Politisches Engagement und Internet

Jährlich steigt die Zahl der Internetnutzer: Im Jahr 2007 waren bereits 40,8 Mio. Deutsche ab 14 Jahren online (62,7 %). Alle großen Parteien, Organisationen und Verbände sind im Netz vertreten, aber auch NGOs, Vereine und alternative politische Projekte. Im Netz gibt es vielfältige politische Aktivitäten (z. B. Chats mit Politikern, Unterschriftensammlungen, Web-Diskussionen), Online-Zeitschriften, Internetportale und Informationsseiten. Viele politikrelevante Dokumente (wie Drucksachen des Bundestages oder aktuelle Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts) können von interessierten Bürgern eingesehen oder heruntergeladen werden.

Junge Menschen nutzen die Möglichkeiten des neuen Kommunikationsmediums am intensivsten:  2007 waren

  • 95,8 % der 14- bis 19-Jährigen und
  • 94,3 % der 20- bis 29-Jährigen

online. Aber auch für die mittleren Altersgruppen wird das Internet zunehmend selbstverständlich:

  • 81,9 % der 30- bis 39-Jährigen,
  • 73,8 % der 40- bis 49-Jährigen und
  • 64,2 % der 50- bis 59-Jährigen

sind inzwischen im Netz. Am wenigsten Internet-Nutzer gibt es in der Altersgruppe 60 Jahre und älter (25,1 %), doch zeigen sich hier starke Zuwachsraten (2002: 7,8 %; Ergebnisse der ARD/ZDF-Onlinestudie 2007).

Internet und politisches Engagement Jugendlicher

Für das politische Engagement der jungen Generation hat das Internet eine besonders große Bedeutung. Das zeigen die Ergebnisse der verschiedenen Shell-Studien, in denen mithilfe repräsentativer Umfragen regelmäßig das Politikverständnis und die politischen Beteiligungsformen von Jugendlichen im Alter zwischen 15 und 25 Jahren erforscht werden. Dabei wurde deutlich, dass sich ein großer Teil der Jugendlichen in unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen engagiert, z. B. in einer Nichtregierungsorganisation (NGO) oder Partei, einem Verein oder in den Kirchen, in der Schülervertretung oder bei einer Internet-Diskussionsplattform.
Ein wichtiges Ergebnis war die tendenzielle Parteienverdrossenheit (nicht: Politikverdrossenheit!) der Jugendlichen, die sich mehrheitlich nicht in traditionellen Großorganisationen (wie Parteien, Gewerkschaften und Verbänden) engagieren möchten. Eine Hauptursache ist, dass die damit verbundenen hierarchischen, starren Strukturen, Bürokratisierung und Unflexibilität abgelehnt werden. Hinzu kommt eine große Skepsis gegenüber parteipolitischen und ideologischen Bindungen und Beschränkungen. Politische Aktivität soll

  • Spontaneität,
  • Eigeninitiative und
  • themenbezogenes Engagement in konkreten Projekten

ermöglichen. Eine Aufgabe auf Zeit wird gerne übernommen, weniger gerne ein Amt, das längerfristig bindet; die spontane Aktion, die auch schnelle Reaktion auf aktuelle Ereignisse ermöglicht, hat Vorrang vor komplizierter Organisation. Einen wichtigen Stellenwert nimmt der Wunsch nach öffentlicher Wirksamkeit bzw. Erfolg des Engagements ein. Deutlich wird auch die große Bedeutung, die unabhängigen Informationsmöglichkeiten eingeräumt wird, sowie das Misstrauen gegenüber traditionellen Medien, ihren Zugangsbeschränkungen und ihrer Orientierung am Massengeschmack. Die Mehrheit der Jugendlichen wünscht sich zudem mehr Basisdemokratie in der Gesellschaft: Die Bürger sollen an möglichst vielen Entscheidungen beteiligt werden.

Diesen Interessen und Wünschen kommen die Möglichkeiten des Internets entgegen:

  • Das Internet bietet den gewünschten Zugang zu unabhängigen und vielfältigen Informationen, aber auch
     
  • Räume für eine offenere Kommunikation;
     
  • es ermöglicht potenziell die Mitsprache und freie Meinungsäußerung aller Interessierten, die mit Gleichgesinnten und Andersdenkenden ohne ideologische und parteipolitische Grenzen kommunizieren können.
     
  • Die Struktur der Kommunikation und Beteiligung erscheint gegenüber realen Debatten und traditionellen Engagementformen gleichberechtigter; übliche Einflussfaktoren – wie Alter oder sozialer Status – haben im virtuellen Raum geringeres Gewicht.
     
