISCHER) |
2008–2010 | Erstmals schwarz-grüne Regierungskoalition auf Landesebene (Hamburg), bis 2010. |
2009 | Erstmals "Jamaika-Koalition" (mit CDU und FDP) auf Landesebene (Saarland) |
2011 | erster Ministerpräsident der Partei Bündnis 90/Die Grünen wird WINFRIED KRETSCHMANN in Baden–Württemberg. |
Bündnis 90/Die Grünen ist eine politische Partei, die sich anfangs als Alternative zu den übrigen Parteien ansah. Verstanden sich die westdeutschen Grünen bei der Parteigründung 1980 als
„ökologisch, sozial, basisdemokratisch, gewaltfrei“,
ist heute das basisdemokratische Ziel aufgegeben worden. Auch militärischen Einsätzen hat die Partei zugestimmt. Der Übergang von der Bewegungspartei zu einer Regierungspartei der sozial-ökologischen Reformen war von heftigen parteiinternen Flügelkämpfen zwischen einer realpolitischen Orientierung (Realos) und einer fundamentalistischen Position (Fundis) begleitet. 1991 bekannten sich die Grünen eindeutig zur parlamentarischen Demokratie (Parteitag Neumünster). 1993 vereinten sich die Grünen Parteien West- und Ostdeutschlands.
Bündnis 90/Die Grünen wendet sich als Partei vor allem an
- Angestellte,
- Beamte,
- Selbstständige
der jungen und mittleren Generationen. Im Jahr 2011 zählte sie rund 58 500 Mitglieder (2001: 44 053). Im 17. Deutschen Bundestag stellen die Grünen 68 von 622 Abgeordneten, im Europäischen Parlament 14 Parlamentarier.
Gründung
Die Partei Bündnis 90/Die Grünen entstammt den ökologischen und freiheitlichen Protestbewegungen (Neue Soziale Bewegungen), die in Westdeutschland in den 1970er- und in Ostdeutschland in den 1980er-Jahren entstanden. Aus lokalen Bürgerinitiativen, die vor allem gegen den Bau von Kernkraftwerken protestierten, entwickelte sich eine überregionale Umweltschutzbewegung, die sich mit verschiedenen Listen an politischen Wahlen beteiligte und 1979 erstmals vereint an der Wahl zum Europäischen Parlament (3,2 % Stimmenanteil) teilnahm. An der Gründung der Partei Die Grünen am 12./13.01.1980 in Karlsruhe waren
- Bürgerinitiativen,
- Umwelt-, Friedens-, Anti-Atombewegungen und
- die Frauenbewegung
beteiligt. Die Gründung von Bündnis 90 als Partei am 22.09.1991 in Potsdam ging auf oppositionelle Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsgruppen der DDR zurück, die sich
- 1985 als Initiative Frieden und Menschenrechte und
- 1989 als Neues Forum sowie
- Demokratie jetzt
politisch formiert hatten. Aus der Gesellschaft für Natur und Umwelt des DDR-Kulturbundes ging die Grüne Partei hervor, die sich 1990 den Grünen in den alten Ländern anschloss. Zweieinhalb Jahre später vereinten sich west- und ostdeutsche Grüne 1993 auf dem Leipziger Vereinigungsparteitag zur Partei Bündnis 90/Die Grünen, die von vielen als eine Parteineugründung verstanden wurde.
Organisation
Grüne Parteien organisieren sich als Parteien neuen Typs. Der übliche demokratische Parteiaufbau mit der Wahl der Delegierten von den unteren Ebenen hin zur Bundesorganisation soll mit basisdemokratischen Elementen ergänzt werden:
- Mandatsträger sollen an die Entscheidungen der Bürger, jedenfalls der Basisorganisationen oder Delegiertenversammlungen der Grünen gebunden werden (imperatives Mandat),
- alle zwei Jahre sollen Mandatsträger durch Nachrücker ersetzt werden (Rotation), Positionen in der Partei, der Parlamentsfraktion und der Regierung dürfen nicht kombiniert werden (Trennung von Amt und Mandat).
Die Abgeordneten mussten ihre Diäten oberhalb der Höhe des Facharbeiterlohns an die Partei abführen.
Territorial ist die Partei in Landesverbände gegliedert, denen Basisgruppen und regionale Gliederungen zugeordnet sind. Sie agieren
„in den jeweiligen kommunalen, regionalen und landespolitischen Fragen politisch eigenverantwortlich“ (Parteisatzung, siehe PDF "Grüne Regeln").
Die Bundesorgane setzen sich aus
- den Bundesdelegiertenkonferenzen (Parteitag),
- dem Bundesvorstand (Sprecherrat),
- dem kleineren, auch beschlussfassenden Parteirat sowie
- dem Länderrat zusammen.
Der Länderrat blieb bisher ohne Wirkung. Eine politisch geschlossene Führung auf Bundesebene zu organisieren, gelang der Partei aus strukturellen und personellen Gründen nur begrenzt. Von stärkstem Einfluss sind die beiden Strömungen
- mit realpolitischer Orientierung (Realos) und
- fundamentalistischer, linksozialistischer Haltung (Fundis).
