Grundströmung Sozialismus

Entstehung des Sozialismus

Die Anfänge des Sozialismus liegen im frühen 19. Jh.: Der Sozialismus entwickelte sich als breite Grundströmung als Gegenbewegung zu den Theorien des Liberalismus und den gesellschaftlichen Verhältnissen im Industriekapitalismus. Im 18. und 19. Jh. hatte das aufstrebende Bürgertum mit zunehmender wirtschaftlicher Macht auch politischen Einfluss und politische Rechte erringen können (bürgerliche Gesellschaft).

Im Zuge des sich ausbreitenden Industriekapitalismus entstand zugleich eine neue soziale Schicht der Lohnarbeiter (Proletariat), die angesichts der katastrophalen Arbeitsbedingungen im Frühkapitalismus (z. B. Arbeitslöhne unter dem Existenzminimum, keine Arbeitsschutzgesetze oder sozialpolitische Absicherung) in wachsende Verelendung geriet und die Massenarmut großer Bevölkerungsschichten bewirkte (soziale Frage). Inspiriert von den Forderungen der Französischen Revolution (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) zielten sozialistische Denker auf Gerechtigkeit und Solidarität als Voraussetzung der Freiheit aller Menschen. Politisch manifestierten sich sozialistische Ideen in der Arbeiterbewegung, die für bessere Lebensbedingungen der abhängigen Lohnarbeiter und ihre gerechte Teilhabe am gesellschaftlich produzierten Reichtum kämpfte.

Die Entwicklung sozialistischer Ideen war somit eng mit dem kapitalistisch-industriellen Umwälzungsprozess seit Mitte des 18. Jh. verbunden: Erst mit der modernen kapitalistischen Produktionsweise als einer auf Privateigentum und Erwerbstätigkeit gegründeten Industriegesellschaft waren die Voraussetzungen für die sozialistische Bewegung gegeben, die hauptsächlich von der Klasse der lohnabhängigen Arbeiter getragen wurde.

Sozialistische Hauptströmungen

Sozialistische Hauptströmungen

Grundidee des Sozialismus

Die Grundidee des Sozialismus (lat.: socialis = gesellschaftlich) besteht darin, die gesellschaftlichen Verhältnisse politisch und ökonomisch mit dem Ziel der Gleichheit und Gerechtigkeit grundlegend zu verändern. Betont wird

  • die Bedeutung der Solidarität der Gemeinschaft und
  • die Gewährleistung sozialer Sicherheit für alle Menschen.

Der Sozialismus strebt eine gerechte, auf sozialer Gleichheit beruhende Gesellschaftsordnung an. Grundidee ist, dass alle Menschen die gleichen Voraussetzungen zum Leben haben sollen: Niemand soll durch Reichtum, Herkunft oder Bildung bevorzugt sein oder sich auf Kosten anderer bereichern; die erarbeiteten wirtschaftlichen Gewinne sollen gleichmäßig verteilt werden. Die materielle Basis sozialer Ungleichheit wird in der ökonomischen Ungleichheit im Kapitalismus verortet: Soziale Gerechtigkeit kann demnach erst dann entstehen, wenn die Produktionsmittel

  • aus dem Besitz Einzelner (Privateigentum)
  • in den Besitz der Gesellschaft überführt worden sind (Vergesellschaftung).

Im Zentrum steht deshalb die Abschaffung oder zumindest gesellschaftliche Kontrolle von Privateigentum. Ziel ist rechtliche und politische Gleichheit, die durch materielle Gleichheit sozial abgesichert ist. Zur Herstellung dieser umfassenden Gleichheit sind dem Staat auch Eingriffe in individuelle (Eigentums-)Rechte erlaubt, da auch die Wirtschaft, in der der gesellschaftliche Reichtum arbeitsteilig erzeugt wird, von öffentlichem Belang ist und dem Gemeinwohl verpflichtet sein muss.

Die liberalen Grundwerte von Freiheit und Gleichheit der Bürger erhalten im Sozialismus eine radikale Prägung: Angestrebt wird nicht nur die rechtliche Freiheit von äußeren Zwängen, sondern es sollen auch die materiellen Voraussetzungen geschaffen werden, um allen Individuen die Freiheit zur Selbstentfaltung zu geben.

