Parlamentarismus bezeichnet ein politisches System, in dem ein Parlament am politischen Kräftespiel beteiligt ist. Heute wird Parlamentarismus ausschließlich in Zusammenhang mit Demokratie diskutiert. Unter Parlamentarismus versteht man ein Repräsentativsystem, in dem das Parlament bei der Gesetzgebung, der Haushaltsentscheidung und der Kontrolle der Regierung eine wesentliche Rolle spielt. Die genauen Zuständigkeiten eines Parlaments hängen jedoch von der Verfassung ab.
In Demokratien ist das Parlament eine repräsentative Volksvertretung, die in freier, geheimer, gleicher, direkter Wahl von den Bürgern gewählt wird. Es gibt aber auch Parlamente, auf deren Besetzung das Volk keinen Einfluss hat, weil Scheinwahlen stattfinden. Des Weiteren können Parlamente völlig ohne Wahlen durch einen Herrscher oder gesellschaftliche Gruppen eingesetzt werden. Nur die Existenz eines Parlaments sagt also wenig über die Verwirklichung der Demokratie in einem Staat aus.
Die Geschichte des Parlamentarismus begann schon vor Hunderten von Jahren. In England gibt es seit dem 13. Jahrhundert Parlamente. Damals handelte es sich um eine Vertretung von Adel und Geistlichkeit, später auch des Bürgertums. Gegen den König erkämpfte sich das englische parliament nach und nach mehr Einfluss: von der Steuerbewilligung, dem Budget-Recht, also der Verwendung von Steuern, bis zur Kontrolle der Regierung.
Der liberale Parlamentarismus hatte seinen Ursprung im 19. Jahrhundert. Seine Entstehung beruhte überall in Europa auf den wirtschaftlichen und politischen Interessen des Bürgertums und diente als Kampfinstrument gegen Adel und absolute Monarchie.
Ende des 19. Jahrhunderts wuchs die Klasse des Proletariats und drängte ebenfalls in die Parlamente. Obwohl die Arbeiterbewegung das bürgerliche Parlament als Hauptfeind betrachtete, integrierte das Parlament durch die Demokratisierung des Wahlrechts schließlich die proletarische Massenbewegung in den politischen Prozess (demokratischer Parlamentarismus). Dies führte zur Spaltung der Arbeiterbewegung in einen sozialdemokratischen und einen kommunistischen Flügel, der die parlamentarisch erlangte Herrschaft weiter ablehnte.
In manchen politischen Systemen verlief die Entstehung des demokratischen Parlamentarismus kontinuierlich wie in Großbritannien, Skandinavien oder den Niederlanden. In anderen Ländern handelte es sich um eine sprunghafte Entwicklung als Folge von revolutionären Erhebungen und Regimewechseln, so z. B. in Frankreich (1973, 1830, 1848, 1875), in Deutschland (1848, 1918, 1945) oder zuletzt in den meisten osteuropäischen Staaten.
Der deutsche Parlamentarismus entstand in Süddeutschland. Hier gab es 1815 die ersten Parlamente. Gängig wurde der Begriff in Deutschland jedoch erst mit der Paulskirchenversammlung 1948 in Frankfurt.
Das Parlament des Deutschen Reiches – der Reichstag (seit 1871) – besaß zwar bereits Gesetzgebungskompetenzen und das Budget-Recht, da aber der Kaiser den Reichskanzler einsetzte, hatten die Abgeordneten wenig Einfluss auf politisch wichtige Entscheidungen.
Die volle Parlamentisierung, also die Abhängigkeit der Regierung vom Parlament, ergab sich in Deutschland erst nach dem Ersten Weltkrieg. In der Weimarer Republik konnte das Parlament einzelne Minister durch ein Misstrauensvotum stürzen, der Reichspräsident ernannte aber den Reichskanzler und konnte den Reichstag jederzeit auflösen. Bei der Wahl Hitlers zeigte sich, dass nicht das Parlament, sondern der ebenfalls vom Volk gewählte Reichspräsident herrschte.
Das Grundgesetz und das heutige parlamentarische Regierungssystem in Deutschland sind die Folge des fehlgeschlagenen Parlamentarismus der Weimarer Republik. So hat in Deutschland das Misstrauen gegenüber dem Volk zu einer Schwächung aller plebiszitären Möglichkeiten geführt.
In der BRD etablierte sich mit der Verfassung von 1949 ein parlamentarisches Regierungssystem, in dem die Regierung vom Parlament (Bundestag) gewählt wurde. In der DDR blieb das Parlament (Volkskammer) – wie in den anderen sozialistischen Staaten auch – lediglich ein ausführendes Organ der Staatspartei.
Während der allgemeine Parlamentarismus-Begriff als Sammelbezeichnung für alle Erscheinungsformen demokratischer Regierungssysteme verwandt wird, sind mit der Bezeichnung Parlamentarismus im engeren Sinne nur parlamentarische Regierungssysteme gemeint. Diese Regierungsform, die sich in Deutschland und vielen weiteren Demokratien durchgesetzt hat, unterscheidet sich also nicht nur deutlich von autoritären Regimen, sondern auch von präsidentiellen (USA), semi-präsidentiellen (Frankreich) und kollegialen (Schweiz) Regierungssystemen. Sie ist durch folgende Merkmale gekennzeichnet:
Der große Unterschied zwischen präsidentiellem und parlamentarischem System liegt in der Tatsache, dass der Regierungschef im parlamentarischen System nicht vom Volk, sondern vom Parlament gewählt wird.
