Diskothek

Begriff

Der Begriff Diskothek kommt aus dem Französischen (discothèque) und bürgerte sich hier unter den ersten Publizisten und Liebhabern des Jazz als Bezeichnung für die Schallplattensammlungen ein, die erstmals im Jazz als Zeugnis einer im wesentlichen schriftlos praktizierten Musikpraxis eine große Rolle spielten.

Aus Frankreich kommt auch die Übertragung des Begriffs auf eine Veranstaltungsform. 1943, während der Besetzung Frankreichs durch die Deutsche Wehrmacht, eröffnete in der Pariser Rue de la Huchette die Bar „La Discothèque“, so benannt, weil angesichts des geltenden Verbots für amerikanische Musik der Klub sein illegales Jazz-Programm mit Schallplatten bestritt.

Entwicklung

Als Institution etablierte sich die Diskothek im Paris der Nachkriegszeit mit Tanzlokalen wie

  • dem „Whiskey-A-Go-Go“,
  • der „Peppermint Lounge“ und
  • dem „Chez Castel“,

die sich einen legendären Ruf erwarben. Hier entstand auch das Konzept, dem zwangsläufig etwas nüchternen Vorgang des Plattenauflegens mit einem ausgesuchten Ambiente zu begegnen, das vom Raum-Design über die Musikauswahl, den Programmaufbau, die Art der Moderation und eine Reihe von akustischen und visuellen Spezialeffekten bis hin zur Kleiderordnung für die Gäste reichte und in jeder Diskothek eine ganz eigene Atmosphäre schuf.

n den USA etablierte sich die Diskothek Ende der 1950er-Jahre im Zusammenhang mit der aufkommenden Twist-Mode, einem Tanzvergnügen, das nach dem Teenager-Kult des Rock 'n' Roll wieder auf alle Altersgruppen ausgerichtet war. Auf dem Höhepunkt der Twist-Welle 1960 gab es in den USA dann schon mehr als 5 000 Diskotheken.

Auch in Deutschland erschien die erste Institution dieser Art schon in den fünfziger Jahren mit dem exklusiven Aachener Speiselokal „Scotch Club“, in dem ab 1959 ein Diskjockey (DJ) auflegte – KLAUS QUIRINI (* 1941), der sich im deutschsprachigen Raum dann um die Entwicklung dieser Veranstaltungsform sehr verdient gemacht hat.

Allerdings geriet das Plattenauflegen in den 1960er-Jahre mit der Entwicklung der Rockmusik, in der das Live-Musikerlebnis eine zentrale Rolle spielte, erst einmal in den Hintergrund. Die Diskothek wurde vor allem in den USA nun zur Plattform für Randgruppen wie die verschiedenen Migrantenkulturen sowie die afroamerikanische Schwulen-Szene, wo sie allerdings eine zentrale Rolle zu spielen begann. In den afroamerikanischen Schwulen-Diskotheken kam auch die Praxis auf, mit Non-Stop-Musik von der Schallplatte das Tanzen und damit die Körpererfahrung zum eigentlichen Inhalt der Veranstaltung zu machen.

Die Diskokugel steht symbolisch für das heute durch Lichtunterstützung synästhetisch gewordene Klangerlebnis.

Die Diskokugel steht symbolisch für das heute durch Lichtunterstützung synästhetisch gewordene Klangerlebnis.

Diskothek - Diskokugel

Die Renaissance der Diskothek

Die beispiellose Renaissance, die die Diskothek als Veranstaltungsform dann Mitte der siebziger Jahre erfuhr und die zum Auslöser gleich einer ganzen Reihe eigens dafür entstandener Musikstile (Philly und Disco Sound, Rap, House Techno etc.) wurde, hatte allerdings noch eine weitere Wurzel.

Die Diskothek etablierte sich in den 1950er-Jahren in einer mobilen Form für Veranstaltungen im Freien – Plattenspieler und Lautsprecherwagen – auch in vielen Ländern Afrikas und Lateinamerikas. Hier wurde sie zur Plattform eigenständiger Musikpraktiken.