Drei Dimensionen des Sozialismus sind zu unterscheiden:

  • sozialistische Ideen und theoretische Konzeptionen,
  • sozialistische Bewegungen oder Parteiorganisationen,
  • sozialistische Herrschaftssysteme als realisierte politische und gesellschaftliche Strukuren.

Historische Ausprägungen des Sozialismus

Als historische Entwicklungsperioden des Sozialismus werden abgegrenzt:

  • Ende 18. Jh. bis ca. 1848:
    Entwicklung sozialistischer Grundgedanken im Frühsozialismus;
     
  • Mitte 19. Jh. bis Erster Weltkrieg:
    sozialistische Ideen werden zur politischen Weltanschauung des Marxismus ausgebaut und zur politischen Kraft; Herausbildung organisierter Arbeiterbewegungen in Europa und Entwicklung sozialistischer/sozialdemokratischer Parteien;
     
  • 1917/18 bis 1945:
    Spaltung zwischen Kommunismus/revolutionärem Marxismus und demokratischem Sozialismus/Sozialdemokratie, verknüpft mit der russischen Revolution 1917 und der kommunistischen Systemumwälzung in der UdSSR;
     
  • nach 1945:
    globalisierter Systemgegensatz im Ost-West-Konflikt (Kommunismus – Kapitalismus) bis 1989; kritische Weiterentwicklung von Marxismus und demokratischem Sozialismus; neomarxistische Strömungen.

Die theoretischen Konzeptionen des Sozialismus sind in ihren Ausprägungen sehr vielfältig. Als wichtigste sozialistische Hauptströmungen gelten (s. a. Bild 1):

  • Frühsozialismus („utopischer Sozialismus“);
  • Marxismus („wissenschaftlicher Sozialismus“);
  • orthodoxer Marxismus/Kommunismus (Marxismus-Leninismus, Stalinismus, Maoismus);
  • demokratischer Sozialismus/Sozialdemokratie.

Frühsozialismus („utopischer Sozialismus“)

Denker des Frühsozialismus entwarfen in Abgrenzung zur sich entfaltenden bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft Visionen einer gerechteren Gesellschaft („utopischer Sozialismus“).

Der deutsche Philosoph JOHANN GOTTLIEB FICHTE (1762–1814) ging davon aus, dass der Staat in die bestehenden (früh-)kapitalistischen Eigentumsverhältnisse eingreifen muss, um mehr Verteilungsgerechtigkeit und damit eine gerechtere Gesellschaft zu schaffen. In seinen Schriften finden sich erste Ideen eines sozialistischen Staatswesens (Staat übernimmt umfassende Aufgaben wie die Planung und Organisation der Wirtschaft sowie kulturelle und erzieherische Funktionen).

Auch der französische Philosoph CLAUDE HENRI DE SAINT-SIMON (1760–1825) vertrat die Ansicht, dass der Staat den erwirtschafteten Wohlstand gerecht, d. h. nach dem Leistungsprinzip, an die nützlichsten Mitglieder der Gesellschaft verteilen sollte (Hierarchie der Verdienste) – wobei für ihn „les industriels“, nämlich jene Individuen am nützlichsten waren, die mit ihrer Arbeitskraft Güter und Dienstleistungen produzierten.

Andere frühsozialistische Denker orientierten sich stärker an neuen, gemeinschaftlichen Eigentums- und Lebensformen: An die Stelle des kapitalistischen Marktes sollte in der sozialistischen Gesellschaft die kollektive Organisation von Produktion und Verteilung treten. Der französische Gesellschaftstheoretiker CHARLES FOURIER (1772–1837) propagierte gemeinsames Leben und Arbeiten der Menschen in landwirtschaftlichen und industriellen Produktionsgenossenschaften, so genannten Phalansteres (genossenschaftlicher Sozialismus).