Die USA haben das präsidentielle Regierungssystem bereits 1788 eingeführt und gelten als Prototyp des Präsidentialismus. Das amerikanische Regierungssystem zeichnet sich durch eine klarere Trennung von Legislative (Parlament) und Exekutive (Regierung) aus: Präsident und Kongress werden jeweils vom Volk gewählt und sind laut Verfassung unabhängig voneinander. Der Kongress kann den Präsidenten nur in außergewöhnlichen Fällen abberufen, und der Präsident kann den Kongress nicht auflösen. Kongress und Präsident müssen jedoch bei der Gesetzgebung, in außenpolitischen Grundsatzfragen, bei der Bestätigung der Minister und bei der Ratifizierung von Verträgen zusammenarbeiten.
Doch auch unter den parlamentarischen Systemen gibt es verschiedene Ausprägungen, was Einfluss und Arbeitsweise des Parlaments betrifft. So wird der deutsche Bundeskanzler wie in anderen parlamentarischen Demokratien auch vom Parlament gewählt, ist aber seinen Ministern und dem Parlament gegenüber deutlich gestärkt: Durch die Richtlinienkompetenz kann der Kanzler Einfluss auf die Entscheidungen der Ministerien nehmen. Durch das konstruktive Misstrauensvotum, das die Abwahl des Kanzlers nur bei gleichzeitiger Neuwahl eines Nachfolgers erlaubt, ist er schwer stürzbar. In der fast 60-jährigen Geschichte des Bundestages kam es nur einmal, im Oktober 1982, zu einer Abwahl des Kanzlers durch ein konstruktives Misstrauensvotum. Damals löste HELMUT KOHL (CDU) den amtierenden Bundeskanzler HELMUT SCHMIDT (SPD) ab.
In Großbritannien (Bild 3) verfügt der Regierungschef über noch ausgeprägtere Machtbefugnisse. Er hat laut eines ungeschriebenen Verfassungsgrundsatzes das Recht, im Verbund mit dem Monarchen das Parlament aufzulösen und kann die Abgeordneten so disziplinieren, da ihre Wiederwahl meist nicht gesichert ist.
Die Arbeitsweise eines Parlamentes wird maßgeblich durch seine Geschäftsordnung festgelegt. Da die Geschäftsordnung den Umgang zwischen Parlamentariern, Parteien, Ausschüssen sowie den Kammern regelt, übt sie entscheidenden Einfluss auf den politischen Stil aus. Man unterscheidet bei der Arbeitsweise eines Parlaments grob zwischen dem „Redeparlament“ und dem „Arbeitsparlament“:
Parlamente verfügen in vielen Fällen über ein Zweikammersystem. Hinter der Zweiten Kammer steckt die Konzeption, gesellschaftlichen Interessen (Gewerkschaften, Wirtschaftsverbände etc.) politischen Einfluss durch eine staatliche Institution zu gewähren. Dies wurde jedoch in den seltensten Fällen realisiert. In föderalen Systemen bleibt die zweite Kammer meistens den Gliedstaaten (Bundesländern) vorbehalten, wobei die Zweite Kammer im Normalfall weniger Rechte hat als die Erste Kammer. Die Zweite Kammer kann auf unterschiedliche Weise zusammengesetzt sein:
Kritik am parlamentarischen System zielt zum einen auf die schwache Stellung des Parlaments gegenüber der Regierung. So wird etwa die Haushaltsautonomie (Budget-Recht) des Parlaments dadurch eingeschränkt, das viele Etatposten (Beamtengehälter, Sozialausgaben, Rüstungskosten) aufgrund von Gesetzen festgelegt sind oder den Experten der Ministerialbürokratie obliegen. Auch in der Außenpolitik ist die Regierung dem Parlament überlegen. Sie handelt Verträge aus, die das Parlament im Nachhinein nur mit Ja oder Nein ratifizieren kann.
Des Weiteren wird das parlamentarische System wegen seiner mangelnden Trennung von Legislative und Exekutive kritisiert. Dieser Mangel ist zweifellos auf den starken Einfluss der Parteien zurückzuführen. Da die Regierung meistens von der stärksten Partei oder Koalition im Parlament getragen wird, ist die Kontrollfunktion des Parlaments deutlich eingeschränkt. Denn die Parlamentsmehrheit hat wenig Interesse an öffentlicher Kritik der Regierung. Auch der Gesetzgebungsprozess wird weniger vom Parlament, sondern vor allem von den Mehrheitsparteien bestimmt. Gesetze werden von den Führungsstäben der Koalitionsparteien ausgearbeitet und können durch Ausschüsse und andere Fachgremien des Parlaments nur in Nuancen abgeändert werden. Die Plenumsdiskussion im Parlament gilt Kritikern eher als öffentliches Schauspiel für die Wähler (J. HABERMAS, C. SCHMITT), während die Entscheidung längst an anderer Stelle getroffen wurde. Die Forderung nach mehr demokratischer Kontrolle durch das Parlament ist deshalb zumeist verbunden mit der Forderung nach stärkerer Demokratisierung der politischen Prozesse in den Parteien.
Beispiel für parlamentarische Demokratie: Großbritannien
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