Zäsur

Im folgenden Beispiel aus dem Nibelungenlied befindet sich die Zäsur zwischen mæren // wvnders und gantz // ja.

Uns ist in alten mæren // wvnders vil geseit
WIr sind doch nunmehr gantz // ja mehr denn gantz verheeret!

ANDREAS GRYPHIUS nutzt die Zäsur in seinem Sonett „Es ist alles eitel“:

Du siehst, wohin du siehst, // nur eitelkeit auf erden.
Was dieser heute baut, // reißt jener morgen ein,
Wo jetz und städte stehn, // wird eine wiese sein,
Auf der ein schäfers kind // wird spielen mit den herden.

Wie beim Endreim tritt auch vor der Zäsur männliche oder weibliche Kadenz (lat. cadere = fallen) auf. Weist also ein Vers eine Zäsur auf, endet der jeweilige Versteil jeweils mit einer Kadenz:

Du siehst, wohin du siehst, // nur eitelkeit auf erden.

Diärese

Die Kadenz siehst weist männlichen Versabschluss (betonte Silbe) auf, während erden weiblich (unbetonte Silbe) abschließt. Weibliche Kadenz wird, weil sie leicht nachklingt, auch klingende Kadenz genannt. Der Vers „Du siehst, wohin du siehst, // nur eitelkeit auf erden“ besteht aus Jamben:

- V - V - V // - V - V - V - V - (- = unbetont, V = betont, // = Zäsur). Diese spezielle Zäsur nennt man dann Diärese (griech. diaíresis = Trennung). So wird die Zäsur genannt, wenn das Ende eines Kolons mit dem Ende eines Versfußes zusammenfällt.

Endet der erste Versteil männlich und beginnt der zweite Versteil ohne Auftakt, also z.B. mit einem Trachäus, ergibt dies einen sogenannten Hebungsprall. Letzteres trifft stets dann zu, wenn mehrere Hebungen unmittelbar aufeinander folgen:

FRIEDRICH HÖLDERLIN
Menons Klagen um Diotima

Täglich geh' ich heraus, und such' ein Anderes immer,
 Habe längst sie befragt, II alle die Pfade des Lands;
Droben die kühlenden Höhn, die Schatten alle besuch' ich,
Und die Quellen; hinauf II irret der Geist und hinab,
Ruh' erbittend; so flieht das getroffene Wild in die Wälder,
 Wo es um Mittag sonst II sicher im Dunkel geruht;
Aber nimmer erquickt sein grünes Lager das Herz ihm,
Jammernd und schlummerlos II treibt es der Stachel umher.
Nicht die Wärme des Lichts, und nicht die Kühle der Nacht hilft,
Und in Wogen des Stroms II taucht es die Wunden umsonst.
Und wie ihm vergebens die Erd' ihr fröhliches Heilkraut
Reicht, und das gärende Blut II keiner der Zephyre stillt,
So, ihr Lieben! auch mir, so will es scheinen, und niemand
Kann von der Stirne mir II nehmen den traurigen Traum?
[...]
(Hölderlin, Friedrich : Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 2, Stuttgart: Cotta, 1953, S. 78)

Der Hebungsprall tritt vor allem in Pentametern auf, da in diesem Vers nach der dritten Hebung die Senkung wegfällt. Auch tritt Hebungsprall auf, wenn die Verse in Distichen geschrieben sind. Das Distichon ist ein Doppelvers, bestehend aus einem Hexameter, gefolgt von einem Pentameter:

Im Hexameter steigt des Springquells flüssige Säule,
Im Pentameter drauf II fällt sie melodisch herab."
(Schiller: Distichon)

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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