Auch der britische Unternehmer ROBERT OWEN (1771–1858) warb für die Idee sozialistischer Gemeinschaften als gerecht organisierte Genossenschaften. Er wollte menschenwürdigeren Arbeitsbedingungen praktisch zum Durchbruch verhelfen, indem er eine Art kapitalistisches Musterunternehmen aufbaute und versuchte, Einfluss auf die Politik zu nehmen (Abschaffung der Kinderarbeit, Modell der Arbeiterselbsthilfe, erste Arbeitsschutzgesetze und Sozialversicherungsmaßnahmen).

Der französische Revolutionär FRANÇOIS N. BABEUF (1760–1797) kämpfte für die gerechte Aufteilung von Grund und Boden und die gleiche Verteilung des Ertrages (Sozialisierung der Produktionsmittel), ebenso wie PIERRE JOSEPH PROUDHON (1809–1865), der die bestehende Eigentumsordnung im Kapitalismus radikal kritisierte („Eigentum ist Diebstahl“) und eine gerechtere bzw. gleichmäßigere Verteilung des Produktionseigentums forderte. Wegen seiner grundsätzlichen Kritik an jeglicher Staatsmacht gilt er als Vorläufer des Anarchismus.

Die Denkrichtung des Anarchismus (griech.: „Herrschaftslosigkeit“) entwickelte sich im 19. Jh. als Spielart des Sozialismus. Jegliche Form staatlicher Organisation wurde als Unterdrückung abgelehnt; Ziel ist ein gesellschaftliches Zusammenleben ohne Herrschaft und Autorität, um dem Individuum umfassende Freiheit und Selbstbestimmung zu ermöglichen. Anarchistische Denker zielen auf die vollständige Aufhebung der Herrschaft von Menschen über Menschen; in einer gerechten Gesellschaft sollen an die Stelle der Gesetze von Markt und Staat freie, lokale Vereinbarungen von Individuen treten. Ein bedeutender Vertreter des revolutionären Anarchismus ist der Russe MICHAIL BAKUNIN (1814–1876), der sich für das Modell einer kollektiv organisierten, staats- und klassenlosen Gesellschaft mit gemeinschaftlichem Eigentum (Kollektiveigentum) einsetzte.
 

Marxismus („wissenschaftlicher Sozialismus“)

Die mächtigste Ideenströmung des Sozialismus war der Marxismus, der von den deutschen Philosophen KARL MARX (1818–1883) und FRIEDRICH ENGELS (1820–1895) Ende des 19. Jh. entwickelt wurde und die sozialistischen Ideen zu einer politischen Weltanschauung ausbaute. MARX und ENGELS betrachteten das marxistische Denksystem nicht als Vision einer besseren Welt, sondern als Ergebnis einer wissenschaftlichen Analyse der realen gesellschaftlichen Verhältnisse („wissenschaftlicher Sozialismus“). Als Grundlegung gilt das „Kommunistische Manifest“ (1848), in dem sie die Ideen und Ziele des internationalen Kommunismus darlegen und schließlich zum revolutionären Umsturz der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft aufrufen:

„Die Kommunisten (...) erklären es offen, daß ihre Zwecke nur erreicht werden können durch den gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung. Mögen die herrschenden Klassen vor einer kommunistischen Revolution zittern. Die Proletarier haben nichts in ihr zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen. Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“

Theoretisches Hauptwerk des Marxismus ist „Das Kapital. Zur Kritik der politischen Ökonomie“ (1867–1894) von KARL MARX. Demnach steht das politische, geistige und kulturelle Leben in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft („Überbau“) in enger Wechselbeziehung mit den ökonomischen Verhältnissen („Unterbau“). Ökonomische Ungleichheit führt unmittelbar zu sozialer Ungleichheit und Unterdrückung.

Nach MARX ist der Kapitalismus als Klassengesellschaft durch den grundsätzlichen Widerspruch (strukturellen Antagonismus) zwischen Lohnarbeit und Kapital gekennzeichnet: Die Arbeiter erwirtschaften den ökonomischen Mehrwert (als Differenz zwischen Kosten und Einnahmen), den sich der Besitzer als Profit aneignet (Ausbeutung der Arbeiterklasse).

