Der britische Philosoph und Wissenschaftstheoretiker österreichischer Herkunft, KARL RAIMUND POPPER, gilt als Begründer des kritischen Rationalismus und Vordenker des Liberalismus. Einige bezeichnen ihn als den wichtigsten Philosophen seit FRANCIS BACON (1561–1626).
„Es gibt kein sicheres Wissen.“
...
„Unverständlichkeit hat ihre Ursache entweder in Inkompetenz oder dem Versuch, die Leute mit Worten zu beeindrucken“ (POPPER).
KARL RAIMUND POPPER wurde am 18. Juli 1902 in Wien geboren. Er war der Sohn des aus Böhmen stammenden jüdischen Rechtsanwalts SIMON SIEGMUND CARL POPPER, der ihm klassische Literatur (seine Bibliothek umfasste rund 10 000 Bücher) und Philosophie nahe brachte. Seine Mutter, JENNY, geborene SCHIFF, war sehr musikinteressiert. Im Esszimmer der Familie stand ein Flügel, den die Mutter meisterhaft beherrschte. So befand sich der Knabe bereits im Widerstreit mit sich, ob er später Philosoph oder Musiker werden sollte.
Als KARL zwölf Jahre alt war, begann der Erste Weltkrieg. Mit sechzehn verließ er das Realgymnasium und begann an der Wiener Universität als Gasthörer Vorlesungen in
zu besuchen.
Er ging verschiedenen Gelegenheitsarbeiten nach, u. a. arbeitete er (unentgeltlich) in den Erziehungsberatungsstellen von ALFRED ADLER, einem ehemaligen Mitarbeiter von SIGMUND FREUD (1856–1939). ADLER vertrat die Ansicht, Erziehung sei ein Mittel zur Vorbeugung von Neurosen. Kinder sollten Gemeinschaftsgefühl entwickeln, das zu Verhaltensänderungen führte. POPPER kritisierte später die Psychoanalyse ADLERs und FREUDs, sie sei „ebensowenig falsifizierbar (1) wie astrologische Voraussagen“.
(1) falsifizieren, von lat. falsificare=verfälschen, ist eine wissenschaftliche Methode und bedeutet, eine wissenschaftliche Behauptung durch empirische, (erfahrungsgemäße) Beobachtung zu widerlegen.
Das Ende des Ersten Weltkrieges erlebte POPPER in Wien. Er sympathisierte kurzzeitig mit sozialistischen, später mit kommunistischen Anschauungen. Nachdem er jedoch erleben musste, wie fünf seiner Freunde von der Polizei während einer Demonstration erschossen wurden, überprüfte er seine Denkhaltung.
Extern holte POPPER die Matura (das Abitur) nach und machte gleichzeitig eine Ausbildung zum Kunsttischler. 1922 begann er ein Studium der Mathematik und Physik in Wien und bestand 1924 die Prüfung an der Lehrerbildungsanstalt. POPPER erhielt eine Lehrbefähigung für Mathematik, Physik und Chemie an Grundschulen. Er promovierte 1928 an der Universität Wien mit Auszeichnung bei dem Psychologen und Sprachtheoretiker KARL BÜHLER (1879–1963). Das Thema seiner Dissertation lautete: „Zur Methodenfrage der Denkpsychologie“.
Kurz darauf kam er in Kontakt mit Mitgliedern des „Wiener Kreises“, dem unter anderem
angehörten. Basis der Überlegungen des „Wiener Kreises“ waren die philosophischen Ansätze des logischen Positivismus von BERTRAND RUSSELL (1872–1970) und LUDWIG WITTGENSTEIN (1889–1951). Die Philosophie sollte danach als Wissenschaft ebenso exakt zu verifizieren (beweisen) sein, wie die Naturwissenschaften. Probleme der Philosophie sollten entweder
gelöst werden können. Im Gegensatz zu den Vertretern des Wiener Kreises entwickelte POPPER seine Theorie von der Falsifikation (Widerlegung) philosophischer Hypothesen:
„Damit eine Theorie wissenschaftlich ist, muß sie überprüfbar sein, d.h. sie muß sich der Kritik und der Widerlegung aussetzen. ... Der wahre Wissenschaftler darf an seine eigene Theorie nicht glauben. Er muß ihr gegenüber eine kritische Haltung einnehmen, er muß wissen, daß jeder sich irren kann und daß infolgedessen seine Theorie irrig sein kann.“ POPPER
Abgrenzungsproblem | Induktionsproblem |
„Die Erkenntnistheorie muß ein strenges und allgemein verwendbares Kriterium aufstellen, das gestattet, Sätze der empirischen Wissenschaften von metaphysischen Behauptungen zu unterscheiden. 'Abgrenzungsproblem' nenne ich die Frage nach dem Abgrenzungskriterium.“ | Induktion = Schließen vom Besonderen, Einzelnen auf das Allgemeine) „Als 'Induktionsproblem' wird ... die Frage nach der Geltung oder nach der Begründung der allgemeinen Sätze der empirischen Wissenschaften bezeichnet.“ |
„Unser Wissen ist ein kritisches Raten, ein Netz von Hypothesen; ein Gewebe von Vermutungen.“ Methode von Versuch und Irrtum |
1930 wurde POPPER Hauptschullehrer in Wien. Er heiratete JOSEFINE ANNA HENNINGER. Auf einer England-Reise 1935–1936 begegnete POPPER dem Physiker ERWIN SCHRÖDINGER (1887–1961), dem Mathematiker (Logiker) und Philosophen RUSSELL und dem Kunsthistoriker ERNST H. GOMBRICH (1909–2001), mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verbinden sollte.