Eine besondere Rolle für die weitere Entwicklung spielten dabei die jamaikanischen Sound Systems im Umfeld des Reggae, in denen schon in den 1950er-Jahren die Praxis aufkam, die Platten beim Auflegen zu manipulieren, etwa

  • zur Spannungssteigerung den Einsatz des Gesangs durch Zurückdrehen der Platte zu verzögern oder
  • besonders beliebte Stellen durch Zurücksetzen der Nadel in Schleife laufen zu lassen.
  • Im Zusammenhang damit kam auch das „Toasten“ genannte rhythmische Schnellsprechen zu den instrumentalen Zwischenspielen der aufgelegten Songs auf.

Ab Mitte der 1950er-Jahre bekamen deshalb die meisten Plattenveröffentlichungen in Jamaika eine Instrumentalversion des Songs auf der Plattenrückseite mitgeliefert (Dub Version), um den in Jamaika Sound System Men genannten Diskjockeys Material zur Entfaltung ihre Künste zu geben. Diese überaus kreative Form des Umgangs mit der Tonkonserve gelangte mit dem ständigen Strom von Migranten nicht nur direkt in die USA, sondern wurde hier zum Auslöser einer Entwicklung, die aus der Diskothek einen Ort des Musizierens mit dem Plattenspieler werden ließ.

Die Diskothek als Ort des Musizierens mit Musik

Bereits die Mitte der 1970er-Jahre im sogenannten Disco Sound entstandenen Produktionen waren eigentlich nur noch Material, aus denen die DJs durch kunstvolles In- und Aneinanderfahren der Titel einen Endlosstrom von Musik erzeugten. Sie wurden nun häufig für den Gebrauch in der Diskothek in ausgedehnten Versionen noch einmal abgemischt und auf der eigens dafür entwickelten Maxi-Single, einem Plattenformat mit den Dimensionen einer LP und einer Abspielgeschwindigkeit wie der der Single, in die Diskotheken wie das New Yorker „Studio 54“ gebracht, das zum Synonym für die Diskomusik der 1970er-Jahre geworden ist. Die Diskothek wurde dabei zu einem Veranstaltungsort, in dem das einzelne Musikstück – der Hit, der Song, die Tanznummer – hinter der Erlebnis-Produktion zurücktrat. Das Einzelstück ging im Klangstrom, den die DJs erzeugten auf, ging in einer neuen Form des bewegungsgeleiteten und ausgeprägt körperbezogenen Musikerlebnisses unter.

Mit dem Rap gelangten die kunstvollen DJ-Techniken sowie der rhythmische Sprechgesang der jamaikanischen Sound Systems von der Straße und den Hinterhof-Parties, wo sie in den US-amerikanischen Großstädten ihren Ort gefunden hatten, in diesen Zusammenhang. Ende der 1970er-Jahre war in den USA eine ausdifferenzierte Subkultur um die Diskothek entstanden, die nun – ausgehend von New York und Klubs wie dem „Paradise Garage“ (einer umfunktionierten LKW-Garage) oder Chicago und Klubs wie dem „Warehouse“ (einer umfunktionierte Lagerhalle) – das DJing und die Kunst des Turntablism (des Plattenauflegens) in ihrem Zentrum hatte.

Die Kunst des Diskjockeys wird dabei so dominant, dass die Räume bloß noch Hüllen für einen Klang- und Lichtraum sind, folglich ohne große Umstände fortan dort gesucht werden, wo sie zu haben sind. Leer stehende Fabriketagen, Lagerhallen, Kellerräume werden als Veranstaltungsort nun zur Regel (z.B. die einstigen Berliner Techno-Tempel „E-Werk“, „Bunker“, „Tresor“). Im Mittelpunkt steht nun das vor allem durch Lichtunterstützung synästhetisch gewordene Klangerlebnis. Aus der Diskothek ist damit ein Ort der kreativen Eroberung des Plattenspielers als neuartiger Klangmaschine, ein Ort des Musizierens mit Musik über Musik geworden.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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