Da aus marxistischer Sicht alle wesentlichen Konflikte der kapitalistischen Gesellschaft aus den ungerechten Eigentums- und Produktionsverhältnissen resultieren, ist ihre Beseitigung notwendige Voraussetzung, um soziale Gerechtigkeit für alle Menschen zu erreichen. Der bürgerlich-kapitalistische Staat dient nach MARX vorrangig der herrschenden Klasse als Unterdrückungsinstrument, um die (ungerechten) ökonomischen (Macht-)Verhältnisse durch die Monopolisierung der Gewalt zu sichern.

MARX ging von einer historisch zwangsläufigen, krisenhaften Zuspitzung des Klassenkonflikts im Kapitalismus aus (Verelendung des Proletariats, Konzentration des Kapitals, Verschärfung der wirtschaftlichen Krisen), der zur zwangsläufigen Erhebung der Arbeiterklasse, zur „proletarischen Revolution“ gegen die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft führen würde. In dieser Übergangsphase des Sozialismus („Diktatur des Proletariats“) soll das kapitalistische Privateigentum abgeschafft und die auf staatlicher Planung beruhende Produktionsweise ohne Ausbeutung eingeführt werden. Die revolutionäre Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse ist aber nur möglich, wenn das Proletariat die gesellschaftlichen Mechanismen und seine Stellung im Produktionsprozess begreift (politisches Klassenbewusstsein) und sich als politische Kraft international organisiert (Arbeiterbewegung).

In der marxistischen Theorie bezeichnet der Begriff Sozialismus das Übergangsstadium vom Kapitalismus zum Kommunismus (lat.: communaris = gemeinsam) als Vision einer herrschaftsfreien und klassenlosen Gesellschaft, in der soziale Gerechtigkeit und freie Entfaltung jedes Menschen Wirklichkeit werden soll. Während der Staat in der sozialistischen Phase noch als Herrschaftsinstrument zur Umgestaltung der Gesellschaft gebraucht wird, ist er im (vollendeten) Kommunismus unnötig geworden („Absterben des Staates“), da das gesellschaftliche Leben nun ohne Zwang und staatliche Herrschaft möglich ist.

Kernstück des Marxismus ist der „Historische Materialismus“, der die Weltgeschichte als Geschichte von Klassenkämpfen interpretiert; Ursache ist der Widerspruch zwischen den Produktivkräften (menschliche Arbeitskraft und Fertigkeiten, materielle Produktionsmittel) und den Produktionsverhältnissen (Herrschafts-, Rechts- und Eigentumsverhältnisse). Das Ende des Kapitalismus und die sozialistische Übergangsphase zum Endzustand des Kommunismus erscheinen als Ergebnis eines unaufhaltsamen Fortschrittsgesetzes der Geschichte.

Das politisch-philosophische Denksystem des Marxismus beeinflusste fast alle sozialistischen Bewegungen ab der 2. Hälfte des 19. Jh. und wirkte sich als theoretisches Fundament entscheidend auf die Entwicklung der international organisierten Arbeiterbewegung aus. 1864 wurde in London die Internationale Arbeiterassoziation gegründet (Erste Internationale, unter dem Einfluss von KARL MARX), die 1872 durch den Gegensatz zwischen MARX und dem anarchistischen Denker BAKUNIN scheiterte. Für den organisierten Sozialismus (Parteien, Gewerkschaften) war im 19. Jh. auch das Konzept von FERDINAND LASSALLE (1825–1864) sehr bedeutend, der 1863 den „Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein“ gegründet hatte und politische Demokratisierung forderte. LASALLE wollte der Arbeiterklasse nicht durch gewaltsamen Umsturz, sondern – als größter Bevölkerungsgruppe – über das allgemeine Wahlrecht die politische Macht zur Umgestaltung der Gesellschaft verschaffen.

Zwei Rezeptionswege des Marxismus: Revolution – Reform

Um die Jahrhundertwende (19./20. Jh.) war die Entwicklung sozialistischer Theorien gekennzeichnet durch eine Auseinandersetzung über den „richtigen Weg“ zur Verwirklichung der politischen Ziele. Im Ergebnis bildeten sich zwei grundsätzlich verschiedene Denkrichtungen des Sozialismus heraus, die mit unterschiedlichen Auffassungen über das Verhältnis von Freiheit, Gleichheit und Demokratie und mit einer anderen Aufnahme des Marxschen Konzepts verbunden sind:

  1. orthodoxer Marxismus, nach dem eine sozial gerechte, herrschaftsfreie Gesellschaft (Kommunismus) nur durch eine radikale Beseitigung des bürgerlich-kapitalistischen Staates – über eine Revolution – zu verwirklichen ist.
     