  • Das Internet ermöglicht zudem schnelle Kommunikation und Organisation über räumliche und zeitliche Distanzen hinweg; es kann intensiv dazu genutzt werden, sich mit anderen – auch in globaler Dimension – „zu vernetzen“.
     
  • Neben der passiven Mediennutzung wird das Internet somit auch zum Ort, in dem eigenständige Meinungsbildung und aktive Mitgestaltung möglich wird.

Die Jugendlichen nutzen die neuen Möglichkeiten der Information, Kommunikation und Partizipation des Internets auf vielfältige Weise:

  • Eine zentrale Bedeutung hat das neue Medium als Mittel der Information, Kommunikation und Vernetzung, z. B. durch Politikportale, Web-Präsenzen von politischen Organisationen, Initiativen und Projekten, Beratungsseiten, Newsletter und Mailinglisten, aktuelle Web-Diskussionen und Chats.
     
  • Das Internet erlaubt aber auch neue Formen politischen Engagements. Neben politischen Initiativen mit einem konkreten Ziel (z. B. „Wählen mit 18“) gibt es die Möglichkeit, sich kurz- oder längerfristig für ein bestimmtes Anliegen einzusetzen (z. B. durch die Pflege von Internet-Portalen und Homepages, die Moderation von Diskussionen oder die Betreuung von Mailinglisten). Im Netz haben sich neue Internet-Protestformen etabliert, in denen sich politisch leichgesinnte zu politischen Aktivitäten organisieren. Dazu gehören beispielsweise der Zusammenschluss linker Internetseiten-Betreiber zur Aktionsgruppe „Netz gegen rechte Gewalt“, die Gründung von Internet-Parteien und das Wählen eines Internet-Kanzlers durch die Mitglieder-Community von „democracy online 2day“ oder die Sammlung von Unterschriften oder Unterstützern, wie bei der online-Kampagne gegen Genfood der Umweltschutzorganisation „Greenpeace“. Neue Formen politischen Protests sind auch

    virtuelle „sit-ins“ oder
    Internet-Demonstrationen,

    die Firmen an einem bestimmten Vorgehen hindern oder Kritik gegen ein bestimmtes Verhalten ausdrücken sollen.

Insgesamt zeigt sich allerdings die Tendenz, dass überdurchschnittlich stark Angebote der Information, weniger der Kommunikation und noch weniger der direkten politischen Beteiligung wahrgenommen werden. Interaktive Angebote werden noch am wenigsten genutzt.

Zentrale Kennzeichen politischen Engagements im Internet sind:

  • Selbstorganisation und Eigeninitiative,
  • Spontaneität und Aktualität,
  • flexible, offene Organisationsstrukturen,
  • (globale) Kommunikation und Vernetzung (Netzwerk-Strukturen),
  • Projekt- und Zeitgebundenheit.

Potenziale und Gefahren des Internets

Wichtige Potenziale des Internets werden im möglichen Beitrag des neuen Mediums zur Demokratisierung der Gesellschaft gesehen: Durch bessere Informations- und Beteiligungsmöglichkeiten könnten alle Bürger zum aktiven Gestalter in sämtlichen Lebensbereichen und zu mündigen politischen Bürgern werden. Das Internet würde damit auch entscheidend zu einer bürgernahen Demokratie und zu mehr Transparenz politischer Strukturen und Prozesse beitragen.

  • Das Netz bietet freie Verfügbarkeit über vielfältige, aktuelle, preiswerte und schnell abrufbare Informationen und den öffentlichen Zugang breiter Bevölkerungsschichten zu Wissen. Dadurch sind die Bürger in der Lage, sich umfassend und selbstständig zu informieren, aber auch eigene Anliegen im Netz zu verbreiten.
     
  • Das Internet erlaubt Kommunikation ohne Zeit- und Raumbeschränkungen und setzt sich über traditionelle Hierarchien und Autoritäten hinweg: So können sich z. B. in den öffentlichen Kommunikationsräumen der virtuellen Gemeinschaften alle Interessierten zu Wort melden und miteinander diskutieren.
     
  • Die Gründung politischer Initiativen und die Initiierung politischer Aktivitäten wird möglich, ohne in bürokratische Organisationsstrukturen (z. B. von Parteien) eingebunden zu sein. Politische Aktionen können damit zielgerichtet auf aktuelle Ereignisse oder bestimmte Themen ausgerichtet werden.
     
  • Das neue Medium kann dazu genutzt werden, klassische Formen des Engagements besser zu organisieren (z. B. durch beschleunigte Kommunikation), ermöglicht aber auch neue Formen bürgergesellschaftlichen Engagements, die als reine Online-Aktivitäten flexiblere, projekt- und themenorientierte Beteiligungschancen eröffnen.