1935 nahm POPPER am Ersten Internationalen Kongress für Einheit der Wissenschaft in Paris teil.
POPPER beobachtete die politischen Vorgänge im Deutschland der dreißiger Jahre sehr aufmerksam. Er befürchtete, dass HITLER auf einen Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich drängen würde und ging deshalb 1937 nach Neuseeland. Hier lehrte er an der Canterbury University (1937–1945) und schrieb angesichts der Bedrohung der Freiheit durch den Nationalsozialismus in Deutschland und den Stalinismus in der Sowjetunion „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ (engl.: „The Open Society and Its Enemies“, 1945), eine brillante Verteidigungsschrift für die Demokratie. Hierin lehnte er eine Theorie der gesetzmäßigen Höherentwicklung der Menschheit, wie sie u. a. von KARL MARX („Falsche Propheten Hegel, Marx“) vertreten wurde, ab. Der Mensch sei kein bloßes Rädchen im großen Räderwerk der menschlichen Geschichte. Ideologien, die sich auf die „Masse als Beweger der Geschichte“ reduzierten Kollektivismus stützten, seien Feinde der offenen Gesellschaft. Mit „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ machte er auch erstmals als Wissenschaftstheoretiker auf sich aufmerksam.
In „Das Elend des Historizismus“ führte er aus:
„Die Hybris, die uns versuchen läßt, das Himmelreich auf Erden zu verwirklichen, verführt uns dazu, unsere gute Erde in eine Hölle zu verwandeln – eine Hölle, wie sie nur Menschen für ihre Mitmenschen verwirklichen können.
Wenn wir die Welt nicht wieder ins Unglück stürzen wollen, müssen wir unserer Träume der Weltbeglückung aufgeben. Dennoch können und sollen wir Weltverbesserer bleiben – aber bescheidene Weltverbesserer. Wir müssen uns mit der nie endenden Aufgabe begnügen,
- Leiden zu lindern,
- vermeidbare Übel zu bekämpfen,
- Mißstände abzustellen;
immer eingedenk der unvermeidbaren Folgen unseres Eingreifens, die wir nie ganz voraussehen können und die nur allzuoft die Bilanz unserer Verbesserungen zu einer Passivbilanz machen.“
1945 wurde POPPER britischer Staatsbürger. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte das Ehepaar POPPER 1946 nach Europa zurück und wohnte seitdem in Großbritannien. POPPER wurde auf Initiative von FRIEDRICH AUGUST VON HAYEK (1899–1992) und LIONEL ROBBINS (1898–1984) zum Außerordentlichen Professor an der Londoner School of Economics berufen und 1949 Professor für Logik und Wissenschaftstheorie an der Universität London. In seinen Londoner Jahren veröffentlichte POPPER Bücher zur Quantentheorie und zu anderen naturwissenschaftlichen Themen.
Mit seinem Vortrag auf dem Tübinger Soziologentag über „Die Logik der Sozialwissenschaften“ 1961 begann der so genannte „Positivismusstreit“.
Queen ELISABETH II. schlug den namhaften Philosophen 1965 zum Ritter. 1969 wurde er emeritiert. Erst 1976 nahm man POPPER in die Royal Society auf. 1985 starb POPPERs Frau JOSEFINE.
Anlässlich des Krieges im ehemaligen Jugoslawien veröffentlichte er 1993 einen „Aufruf an die Europäer“. Er starb am 17. September 1994 in East Croyden (London). Sein Ehrengrab befindet sich auf dem Lainzer Friedhof in Wien-Hietzing.
POPPER war ein Vordenker des Liberalismus:
„Der Liberalismus beruht auf dem Dualismus von Tatsachen und Maßstäben in dem Sinne, dass er an die Suche nach immer besseren Maßstäben glaubt, besonders im Bereich der Politik und der Gesetzgebung.“
(Sir KARL POPPER)
Mit seinem Konstrukt der „Paradoxie der Freiheit“ drückte POPPER aus, dass „unbegrenzte Freiheit zur Unfreiheit für viele, unbegrenzte Selbstbestimmung zur Fremdbestimmung anderer führen“ (KARL GRAF BALLESTREM) müsse. Dabei bedeutet der Terminus zugleich das Paradoxon und „die Möglichkeit der Demokratie, sich per Mehrheitsentscheid selbst abzuschaffen.“ (KARL GRAF BALLESTREM) In diesem Zusammenhang spricht POPPER von der Fehlbarkeit der Vernunft. Für ihn kommt es in einer Demokratie darauf an, „politische Institutionen so organisieren, daß es schlechten oder inkompetenten Herrschern unmöglich ist, allzugroßen Schaden anzurichten“. (POPPER) Er favorisierte als politische Herangehensweise des Liberalismus die so genannte „Stückwerk-Technologie“ oder die „Sozialtechnik der kleinen Schritte“.
Liberalismus war nach POPPER:
Wichtigste Kriterien einer offenen Gesellschaft sind für POPPER:
Wichtige Werke KARL POPPERs:
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