  2. demokratischer Sozialismus/Sozialdemokratie, nach dem soziale Gerechtigkeit in humaner Weise nur durch eine schrittweise demokratische Umgestaltung des bürgerlichen Staates – über Reformen – erreicht werden kann.

Als Folge dieser Kontroversen trennten sich zur Zeit des Ersten Weltkrieges die Kommunisten von den Sozialdemokraten, die sich zur parlamentarischen Demokratie bekannten und den Weg der Reform einschlugen.

Orthodoxer Marxismus

Der orthodoxe Marxismus vereint Theoretiker, für die die kommunistische Gesellschaft nur durch eine proletarische Revolution, durch die radikale Beseitigung des bürgerlich-kapitalistischen Staates herbeizuführen („Diktatur des Proletariats“) ist. Ein Hauptvertreter des orthodoxen Marxismus ist W. I. LENIN (1870–1924), der den Marxismus neu interpretierte und zum Marxismus-Leninismus weiterentwickelte, indem er das Denkmodell an die sozialen und politischen Verhältnisse Russlands im frühen 20. Jh. anzupassen versuchte. LENIN verband in seiner Revolutionstheorie die Emanzipation des Proletariats zwingend mit einer kommunistischen Avantgardepartei von Berufsrevolutionären („Partei neuen Typs“), die zunächst stellvertretend die Interessen der Arbeiterklasse vertreten sollte, bis diese das nötige politische Bewusstsein aufweisen würde, um ihre ‚objektiven‘ Interessen selbst erkennen und wahrnehmen zu können (führende Rolle der Kommunistischen Partei). Unter LENINs Führung wurde mit der Oktoberrevolution in Russland 1917 das erste kommunistische Herrschaftssystem entsprechend der marxistisch-leninistischen Ideologie errichtet: Die bürokratisch-zentralisierte Herrschaftsform einer Diktatur (Konzentration der Macht bei einer kleinen Führungsgruppe) wurde mit einer Zentralverwaltungswirtschaft („gesellschaftliches Eigentum an Produktionsmitteln“) verbunden.

Die Theorie des Marxismus-Leninismus wurde Anfang des 20. Jh. für alle Kommunistischen Parteien verbindlich und bildete auch die ideologische Grundlage des sowjetischen Herrschaftssystem, das sich ab 1924 unter JOSEF W. STALIN (1879–1953) zu einer totalitären Diktatur entwickelte. Diese Phase des Stalinismus (1924–1953) hat das Bild des Kommunismus historisch entscheidend geprägt: STALIN formte aus einer revolutionären Theorie (durch Schematisierung und Dogmatisierung) die ideologische Basis seiner unumschränkten Herrschaft. Abgeleitet aus dem konkreten stalinistischen Herrschaftssystem in der Sowjetunion bezeichnet der Begriff Stalinismus allgemein eine totalitär-diktatorische Herrschaftsform mit einem zentralistischen, bürokratischen Machtapparat und inhumanen Herrschaftsmethoden eines Unrechtsstaates (Machtmissbrauch, staatlicher Terror, Repression gegen Andersdenkende, Missachtung von Menschenrechten).

In der Folge des Zweiten Weltkrieges fielen zahlreiche Staaten in Ost-, Südost- und Mitteleuropa nach 1945 in den sowjetischen Machtbereich. Hier erfolgte der Aufbau des Sozialismus nach dem sowjetischen Diktaturmodell unter STALIN. Die Herrschaftssysteme dieser staatssozialistischen Diktaturen (so genannter „real existierender Sozialismus“) wiesen (in verschiedenen Varianten) spezifische Kennzeichen auf:

  • Diktaturen mit einer alleinherrschenden Partei an der Spitze („Diktatur des Proletariats“); straffe Leitung der Gesellschaft mithilfe eines hierarchisch-zentralisierten Bürokratie- und Überwachungsapparates;
  • verbindliche Weltanschauung des Marxismus-Leninismus;
  • Wirtschafts- und Sozialordnung basierend auf Verstaatlichung der Produktionsmittel (zentralisierte staatliche Planwirtschaft);
  • stark eingeschränkte Grundrechte, keine demokratischen Wahlen, Unterdrückung jeglicher Opposition, politische Abhängigkeit der Justiz.