Zugleich zeigen sich spezifische Gefahren des Internets:

  • Das Potenzial der Demokratisierung kommt nur dann zum Tragen, wenn möglichst alle Bürger ungehinderten Zugang zum Internet haben – also keine Bevölkerungsgruppen von den neuen Möglichkeiten ausgeschlossen sind: Der freie, öffentliche Zugang zum Netz muss für alle gewährleistet sein. Von großer Bedeutung für die Nutzung der neuen Möglichkeiten ist jedoch die Kompetenz, mit dem neuen Medium auch sinnvoll umgehen zu können, was inhaltliche, soziale und technische Fähigkeiten einschließt (Medienkompetenz).
    Das spezifische Internetnutzer-Profil zeigt jedoch eine Ungleichverteilung in der Gesellschaft: Unter den Internetnutzern sind überdurchschnittlich viele junge Menschen (Bild 3), mehr Männer als Frauen und signifikant mehr Nutzer mit höherem Bildungsstatus. Dadurch entsteht die Gefahr einer „digitalen Spaltung“ der Gesellschaft durch eine wachsende Kluft zwischen Nutzern und Nicht-Nutzern. Diese Entwicklung kann soziale Ungleichheiten hervorrufen oder verstärken, indem Bildungsniveau, sozialer Status und Geschlechtszugehörigkeit über Internetnutzung und damit auch über Informations- und politische Beteiligungsmöglichkeiten entscheiden. Da in Zukunft die Steuerung der Zugänge und die Nutzung des Internets erheblich stärker als bisher von den Medien, Geld und Bildungsstatus bestimmt sein könnte, ist die Beseitigung von technischen, rechtlichen, finanziellen und bildungsabhängigen Hürden zum Netz unverzichtbar.
     
  • In der Netz-Kommunikation verlieren traditionelle Status- und Autoritätssysmbole (wie Alter, Beruf) zwar an Bedeutung, dafür werden aber soziale Kompetenzen und Kommunikationsfähigkeiten wichtiger, die häufig mit einem höheren Bildungsniveau verknüpft sind und neue Barrieren errichten können. Die virtuellen Kommunikationsräume sind auch keine prinzipiell „herrschaftsfreien“ Räume, da sich auch hier Machtbeziehungen etablieren und z. B. kommerzielle Interessen oder populistische Strömungen Einfluss nehmen können. Die Anonymität des Netzes erleichtert zudem Störungen, Provokationen und Betrug der Teilnehmer, weshalb neue Organisationsstrukturen, Kommunikationsregeln und Kontrollmechanismen unerlässlich sind (z. B. Diskussionsleiter, Informationsfilter).
     
  • Trotz der besonderen Kommunikations- und Organisationsmöglichkeiten des Internets bleibt es schwierig, auf die „reale Politik“ Einfluss zu nehmen. Für die Wirksamkeit politischer Einflussnahme ist beispielsweise entscheidend, zwischen virtueller und realer Welt eine konkrete Verbindung herzustellen (z. B. Sammeln von Unterschriften im Netz für/gegen eine politische Entscheidung).
     
  • Das Internet dient nicht nur der friedlichen Kontaktaufnahme und toleranten Kommunikation, sondern kann auch gewalttätige Aktionen unterstützen und Inhalten ein Forum bieten, die politisch oder moralisch bedenklich oder verboten sind (z. B. Verstöße gegen Jugendschutz, Rassismus, politischer Extremismus). Hinzu kommen spezifische Formen der Internetkriminalität, die an die Möglichkeiten des neuen Mediums gekoppelt sind, wie Spam-Mails oder Tauschringe für Kinderpornografie. Die Bekämpfung dieser Phänomene ist häufig schwierig, da das Internet nationale Grenzen überschreitet und damit auch die politischen Eingriffs- und Steuerungsmöglichkeiten stark beschränkt.

Die bisherige Entwicklung des Internets und seiner Nutzung zeigt, dass sich die euphorischen Hoffnungen auf umfassende Demokratisierung zwar nicht erfüllt haben, aber mehr Transparenz politischer Prozesse möglich ist und neue Informations-, Kommunikations- und Partizipationsmöglichkeiten entstanden sind.

Die Gruppe der 14- bis 29-Jährigen nutzt vergleichsweise häufig das Internet – u.a. zur Informationsbeschaffung und politischen Vernetzung.

Die Gruppe der 14- bis 29-Jährigen nutzt vergleichsweise häufig das Internet – u.a. zur Informationsbeschaffung und politischen Vernetzung.

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