Wahlen in Deutschland

Im Wahlverhalten der Bevölkerung äußert sich der Volkssouverän, indem die stimmberechtigte Bevölkerung über die Auswahl von Personen entscheidet. Im Rahmen der in der Verfassung formulierten Wahlgrundsätze und des im Wahlgesetz von 1956 festgelegten Wahlsystems (s. a. PDF "Bundeswahlgesetz") entscheidet sie über ihre Repräsentanten in den politisch entscheidungsberechtigten Volksvertretungen in Gemeinden und Kreisen, den Ländern, dem Bund und für die EU.

Historischer Ausgang

Die konstitutionelle Neuordnung in Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg suchte aus dem Niedergang der Weimarer Republik und dem Machtübergang in die totalitäre Diktatur des Nationalsozialismus unter ADOLF HITLER zu lernen. Dies galt für alle Besatzungszonen. Das Grundgesetz, mit dem sich aus den drei westlichen Besatzungszonen die Bundesrepublik Deutschland gründete, nahm eine Reihe von institutionellen Regelungen auf, die eine Wiederholung gleicher oder ähnlicher Vorgänge verhindern sollen:

  • Die Grundrechte werden unmittelbar geltendes Recht.
  • Die direkte Mitwirkung des Volkes bleibt – abgesehen von Abstimmungen zur Neuordnung des Bundesgebiets - auf Wahlen beschränkt.
  • Parteien werden quasi Verfassungsorgane.
  • Der Bundespräsident wird nicht vom Volk gewählt und bleibt auf repräsentative Aufgaben beschränkt.
  • Regierungskrisen nach einfachem Misstrauensvotum werden durch das Konstruktive Misstrauensvotum verhindert.

Das Grundgesetz lässt offen, nach welchem Wahlsystem gewählt werden soll, legt jedoch die allgemein geltenden Wahlgrundsätze fest, dass Wahlen

  • allgemein,
  • gleich,
  • geheim,
  • unmittelbar und
  • frei

durchgeführt werden müssen.
Nach zunächst gegensätzlichen Vorstellungen einigten sich die Parteien im Bundeswahlgesetz von 1956 auf das System der personalisierten Verhältniswahl mit einer Sperrklausel. Danach wird die eine Hälfte der Bundestagsabgeordneten in Einpersonen-Wahlkreisen und die andere über Landeslisten der Parteien gewählt.

Auch die Bundesländer legten sich in Wahlgesetzen auf die Grundform der Verhältniswahl und ebenfalls eine Fünf-Prozent-Klausel fest. Aus Gründen des Minderheitenschutzes entfällt die Sperrklausel für die dänische Minderheit in Schleswig-Holstein. Gelten im Bund und den meisten Ländern starre Listen, deren Kandidatenreihenfolge von den Wählern nicht verändert werden kann, so gibt es in Bayern eine offene Reihenfolge (lose gebundene Liste). Auch Kommunalwahlen müssen den Wahlgrundsätzen des Bundes folgen. Im Unterschied zu Bund und Land können bei Kommunalwahlen auch EU-Ausländer wählen. Kommunalwahlen umfassen

  • Wahlen zu den parlamentarischen Vertretungen in
    – Gemeinden,
    – Kreisen und
    – Städten (Gemeinderat, Kreistag, Stadtrat) und
     
  • Direktwahlen der (Ober-)Bürgermeister und Landräte.

Aspekte und Faktoren des Wahlverhaltens

Ob und wie Wähler abstimmen, hängt von persönlichen und sozialen Merkmalen, von ihren unmittelbaren und weiteren gesellschaftlichen Umgebungen ab. Die sozialwissenschaftliche Wahlforschung hat als wahlbeeinflussende Faktoren

  • Alter,
  • Geschlecht,
  • Ortsgröße und
  • Konfession

mit Blick auf Wählergruppen untersucht. Sie versucht, plausible Zusammenhänge zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und Wahlverhalten aufzudecken. Auch

  • Traditionen,
  • Milieu und
  • Lebensstil

spielen eine Rolle, nicht zuletzt die Einschätzung der konkurrierenden Parteien und deren Spitzenkandidaten so wie die allgemeine politische Lage. Welche der Faktoren im Vordergrund stehen, beantworten theoretische Erklärungsmodelle mit unterschiedlichen Akzenten. Danach sind maßgeblich entweder

  • das soziale Umfeld (mikrosoziologische Erklärung),
  • die grundlegenden gesellschaftlichen Konflikte (makrosoziologische Erklärung),
  • die längerfristigen Parteiidentifikationen (Individualpsychologie) oder
  • die rationale Nutzenserwartung (Entscheidungstheorie).
     