Im Unterschied zu den sowjetisch kontrollierten Staaten versuchten vor allem Jugoslawien und China, sich dem Einfluss der Sowjetunion zu entziehen und einen eigenen Weg zum Kommunismus zu verwirklichen.

Die politische Phase zwischen 1945 und 1980 in Jugoslawien wird als Titoismus bezeichnet, benannt nach der politischen Linie des jugoslawischen Staatsführers JOSIP BROZ TITO (1892–1980), der eine sozialistische Alternative zum Stalinismus errichten wollte:

  • Eine föderative Staatsorganisation räumte den einzelnen Republiken weitreichende Selbstbestimmungsrechte ein,
  • ein System der Arbeiterselbstverwaltung sollte den Arbeitern mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten geben.
  • Außenpolitisch orientierte sich TITO an der Idee der Blockfreiheit (Neutralität im Ost-West-Konflikt) und dem Prinzip der friedlichen Koexistenz gleichberechtiger Staaten.

Dennoch etablierten sich auch in Jugoslawien bürokratisch-autoritäre Strukturen, die jedoch im Vergleich zu den sowjetsozialistischen Staaten offener blieben.

Maoismus bezeichnet die politische Lehre des chinesischen Politikers MAO ZEDONG (1893–1976) und die davon geprägte Gesellschaftsentwicklung in China zwischen 1949 und 1976, in der sich das Land als sozialistische Gesellschaft entfalten („Kulturrevolution“, 1966–1976) und zur wirtschaftlichen und militärischen Großmacht werden sollte. MAO hatte auf der Basis des Marxismus-Leninismus eine neue Theorie der proletarischen Revolution entwickelt, die auf die spezifischen gesellschaftlichen Bedingungen der Dritten Welt, insbesondere Chinas, bezogen war. Träger der Revolution war demnach nicht das städtische Proletariat, sondern die unterdrückte Landbevölkerung, die über einen Guerillakrieg den Volkskrieg und schließlich eine Revolution erzeugen sollte („Diktatur des Proletariats“). MAO erklärte die unterentwickelten Agrarländer zum revolutionären Zentrum, das die Weltrevolution vom Land in die Städte der Industrienationen tragen wird. Die Hauptgedanken MAOs sind im „Roten Buch“ (so genannte „Mao-Bibel“) festgehalten. Die praktische maoistische Politik stürzte das Land in eine Hungersnot und gewaltige Wirtschaftskrisen und führte zur staatlichen Verfolgung und Ermordung vieler Bürger und Intellektueller („Säuberung der Gesellschaft“ von „bürgerlicher Kultur“ und „Klassenfeinden“).

Nach STALINs Tod gab es in den sowjetsozialistischen Staaten Demokratisierungsversuche (1956: Polen, Ungarn; 1968: CSSR), die jedoch von der UdSSR (und z. T. den Warschauer Pakt-Staaten) niedergeschlagen wurden. In Ostmitteleuropa bildeten sich reformkommunistische Strömungen in den Kommunistischen Parteien heraus, die auf die kritische Erneuerung des sowjetischen Staatssozialismus im Innern des Landes zielten (Demokratisierung, Dezentralisierung, Bürgerrechte). So versuchte z. B. der Staats- und Parteichef der tschechischen kommunistischen Partei KPC, ALEXANDER DUBCEK (1921–1992), einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ umzusetzen („Prager Frühling“, 1968). Sein Modell einer sozialistischen Demokratie umfasste z. B.

  • die Abkehr von ideologischem Dogmatismus,
  • die Abschaffung der Zensur sowie
  • Redefreiheit, Demokratisierung und Pluralisierung.