Die Realos besetzen mehrheitlich die Landesvorstände und Parlamentsfraktionen und insgesamt die Regierungsseite, während die Parteilinke stärker in der Parteiorganisation vertreten ist. Starke Bedeutung hat der Frauenrat, in dem Parlamentarierinnen sowie Delegierte des Bundesvorstands und der Landesverbände vereint sind. Mit einer gewählten Doppelspitze (zwei Bundesvorsitzende) neben der langjährigen informellen Parteiführung durch JOSCHKA FISCHER und ferner dem Parteirat versuchten die Grünen Strömungskonflikte auszutragen („grüne Streitkultur“). Die basisdemokratischen Elemente der Parteiorganisation sind abgeschliffen worden. Durch die teilweise Aufhebung der Trennung von Amt und Mandat konnten sich konstante Parteieliten leichter herausbilden.
Geschichte
Das zweigleisige Vorgehen, politische Protestaktionen nicht nur auf die Straße zu bringen, sondern sich damit auch an politischen Wahlen zu beteiligen, hat den Grünen große Erfolge gebracht. Öffentlich wirksame Agitation in der Friedensbewegung (z. B. Krefelder Appell) und Demonstrationen der Atomkraftgegner, wie in Brokdorf, ließen Mitgliederzahl und Wählerstimmen schnell ansteigen. Die Querschnittsthemen
- Umweltschutz,
- Gleichberechtigung der Geschlechter,
- ethnische Minderheiten (multikulturelle Gesellschaft) und
- Friedenspolitik
verhalfen den Grünen zu größerer öffentlich-politischer Beachtung, ohne damit schon das Parteiprogramm eines dritten Wegs zwischen Kapitalismus und Sozialismus formuliert zu haben. Lange spaltete die Möglichkeit, rot-grüne Koalitionen in Bundesländern und im Bund einzugehen, die Partei. Der realpolitische Flügel in Hessen sprach sich 1984 für eine Regierungsbeteiligung, der vom fundamentalistischen Flügel beherrschte Bundesvorstand 1985 für Opposition aus.
Indem die Partei nach der deutsch-deutschen Vereinigung mit den ostdeutschen grünen Parteien zusammenging, gerieten Fragen der Menschenrechte und der politischen Demokratie (Gewaltenteilung) stärker in den Vordergrund. Die Niederlage der westdeutschen Grünen bei der ersten deutsch-deutschen Bundestagswahl 1990 – mit noch getrennten Zählgebieten – beantwortete die Partei mit der Vereinigung der west- und ostdeutschen Grünen, mit der organisatorischen Anpassung an den Typ der Regierungspartei (Verkleinerung der Führung) und vor allem mit einer innerparteilichen Stillhalte-Vereinbarung zwischen den Strömungen, was insgesamt den Weg in die Regierungskoalition mit der SPD 1998 ebnete.
Beide Strömungen hatten in der Koalition mit dem realpolitischen Außenminister und Vizekanzler JOSCHKA FISCHER und dem damaligen Parteilinken und Bundesminister JÜRGEN TRITTIN ihre Sprecher. In der Außen- und Verteidigungspolitik billigten die Grünen erstmals deutsche Truppeneinsätze außerhalb Deutschlands unter UN-Aufsicht und die Osterweiterung der NATO.
Seit der Bundestagswahl 2005 ist die Partei nicht mehr an der Regierung beteiligt. Trotz des besten Ergebnisses ihrer Geschichte bei der Bundestagswahl 2009 (10,7 %) stellen Bündnis 90/Die Grünen unter den Oppositionsparteien die kleinste Fraktion im Bundestag.
Auf Länderebene sind Bündnis 90/Die Grünen mittlerweile in allen Parlamenten vertreten. In Bremen (seit 2007), im Saarland (seit 2009), in Nordrhein-Westfalen (seit 2010), Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg (seit 2011) bilden sie Regierungskoalitionen.
Sprecher bzw. Vorsitzende des Bundesvorstandes von Bündnis 90/Die Grünen (vormals Die Grünen):
HERBERT GRUHL, AUGUST HAUSSLEITER, HELMUT NEDDERMEYER 1979–1980
PETRA KELLY, AUGUST HAUSSLEITER, NORBERT MANN 1980
PETRA KELLY, DIETER BURGMANN, NORBERT MANN 1980–1981
PETRA KELLY, DIETER BURGMANN, MANON MAREN-GRISEBACH 1981–1982
RAINER TRAMPERT, WILHELM KNABE, MANON MAREN-GRISEBACH 1982–1983
RAINER TRAMPERT, WILHELM KNABE, REBEKKA SCHMIDT 1983–1984
LUKAS BECKMANN, JUTTA DITFURTH, RAINER TRAMPERT 1984–1987
JUTTA DITFURTH, REGINA MICHALIK, CHRISTIAN SCHMIDT 1987–1989
RALF FÜCKS, RUTH HAMMERBACHER, VERENA KRIEGER 1987–1889
RENATE DAMUS, HEIDE RÜHLE, CHRISTIAN STRÖBELE 1990–1992
LUDGER VOLLMER, CHRISTINE WEISKE 1991–1993
MARIANNE BIRTHLER, LUDGER VOLLMER 1993–1994
JÜRGEN TRITTIN, KRISTA SAGER 1994–1996
JÜRGEN TRITTIN, GUNDA RÖSTEL 1996–1998
ANTJE RADCKE, GUNDA RÖSTEL 1998–2000
RENATE KÜNAST, FRITZ KUHN 2000–2001
CLAUDIA ROTH, FRITZ KUHN 2001–2002
ANGELIKA BEER, REINHARD BÜTIKOFER 2002–2004
CLAUDIA ROTH, REINHARD BÜTIKOFER 2004–2008
CLAUDIA ROTH, CEM ÖZDEMIR seit 2008
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