Die Lebensgeschichte PAUL GERHARDTs fällt großenteils in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Er wurde am 12.03.1607 in Gräfenhainichen bei Wittenberg geboren. Er war der zweite Sohn des Bürgermeisters und Gastwirtes CHRISTIAN GERHARDT und der Tochter des Superintendenten in Eilenburg, KASPAR STARCKE. Neben dem Bruder hatte GERHARDT noch zwei jüngere Schwestern. Die Eltern starben früh, der Vater 1619, die Mutter 1621.
GERHARDT besuchte vermutlich zunächst die Stadtschule von Gräfenhainichen. Ab April 1622 erhielt er eine Ausbildung an der Fürstenschule in Grimma, Schwerpunkte waren neben der Religion vor allem Latein und Musik. Von 1628–1642 absolvierte er ein theologisches Studium an der Universität im streng lutherischen Wittenberg. In dieser Zeit wohnte er im Marktviertel von Wittenberg in der Collegienstraße, der heutigen Nr. 7.
Nach dem Studium arbeitete GERHARDT zunächst in Wittenberg als Hauslehrer. Hier lernte er u. a. AUGUSTUS BUCHNER kennen, der in Wittenberg von 1616–1661 als Professor für Rhetorik und Poesie tätig war. Durch BUCHNER erhielt GERHARDT Kenntnis von den metrischen Regeln des MARTIN OPITZ, wie dieser sie in seinem „Buch von der Deutschen Poeterey“ (1624) dargelegt hatte.
1643–1651 lebte GERHARDT bei dem Berliner Hof- und Kammergerichtsadvokaten ANDREAS BERTHOLD, seinem späteren Schwiegervater. Höchstwahrscheinlich stand er auch hier als Hauslehrer in Diensten. Gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges begann Berlin immer mehr zu expandieren. GERHARDT lebte in der bürgerlichen Oberschicht, für die das Dichten im Rahmen von gesellschaftlichen Anlässen zu einer Selbstverständlichkeit geworden war. Somit entstanden in der Berliner Zeit die meisten und auch einige der wichtigsten Lieder GERHARDTs (z. B.: „Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld“, „Nun danket all' und bringet Ehr'“, „Nun ruhen alle Wälder“).
1651 nahm er das Amt als Probst und Inspektor der umliegenden Landpfarreien in Mittenwalde in der Mark an, das er bis 1657 ausübte – die glücklichste und schriftstellerisch fruchtbarste Zeit in seinem Leben. In diese Periode fiel auch seine Hochzeit mit ANNA MARIA BERTHOLD, der jüngsten Tochter des o.g. Berliner Kammergerichtsadvokaten, die am 11.02.1655 stattfand.
1657 wurde GERHARDT als Prediger an die Berliner Nikolaikirche berufen. Diese Berufung fiel in die Zeit schwerer Lehrstreitigkeiten zwischen lutherischen und reformierten Theologen und Predigern. Als der damalige Kurfürst von Brandenburg, FRIEDRICH WILHELM (der „Große Kurfürst“), Religionsauseinandersetzungen unter Androhung der Amtsenthebung verbot, da er Lutheraner und Reformierte vereinen und so dem Land den notwendigen Kirchenfrieden verschaffen wollte, unterwarf sich der Lutheraner GERHARDT dem Kurfürstlichen Toleranzedikt nicht. Er weigerte sich, die kurfürstliche Verordnung vom 16.09.1664 per Unterschrift anzuerkennen. Er wurde daraufhin im Februar 1666 seines Amtes enthoben. Seine Gemeinde, der Magistrat und auch die märkischen Landstände protestierten jedoch vehement gegen diese Amtsenthebung und so musste er am 09.01.1667 durch den Kurfürsten wieder ins Amt eingesetzt werden. Da ihm zwar die Unterschrift unter das Edikt erlassen worden war, der Kurfürst aber trotz dessen von ihm erwartete, dass er sich den Verordnungen unterwerfen werde, geriet GERHARDT in einen Gewissenskonflikt. So nahm er zwar seine Amtsgeschäfte zunächst wieder auf, verzichtete jedoch im Februar 1667 freiwillig auf das Amt.
Am 05.03.1668 starb seine Frau an der damals unheilbaren Lungentuberkulose. Sie hatte ihm fünf Kinder geschenkt, von denen zum Zeitpunkt ihres Todes allerdings nur noch eines am Leben war.
