Internationaler Strafgerichtshof 

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH)

Der ständige Internationale Strafgerichtshof (IStGH; englisch ICC – International Criminal Court) mit Sitz in Den Haag ist eine noch sehr junge, seit dem 1. Juli 2002 bestehende Institution. Er ist ein durch seine Mitgliedstaaten geschaffenes selbstständiges Völkerrechtssubjekt, soll aber nach seinem Statut in einem engen Verhältnis zu den Vereinten Nationen stehen.

Nicht zu verwechseln ist der IStGH mit dem Internationalen Gerichtshof (IGH), der seinen Sitz zwar auch in Den Haag hat, aber ein Hauptorgan der Vereinten Nationen v. a. zur Beilegung internationaler Rechtsstreitigkeiten zwischen Staaten und zur Erstellung von Rechtsgutachten im UN-Auftrag ist.

Im Kern ist der IStGH ein Instrument zum wirksameren internationalen Schutz der Menschenrechte. Denn trotz vieler internationaler Menschenrechtskonventionen kam und kommt es immer wieder zu schwersten Verletzungen dieser Rechte, ohne dass diese bisher international strafrechtlich verfolgt werden konnten. Durch die neue Institution sollen nun, so ihr Statut, die „schwersten Verbrechen von internationalem Belang“ (Art. 1.) strafrechtlich belangt werden können.
Deshalb ging mit der Einrichtung des Gerichts die Weiterentwicklung eines das Völkerrecht ergänzenden internationalen Völkerstrafrechts einher. Darunter sind die völkerrechtlichen Normen zu verstehen, die eine unmittelbare Bestrafung von natürlichen Personen wegen Verletzung international geschützter Rechtsgüter, wie der Menschenrechte, begründen.

Regelungen und Zuständigkeiten

Das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom Juli 1998 (siehe PDF "Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs") regelt die Einrichtung des Gerichtshofs, seine Zuständigkeit, die allgemeinen Grundsätze des Strafrechts sowie seine Zusammensetzung und seine Verwaltung.

Nach Art.  können vor dem IStGH Einzelpersonen (nicht Staaten) wegen „schwerster Verbrechen von internationalem Belang“ zur Verantwortung gezogen werden.
Art. 5 Abs. 1 nennt im Einzelnen die folgenden vier Verbrechen, die dann in den Artikeln 6 bis 8 genauer definiert werden:

  1. Völkermord: nach Art. 6 ist das eine Handlung, „die in der Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören“.
     
  2. Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Art. 7 definiert sie als Handlung, „die im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung und in Kenntnis des Angriffs begangen wird“.
     
  3. Kriegsverbrechen: Art. 8 verweist auf das Kriegsvölkerrecht (insbesondere die vier Genfer Abkommen) und erklärt den IStGH für zuständig „in Bezug auf Kriegsverbrechen, insbesondere wenn diese als Teil eines Planes oder einer Politik oder als Teil der Begehung solcher Verbrechen in großem Umfang verübt werden“.
     
  4. Aggression: dieses Verbrechen muss noch genauer definiert werden. Bis dahin unterliegt es nach Art. 5 nicht der Gerichtsbarkeit.

Die Gerichtsbarkeit, die Befugnis zur Ausübung der Tätigkeit des IStGH bezieht sich nur auf Verbrechen, die nach dem Inkrafttreten des Statuts, also nach dem 1. Juli 2002 begangen wurden. Seither begangene Verbrechen unterliegen jedoch nicht der Verjährung.
Weiterhin muss das Gericht, um in bestimmten Fällen tätig werden zu können, entweder durch den Staat, auf dessen Gebiet ein Verbrechen stattfand (Territorialprinzip) und/oder durch den Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Angeklagte hat (Personalitätsprinzip) anerkannt sein.
Unerheblich für die Anklage ist es dabei allerdings, ob eine Person als Privatperson oder in amtlicher Funktion, z. B. als Staatschef oder Angehöriger einer Regierung, gehandelt hat. Damit können zukünftig auch solche Staatsmänner, die bisher durch ihr Staatsamt gedeckt Verbrechen gegen die Menschheit begingen, strafrechtlich verfolgt werden.
Minderjährige sind von der Anklage ausgeschlossen.

Die Anrufung des Gerichts kann von verschiedenen Seiten erfolgen: von einem Vertragsstaat des IStGH, durch den UN-Sicherheitsrat oder durch einen Ankläger einer eigens am Gerichtshof eingerichteten international zusammengesetzten Ermittlungs- und Anklagebehörde, die selbstständig Ermittlungen aufnehmen kann.

Die Organe des Gerichts sind: Präsidium, Berufungsabteilung, Hauptverfahrensabteilung und Vorverfahrensabteilung, Anklagebehörde, Kanzlei. Juristen und Verwaltungsstab sind international zusammengesetzt. Die 18 Richter werden durch die Versammlung der Mitgliedstaaten in geheimer Abstimmung für eine Amtszeit von drei, sechs oder neun Jahren gewählt.

