Bei diesem Vorgang sind mehrere Gehirnregionen aktiv. Die Speicherung von Erinnerungen ist immer eine Mehrfachverarbeitung von Informationen, in die beide Gehirnhälften einbezogen werden. Die linke Gehirnhälfte ist dabei für die sprachliche Einordnung zuständig, die rechte für Bildhaftes und Gefühlshaftes. Dies bedeutet, dass das Gehirn nicht einfach nur Außenreize verarbeitet, sondern neue Informationen immer mit bereits vorhandenen Erinnerungen und Gefühlen verknüpft.
Beim Lesen kommen meist die drei Verarbeitungsstufen zum Einsatz.
Schon in der griechischen Antike machte man sich Gedanken über die Funktionsweise des Gedächtnisses. Auch PLATON, der berühmte griechische Philosoph, wollte herausfinden, warum wir uns Dinge merken und warum nicht. Er stellte sich das Gedächtnis als eine Wachstafel vor. Wenn man eine unbekannte Information aufnimmt, hinterlässt diese einen Abdruck auf dem Wachs. Jede neue Information wird mit der ersten verglichen. Ist die Information der ersten ähnlich oder hat sie etwas mit der ersten zu tun? Ist diese Information wichtig für mich? Wenn ja, dann wird ein neuer Abdruck gemacht, oder der erste verstärkt sich. Die Unterschiede in der Gedächtnisleistung verschiedener Menschen erklärte PLATON sich damit, dass die Wachstafel einfach bei einem Menschen größer und bei dem anderen kleiner ist. Nach PLATON haben sich noch viele Forscher mit dem Gedächtnis beschäftigt. Die Wissenschaft, die daraus entstand, nennt sich Kognitionspsychologie.
Schon PLATON hat erkannt, dass das Verstehen von Sprache ein komplexer Prozess ist. Grundlegende Informationen dienen als Netz, um komplexe oder abstrakte Informationen einzufangen und diese zu verknüpfen. Das bedeutet für das Lernen: je mehr Kenntnisse man schon zu einem Thema oder in der Fremdsprache hat, desto leichter fällt es einem, neues Wissen aufzunehmen und zu verknüpfen.
Die Verarbeitung sprachlicher Zeichen wird in drei Stufen eingeteilt. Diese laufen nicht nacheinander, sondern gleichzeitig ab.
Interessant ist, dass die vorgestellten drei Gedächtnisarten nicht bestimmte Teile oder Räume im Gehirn sind. Das Ultrakurzzeitgedächtnis und das Arbeitsgedächtnis sind eigentlich Teile des Langzeitgedächtnisses, die im jeweiligen Moment der Sprachverarbeitung aktiv sind.
Die Informationen im Langzeitgedächtnis sind in Gebiete aufgeteilt, die sich mit den verschiedenen Belangen des menschlichen Lebens beschäftigen.
Im semantischen Gedächtnis ist das begriffliche Wissen des Menschen gespeichert. Hier finden wir Faktenmaterial, etwa geografische Informationen oder abstrakte Begriffe und Regeln. Es wird kontinuierlich ausgebaut und ist an den Gebrauch von Sprache gebunden.
Im episodischen Gedächtnis werden Erfahrungen, Situationen, Ereignisse gespeichert. Hier befinden sich Erinnerungen an einen tollen Film, den man gesehen hat, oder auch an den letzten Geburtstag. Es ist stark mit Gefühlen verknüpft.
Im mentalen Lexikon vermutet man das Sprachwissen. Hier sind Informationen zu Wörtern gespeichert. Dazu gehören aber nicht nur die Bedeutungen, sondern auch grammatikalische Regeln oder Wortbildungsmuster.
Beim Lesen eines fremdsprachlichen Textes steht das Gedächtnis vor mehreren Herausforderungen. Zum einen muss es beim Lesen eines Satzes nicht nur die Bedeutung des Wortes, sondern auch seine grammatikalischen Merkmale und seine Verbindung zu anderen Satzmitgliedern, die syntaktische Verknüpfung, erkennen.
Wenn wir einen deutschen Text lesen, dann wissen wir, dass das Wort geht die 3. Person Singular von gehen ist. Wissen heißt in diesem Fall, dass die Suche nach dieser Information im Langzeitgedächtnis automatisch verläuft. Sie braucht keine Aufmerksamkeit.
In der Fremdsprache kann es für das Gedächtnis schwerer sein, diese grammatikalische Information zu finden. Es weiß nicht automatisch, dass goes die 3. Person Singular von go ist. Das Abrufen dieses Wissens ist eine bewusst gestartete Suche, die eine große Kapazität des Arbeitsgedächtnisses in Anspruch nimmt. So fehlt dann Speicherplatz für die Erkennung anderer Wörter oder Merkmale.
Ähnlich ist es bei der syntaktischen Verknüpfung im Satz. Wenn das Gedächtnis das Wort geht wahrnimmt, dann ist klar, dass das Wort davor oder danach entweder ein Personalpronomen, also er, sie, es, oder ein Name sein muss.
In der Fremdsprache ist wieder Aufmerksamkeit notwendig, um diese Information zu erhalten und so den Sinn des Satzes zu verstehen.
Außerdem benötigt das Arbeitsgedächtnis manchmal mehr Aufmerksamkeit für das Verstehen von Wortbedeutungen. Ein Wort wird z. B. erkannt, man findet jedoch seine deutsche Bedeutung nicht. Der Grund dafür ist die fehlende Festigung des Wortes. Ein neues Wort wird nämlich nicht sofort im mentalen Lexikon abgelegt. Zuerst gelangt es nur in das episodische Gedächtnis und wird als Erfahrung gespeichert. Dort kann es während des Lesens nicht so leicht oder manchmal gar nicht abgerufen werden. Das Arbeitsgedächtnis verschwendet Aufmerksamkeit mit der Suche, die aber ins Leere geht. Diese Kapazität fehlt ihm dann wiederum beim nächsten Wort.
Jede bewusst durchgeführte Informationssuche verringert die Aufnahmemöglichkeiten des Arbeitsgedächtnisses. Deshalb kann das Lesen in der Fremdsprache manchmal schwerfallen.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
Ein Angebot von