Im Oktober 1668 wurde GERHARDT vom Magistrat von Lübben im Spreewald (damals Kursachsen zugehörig) einstimmig zum Archidiakonus (gr., Ehrentitel für katholische Geistliche) gewählt und am am Trinitatisfest 1669 in das neue Amt eingeführt. Dort durfte das reine Luthertum unangefochten gelehrt werden. Er ließ er sich in Lübben nieder, wo er am 27.05.1676 verstarb.
Das literarische Schaffen von PAUL GERHARDT umfasst Gedichte in deutscher und lateinischer Sprache. Aus Erstdrucken der Jahre 1643–1675 sind 133 deutsche Gedichte überliefert. GERHARDT schrieb seine Gedichte als „Diener der Gemeinde“. Sie wurden im evangelischen Gottesdienst als Lieder gesungen; einige der Lieder wurden später sogar von JOHANN SEBASTIAN BACH vertont.
Die Verbreitung der Lieder GERHARDTs geht vor allem auf das Konto des Kantors der Berliner Sankt-Nikolai-Kirche, JOHANN CRÜGER. Das älteste Berliner Gesangbuch, die „Praxis pietatis melica“ von 1647, enthält 18 Lieder von GERHARDT, die Ausgabe von 1653 bereits 81, die letzte von CRÜGER redigierte Auflage von 1661 gar 95 Lieder. CRÜGER vertonte viele der Lieder GERHARDTs; seine Melodien trugen stark dazu bei, dass die Lieder bekannt und beliebt und gern gesungen wurden. 1667 gab ein weiterer Berliner Kantor, JOHANN GEORG EBELING, 119 Lieder von Paul GERHARDT heraus und versah sie mit neuen Melodien. Noch heute sind im evangelischen Kirchengesangsbuch etwa 30 Lieder enthalten. Zu den bekanntesten gehören „Befiehl Du Deine Wege“, „O Haupt voll Blut und Wunden“ und „Nun ruhen alle Wälder“.
Die Dichtungen GERHARDTs basieren vor allem auf der Theologie MARTIN LUTHERs, die sich von anderen Konfessionen in erster Linie dadurch abgrenzte, dass die Existenz des Menschen allein durch die Gnade Gottes gerechtfertigt wird. Weitere Anregungen fand GERHARDT in der vor-reformatorischen Erbauungsliteratur des Mittelalters (Schriften, die der Stärkung des Glaubens und der Frömmigkeit dienen und so bei der christlichen Lebensgestaltung Hilfe geben sollten).
GERHARDTs besonderes Verdienst war das Einbeziehen von mystischen Symbolen in die Lieddichtung. Gerade für das Kirchenlied war dies ein großer Gewinn, denn die so neu entstandene Bildersprache vereinfachte es, theologische Sachverhalte im Gottesdienst und in der Hausandacht zu vermitteln.
Gedichtbeispiele sind:
Geh aus, mein Herz
Geh aus, mein Herz, und suche Freud
In dieser lieben Sommerzeit
An deines GOttes Gaben;
Schau an der schönen Gärten Zier
Und siehe, wie sie mir und dir
Sich ausgeschmücket haben.
Die Bäume stehen voller Laub,
Das Erdreich decket seinen Staub
Mit einem grünen Kleide;
Narcissus und die Tulipan,
Die ziehen sich viel schöner als
Als Salomonis Seide.
Die Lerche schwingt sich in die Luft,
Das Täublein fleugt aus seiner Kluft
Und macht sich in die Wälder;
Die hochbegabte Nachtigall
Ergetzt und füllt mir ihrem Schall
Berg, Hügel, Tal und Felder.
Die Glucke führt ihr Völklein aus,
Der Storch baut und bewohnt sein Haus,
Das Schwälblein speist die Jungen;
Der schnelle Hirsch, das leichte Reh
Ist froh und kömmt aus seiner Höh
ins tiefe Gras gesprungen.
Die Bächlein rauschen in dem Sand
Und malen sich und ihren Rand
Mit schattenreichen Myrten;
Die Wiesen liegen hart dabei
Und klingen ganz vom Lustgeschrei
Der Schaf und ihrer Hirten.
Die unverdroßne Bienenschar
Fleucht hin und her, sucht hie und dar
Ihr edle Honigspeise.
Des süßen Weinstocks starker Saft
Bringt täglich neue Stärk und Kraft
In seinem schwachen Reise.
Der Weizen wächset mit Gewalt,
Darüber jauchzet Jung und Alt
Und rühmt die große Güte
Deß, der so überflüssig labt
Und mit so manchem Gut begabt
Das menschliche Gemüte.