Teil des Statuts sind auch allgemeine Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit wie z.B.:

  • die so genannte Gesetzesbestimmtheit, nach der ohne ein entsprechendes Gesetz keine Anklage erfolgen und keine Strafe verhängt werden kann;
     
  • Rechte der Angeklagten: z. B. das Recht auf eine Verteidigung seiner Wahl sowie auf die Bereitstellung angemessener Möglichkeiten für seine Verteidigung;
     
  • Unschuldsvermutung für den Angeklagten;
     
  • Verbot der Doppelbestrafung, wenn z. B. schon ein nationales Gericht eine Strafe ausgesprochen hat.

Mit dem letzten Punkt eng zusammen hängt das Prinzip der Komplementarität (Ergänzung). Demnach wird das Gericht nur tätig, wenn Staaten zur Strafverfolgung nicht willens oder in der Lage sind (Letzteres z. B. bei so genannten „failed states“ ohne einen auch nur halbwegs funktionierenden Staatsapparat).
Im Normalfall soll das Gericht die nationale Gerichtsbarkeit also weder ersetzen noch ergänzen oder überprüfen.

Das Strafmaß für schuldig gesprochene Angeklagte kann nach Art. 5 des Statuts bis zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe betragen. Die Verhängung der Todesstrafe durch das Gericht ist vom Statut her ausgeschlossen.

Entwicklung bis zum Römischen Statut

Der Internationale Strafgerichtshof ist vorläufiger Endpunkt einer längeren Entwicklung des internationalen Völkerstrafrechts. Indem nun auch Einzelpersonen für begangene Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden können, stellt es eine Ergänzung des Völkerrechts dar. Dieses bezieht sich ja auf das Verhältnis der Staaten zueinander und ist daher kaum (mit Ausnahme z. B. des Kriegsrechts) auf Individuen anwendbar.

Ein wichtiger Schritt war das am 8. August 1945 durch die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges beschlossene Statut für den Internationalen Militärgerichtshof von Nürnberg, das den so genannten Nürnberger Prozessen gegen deutsche Hauptkriegsverbrecher zugrunde lag. Anklagepunkte waren damals: Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Ebenfalls am Ende des Zweiten Weltkrieges war in Tokio ein Internationaler Militärgerichtshof für von Japan begangene Kriegsverbrechen in Asien eingerichtet worden.

Während des Ost-West-Konflikts lähmte das Gegeneinander der internationalen Mächte auch die Weiterentwicklung eines allgemeinen internationalen Völkerstrafrechts.

Erst die Epochenwende 1989/90 schuf neue Möglichkeiten. Hinzu kam das Ausbrechen neuer innerstaatlicher Konflikte, was sich in einer Zunahme an Bürgerkriegen und schweren ethnischen Auseinandersetzungen äußerte. Diese entzogen sich zum Teil der zwischenstaatlichen Ebene, hatten aber Auswirkungen auf die internationale Politik, erzwangen auch unter moralischen Gesichtspunkten ein Eingreifen.
So wurde 1993 durch den UN-Sicherheitsrat der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien, einen der entstandenen Konfliktherde eingerichtet.
1994 folgte, ebenfalls auf Beschluss des UN-Sicherheitsrats, der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda gegen Hauptverantwortliche für den Völkermord, der im Laufe eines Jahres über eine halbe Million Opfer forderte.

Damit gewann international die Idee eines ständigen Internationalen Strafgerichtshofs immer mehr an Bedeutung. Zum Abschluss einer Staatenkonferenz wurde Mitte 1998 in Rom das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs von Vertretern von 120 Staaten angenommen; 21 enthielten sich der Stimme und 7 stimmten mit Nein. Als im Frühjahr 2002 mehr als 60 Staaten das Statut ratifiziert hatten, konnte – wie im Statut festgelegt – der IStGH am 1. Juli 2002 seine Arbeit aufnehmen. Bis Mitte 2009 hatten 110 Staaten das Abkommen ratifiziert.

Internationales Völkerstrafrecht und internationale Politik

Bis heute nicht beigetreten sind u. a. die USA, aber auch Staaten wie China, Indien oder Russland. Die USA begründen das auch mit der Gefahr politisch motivierter Anklagen im Zusammenhang mit ihrem, häufig auch im Auftrag der UNO tätigen weltweiten Engagement, die sich gegen ihre Soldaten oder andere amerikanische Staatsangehörige bis hin zum Präsidenten richten könnten. Unter der Administration des US-Präsidenten BARACK OBAMA scheint es aber seit 2009 eine Annäherung der USA an den Strafgerichtshof zu geben, auch wenn ein Beitritt so schnell nicht zu erwarten ist.
Dass sich die weltweit größte Macht bisher dem Gericht entzieht, schmälert die Durchsetzung seiner Normen und Regeln. Denn diese ist auf die Mitarbeit der Staaten angewiesen. Immerhin bezieht sich der Geltungsbereich nur auf Staaten, die dem Statut beigetreten sind. Aber auch bei der Umsetzung kommt den Staaten eine wichtige Rolle zu.