In der Realität des Wählens treten verschiedene Aspekte gemeinsam und verwoben auf. Ausschlaggebende Faktoren sind nach vorherrschendem Urteil der Wahlforschung:

  • die sozioökonomischen Faktoren Beruf, Einkommen und Bildung,
  • Konfession,
  • gesellschaftspolitische Selbsteinschätzung und Orientierung.

Das längerfristige Wahlverhalten zeigt gesellschaftliche Zusammenhänge auf und hat entscheidende Auswirkungen auf die Parteiendemokratie:

  • Die potenzielle Wählbarkeit aller etablierten Parteien hat sich weitgehend durchgesetzt. Barrieren zwischen den Stammwählern der Parteien bröckelten. CDU und CSU nahmen die Wähler kleinerer bürgerlicher Parteien auf, und die SPD entwuchs ihrer strukturellen Minderheitenposition. Zugunsten einer breiten Wählbarkeit verzichteten die Volksparteien auf programmatische und politische Eindeutigkeit.
     
  • Auf das System der Verhältniswahlen ist es vor allem zurückzuführen, wenn bisher nur zur dritten Legislaturperiode die absolute Mehrheit von einer Partei erobert wurde – CDU/CSU 1957/1961 – und Wahlen erstmals 1998 einen kompletten Regierungswechsel bewirkten. Regierungswechsel bestehen in der Regel aus veränderten Koalitionen, was den kleineren Koalitionspartnern FDP, Bündnis 90/Die Grünen oder auf Landesebene auch der Partei Die Linke relativ starke Stellungen einbringt („Königsmacher“ der Koalitionen).
     
  • Stammwählerschaften und regionale Wähler-Hochburgen unterliegen dem Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft. Zu den Stammwählern der CDU/CSU zählen kirchennahe Katholiken und bei der SPD gewerkschaftlich organisierte Arbeiter. Doch am sonntäglichen Kirchgang nehmen statt 12 Millionen Katholiken Anfang der 1960er-Jahre nur noch fünf Millionen teil. Der Arbeiteranteil der SPD-Wähler sinkt seit den 1960er-Jahren auf die Hälfte. Wahlen werden gegenwärtig im sozialen Raum der neuen Angestellten, Beamten und Mittelschichten, „in der Mitte“ durch Wechselwähler entschieden.

    Die Wahlforscherin U. FEIST kommt zu folgender Wählertypologie (1987):
    – Arbeiterbereich (gewerkschaftlich organisierte sowie nicht-organisierte, bewusste Arbeiter),
    – gewerkschaftlich gebundene Angestellte und Beamte,
    – „Neue“ Mittelschicht (Angestellte, Beamte und Selbständige, deren Väter Arbeiter waren),
    – alte Mittelschicht,
    – katholischer Traditionsbereich (Angehörige der Mittelschicht und Arbeiter mit Kirchenbindung).
     
  • Wenngleich niemals eine rechtsextreme Partei in den Bundestag gelangte (maximaler NPD-Anteil 1969: 4.3 ), so existiert eine rechtsradikale Strömung, die wiederholt Abgeordnete in Länderparlamente wählte (1951, 1966–1968 und seit 1987). Größere Wahlgewinne rechtsradikaler Parteien (NPD, DVU, Schill-Partei) signalisieren zumeist in Wirtschaftsflauten die akute Schwäche der demokratischen Parteien und gestörte Beziehungen zwischen Wählern und den gewählten politischen Führungen.
     
  • Die Wahlbeteiligung hat längerfristig nachgelassen, weniger bei den Bundestagswahlen, stärker bei Wahlen zu Länderparlamenten und zum Europäischen Parlament. Die „Partei der Nichtwähler“ wurde größer. Empirische Untersuchungen deuten darauf hin, dass die gesellschaftliche Norm, Wählen als staatsbürgerliche Verpflichtung anzusehen, weniger akzeptiert wird. Dabei nimmt die Bevölkerung eine klare Abstufung entsprechend der unterschiedlichen politischen Bedeutung von der Spitze der Bundesebene über die Landes- und Kommunalebene zur Europäischen Ebene als bisherigem Schlusslicht vor.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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