Ich selbsten kann und mag nicht ruhn;
Des großen GOttes großes Tun
erweckt mir alle Sinnen;
Ich singe mit, wenn alles singt,
Und lasse, was dem Höchsten klingt,
Aus meinem Herzen rinnen.
Ach, denk ich, bist du hier so schön
Und läßt du uns so lieblich gehn
Auf dieser armen Erden,
Was will doch wohl nach dieser Welt
Dort in dem reichen Himmelszelt
Und güldnem Schlosse werden!
Welch hohe Lust, welch heller Schein
Wird wohl in Christi Garten sein!
Wie muß es da wohl klingen,
Da so viel tausend Seraphim
Mit eingestimmtem Mund und Stimm
Ihr Alleluja singen!
O wär ich da, o stünd ich schon,
Ach, süßer GOtt, für deinem Thron
Und trüge meine Palmen:
So wollt ich nach der Engel Weis
Erhöhen deines Namens Preis
Mit tausend schönen Psalmen!
Doch gleichwohl will ich, weil ich noch
Hier trage dieses Leibes Joch,
Auch nicht gar stille schweigen;
Mein Herze soll sich fort und fort
An diesem und an allem Ort
Zu deinem Lobe neigen:
Hilf mir und segne meinen Geist
Mit Segen, der vom Himmel fleußt,
Daß ich dir stetig blühe!
Gib, daß der Sommer deiner Gnad
In meiner Seelen früh und spat
Viele Glaubensfrücht erziehe!
Mach in mir deinem Geiste Raum,
Daß ich dir werd ein guter Baum,
Und laß mich Wurzel treiben;
Verleihe, daß zu deinem Ruhm
Ich deines Gartens schöne Blum
Und Pflanze möge bleiben!
Erwähle mich zum Paradeis
Und laß mich bis zur letzten Reis
An Leib und Seele grünen;
So will ich dir und deiner Ehr
Allein und sonsten keinem mehr
Hier und dort ewig dienen.
(Vgl. PDF "Paul Gerhardt - Gedichte")Morgen-Lied
1.
Wach auf mein Hertz / und singe
Dem Schöpfer aller Dinge:
Dem Gäber aller Güter:
Dem frommen Menschenhüter.2.
Heint als die dunckeln Schatten
Mich gantz umbgeben hatten /
Hat Satan mein begehret:
GOTT aber hats gewehret.3.
Ja Vater / als er suchte
Daß er mich fressen muchte /
War ich in deinem Schosse /
Dein Flügel mich beschlosse.4.
Du sprachst: Mein Kind nun liege:
Trotz dem / der dich betriege:
Schlaf wol / laß dir nicht grauen /
Du solst die Sonne schauen.5.
Dein Wort das ist geschehen /
Jch kan das Liecht noch sehen:
Von Noth bin ich befreyet
Dein Schutz hat mich verneuet.6.
Du wilst ein Opfer haben:
Hier bring ich meine Gaben:
Mein Weyrauch / Farr und Wieder
Sind mein Gebet und Lieder.7.
Die wirst du nicht verschmähen:
Du kanst ins Hertze sehen /
Und weissest das zur Gabe
Jch ja nichts bessers habe.8.
So wolst du nun vollenden
Dein Werck an mir / und senden
Der mich an diesem Tage
Auf seinen Händen trage.9.
Sprich ja zu meinen Thaten:
Hilf selbst das beste rathen /
Den Anfang / Mit’l und Ende /
Ach HERR zum besten wende!10.
Mit Segen mich beschütte:
Mein Hertz sey deine Hütte /
Dein Wort sey meine Speise
Biß ich gen Himmel reise.
(Vgl. PDF "Paul Gerhardt - Gedichte")
Wie soll ich dich empfangen (EKG 10)
Nun laßt uns gehn und treten (EKG 42)
Auf, auf, mein Herz, mit Freuden nimm wahr, was heut geschieht! (EKG 86)
Zeuch ein zu deinen Toren (EKG 105)
Nun ruhen alle Wälder (EKG 361, Schweifreim, Schema aabccb)
„Nun ruhen alle Wälder,
Vieh, Menschen, Städt und Felder,
Es schläft die gantze Welt;
Ihr aber meine Sinnen
Auf, auf ihr sollt beginnen
Was eurem Schöpfer wol gefällt.“ (Vgl. PDF "Paul Gerhardt - Gedichte")
Geh aus, mein Herz, und suche Freud (EKG 371, Volkslied)
Der aller Herz und Willen lenkt (1643, geschrieben für den Archidiakonus JOACHIM FROMM und SABINA BERTHOLD)
Ich bin ein Gast auf Erden (EKG 326)
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
Ein Angebot von