Der tschechische Politiker und Wirtschaftstheoretiker OTA SIK (1919–2004), während des „Prager Frühlings“ für die Wirtschaftsreform zuständig, wurde berühmt für sein Modell des „dritten Wegs“ einer Verbindung von Plan- und Marktwirtschaft (humane Demokratie zwischen Sozialismus und Kapitalismus).

Ab Mitte der 1980er-Jahre wurden durch den sowjetischen Staatschef MICHAIL S. GORBATSCHOW (* 1931) als Führer der kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) tiefgreifende wirtschaftliche und soziale Reformen des Sowjetsozialismus eingeleitet (glasnost und perestroijka), die der Herstellung demokratischer Strukturen, Menschenrechten und Transparenz staatlichen Handelns mehr Bedeutung einräumten. Mit Aufgabe des Führungsanspruchs über die Staaten im sowjetischen Machtbereich brachen zunächst dort, wenig später auch in der Sowjetunion die staatssozialistischen Diktaturen zusammen. Kommunistische Herrschaftssysteme bestehen heute z. B. noch in der VR China, Nord-Korea, Vietnam und Kuba.

Die kommunistischen Parteien Westeuropas (vor allem in Frankreich, Italien, Spanien) nahmen ab Mitte der 1960er-Jahre eine Neubestimmung der politischen Ziele vor (z. B. Verzicht auf „Diktatur des Proletariats“), betonten zunehmend ihre Eigenständigkeit gegenüber Moskau und entwickelten neue politische Konzepte, die den Sozialismus auf parlamentarisch-demokratischem Weg verwirklichen sollten (Eurokommunismus).
In Ablehnung des orthodoxen Marxismus und seiner praktischen Umsetzung im „realen Sozialismus“ sowjetischer Prägung entwickelten Denker des Neomarxismus seit Anfang des 20. Jh. den Marxismus angesichts veränderter gesellschaftlicher Verhältnisse im 20. Jh. kritisch weiter:

Die neomarxistische Kritische Theorie am Frankfurter Institut für Sozialforschung zielte auf die Aufdeckung der subtilen Unterdrückungsmechanismen in bürgerlich-kapitalistischen Systemen. Die Gesellschaft sollte über emanzipatorische Aufklärung (Herrschafts- und Ideologiekritik) und die Erkenntnismöglichkeiten verschiedener Disziplinen (z. B. der Psychoanalyse) verändert werden. Denker dieser so genannten „Frankfurter Schule“ sind MAX HORKHEIMER (1895–1973), THEODOR W. ADORNO (1903–1969), HERBERT MARCUSE (1898–1979), JÜRGEN HABERMAS (* 1929) und AXEL HONNETH (* 1949). Wichtige Beiträge zum Neomarxismus kamen außerdem von GEORG LUKACS (1885–1971), ERNST BLOCH (1885–1977), ANTONIO GRAMSCI (1891–1937) und LOUIS ALTHUSSER (1918–1990).

Sozialdemokratie/demokratischer Sozialismus

Für Denker der Sozialdemokratie/des demokratischen Sozialismus kann das Ziel sozialer Gerechtigkeit in humaner Weise nur über die Reform des bürgerlichen Staates erreicht werden: Freie Wahlen führen zu parlamentarischen Mehrheiten und damit zur politischen Macht, um die Gesellschaft schrittweise umzugestalten. Der sukzessive Veränderungsprozess soll gesetzlich abgesichert, friedlich und demokratisch sein. Gefordert wird eine Verbindung von liberalen Prinzipien (Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte) mit der demokratischen Mitwirkung aller Gesellschaftsmitglieder am sozialen und politischen Leben. Der Wert der Freiheit (Gewährleistung von Grundrechten, freie Entfaltung und Selbstverwirklichung des Einzelnen) wird mit einer solidarischen Gemeinwohlorientierung verbunden. Unterschiede bestehen zwischen den verschiedenen Strömungen vor allem hinsichtlich des ökonomischen Systems (weitgehende Verstaatlichung der Industrie oder soziale Marktwirtschaft).
Vertreter des orthodoxen Marxismus lehnten diese Richtung grundsätzlich ab und bekämpften sie als Abweichung des „Reformismus“ oder „Revisionismus“.