Deshalb beschloss der Deutsche Bundestag mit dem Beitritt Deutschlands zum Römischen Statut auch die Anpassung der nationalen Gesetzgebung an dieses. Dadurch ist z. B. die Zusammenarbeit der deutschen Behörden mit dem IStGH geregelt, was etwa die Überstellung von Angeklagten, die Leistung von Rechtshilfe oder die Duldung von Verfahrenshandlungen auf deutschem Territorium verbindlich regelt.

So abhängig die Wirkung eines internationalen Völkerstrafrechts auch von der Mitarbeit der Staaten ist und so schwer der bisherige Nichtbeitritt der USA zum IStGH wiegen mag – er vermag dennoch positive Wirkungen zu entfalten, die der damalige deutsche Außenminister FISCHER im Jahre 2000 in einer Bundestagsrede vor allem auf drei Ebenen sah:

„Erstens können die Verantwortlichen für Krieg, Vertreibung und Völkermord nicht länger damit rechnen, unter dem Schutzschirm nationaler Souveränität straflos auszugehen .... Zweitens wird von der Arbeit des Gerichtshofs eine Abschreckungs- und Präventivwirkung ausgehen, die das Kalkül potenzieller Täter mitbestimmen wird. Sie werden sich künftig nirgends mehr sicher fühlen können. Und drittens wird der Strafgerichtshof auf die nationalen Strafrechtssysteme und dortigen Rechtsüberzeugungen positiv ausstrahlen.“

Insofern massive Menschenrechtsverletzungen häufig auch eine Gefährdung des internationalen Friedens bedeuten, ist die Einrichtung des IStGH zudem ein Beitrag zur internationalen Friedenssicherung.

Bis heute allerdings, so scheint es oft, hat der Gerichtshof als sehr junge Institution seine Rolle im Geflecht der internationalen Beziehungen noch nicht endgültig gefunden und sucht weiterhin nach angemessener internationaler Anerkennung und Durchsetzungskraft.
Zwar wurden etwa im März 2003 die ersten 18 Richter feierlich vereidigt und in den Folgejahren erste Untersuchungen eingeleitet, so über die Lage im Kongo, in Uganda, im Sudan oder in der Zentralafrikanischen Republik. Auch kam es im August 2006 dann zu einer ersten Anklage gegen THOMAS LUBANGA, dem zur Last gelegt wurde, als Anführer einer bewaffneten Miliz in der Demokratischen Republik Kongo Kinder zwangsrekrutiert und als Kindersoldaten eingesetzt zu haben. Der dann erste Prozess vor dem Gericht wurde gegen ihn allerdings erst im Januar 2009 eröffnet. Daneben sind einige andere Fälle vor allem gegen Milizenführer aus den genannten afrikanischen Staaten anhängig, ohne dass bis Mitte 2009 entsprechende weitere Prozesse schon eröffnet worden wären.
Für Aufsehen sorgte im März 2009 zudem die Ausstellung eines Haftbefehls gegen den somalischen Präsidenten AL-BASHIR, dem im Zusammenhang mit den Gewaltexzessen in der somalischen Provinz Darfur Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen vorgeworfen werden. Damit geht das Gericht erstmalig gegen einen amtierenden Präsidenten vor. Allerdings lehnt nicht nur der Sudan eine Auslieferung AL-BASHIRS ab. Auch international ist der Haftbefehl umstritten. Neben der Kritik von mit dem Sudan enger verbundenen Staaten wie China wird häufig auch gefragt, ob ein solches Vorgehen des Gerichts den Sudan nicht eher in die Isolation treiben und einen Frieden in Darfur somit erschweren würde. Andererseits begrüßen viele Menschenrechtsaktivisten und auch viele westeuropäische Staaten den Haftbefehl, zumal man einem Frieden im Darfur auch vor der Entscheidung des Gerichts nicht näher gekommen sei. Letztlich geht es hier auf allgemeiner Ebene auch um die Frage, inwieweit die Politikziele Gerechtigkeit (im Sinne der Durchsetzung der Menschenrechte und der Verfolgung ihrer Verletzung) und Frieden (im Sinne der realpolitischen Aushandlung eines Gewaltverzichts – wie hier am Beispiel der Darfur Provinz) miteinander vereinbar sind.

Neben den erwähnten Untersuchungen, Ermittlungen oder Prozessen des IStGH gibt es einige andere Aktivitäten des Gerichts, die nicht ganz unwichtig erscheinen. So wird etwa am Aufbau einer umfassenden internationalen Datenbank zu Straftatbeständen wie Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen gearbeitet. Das Projekt ist auf der Website des IStGH unter dem Stichwort „Legal Tools Project“ (LTP) zu finden und teilweise der interessierten Öffentlichkeit zugänglich.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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