Der Politiker AUGUST BEBEL (1840–1913) war gemeinsam mit WILHELM LIEBKNECHT (1826–1900) maßgeblich an der Gründung der sozialdemokratischen Partei beteiligt und viele Jahre ihr Vorsitzender (1890–1913). Als sozialdemokratischer Abgeordneter im Reichstag (1871) übte er scharfe Kritik an der bismarckschen Politik und forderte die Herstellung politischer Freiheit und ökonomischer Gleichheit. Unter dem Druck des Reichsgesetzes „wider die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ (1878), dem so genannten Sozialistengesetz BISMARCKs, prangerte BEBEL die politische Unterdrückung und Verfolgung Tausender von Sozialdemokraten aufgrund ihrer Gesinnung an. Zudem kämpfte er für das allgemeine und gleiche Wahlrecht – insbesondere auch für die (damals noch nicht wahlberechtigten) Frauen.

Der Sozialdemokrat EDUARD BERNSTEIN (1850–1932), bedeutendster Theoretiker und Begründer des Revisionismus, bewertete zentrale Aussagen des Marxismus neu und forderte die Revision überkommener Doktrinen (z. B. Krisen- und Revolutionstheorie). BERNSTEIN wurde zum Vordenker für den Weg der sozialen Reform (u. a. Forderung nach allgemeinem und freiem Wahlrecht, Demokratisierung, freie Meinungsäußerung, Versammlungsfreiheit, Gleichberechtigung der Frau). In seinem Entwurf des Görlitzer Programms (1921) wurde die demokratisch-sozialistische Reformpolitik der SPD formuliert, die sich zu den Prinzipien der parlamentarischen Demokratie, zu Rechts- und Sozialstaatlichkeit bekannte.

BERNSTEIN und BEBEL befanden sich mit ihrer Haltung in Kontroverse zum linken Flügel der Sozialdemokratie, die z. B. von der marxistischen Politikerin und führenden Theoretikerin ROSA LUXEMBURG (1871–1919) repräsentiert wurde. LUXEMBURG hielt an der Notwendigkeit einer Revolution auf dem Weg zu einer sozialistischen Gesellschaft fest, lehnte aber LENINs Modell von der führenden Rolle der kommunistischen Partei („Avantgarde der Arbeiterklasse“) als diktatorische Herrschaftsform ab. Sie forderte die umfassende Teilhabe des Proletariats am Aufbau des Sozialismus in Form einer Rätedemokratie, um umfassende Volksherrschaft zu erreichen. LUXEMBURG kämpfte auch gegen politische Repression, was in ihrem berühmten Ausspruch „Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden“ (1918) zum Ausdruck kommt.

Der führende Parteitheoretiker der Sozialdemokratie, KARL KAUTSKY (1854–1938), wandte sich als Vertreter des sozialistischen Zentrums sowohl gegen den Revisionismus BERNSTEINs (und dessen Abkehr von den marxistischen Grundpositionen) wie auch gegen den revolutionären Radikalismus LUXEMBURGs und die bürokratisch-diktatorische Herrschaftspraxis der bolschewistischen Führer. KAUTSKY hatte wesentlichen Anteil an der Durchsetzung marxistischer Vorstellungen in der Sozialdemokratie (Erfurter Programm, 1891; Heidelberger Programm, 1925). Er hielt am Ziel der grundlegenden politischen Umwälzung fest, votierte aber für Legalismus, d. h. für legale Mittel der Machteroberung und demokratische Mittel bei der Verwirklichung des Sozialismus.

Die Ideen des demokratischen Sozialismus wurden im 20. Jh. zum Kernbestand aller sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien in den wohlfahrtsstaatlichen Demokratien Europas und Nordamerikas. Im Jahr 1951 gründeten 34 Parteien die Sozialistische Internationale (SI); deren Präsident war von 1976–1992 der sozialdemokratische Politiker der Bundesrepublik Deutschland, WILLY BRANDT (1913–1992).
Nach 1945 wurde die Sozialdemokratie in der Bundesrepublik Deutschland von der SPD (Sozialdemokratische Partei Deutschlands) vertreten, die seit dem Godesberger Programm (1959) marxistische Grundpositionen aufgegeben hat und im Rahmen eines demokratischen Sozialismus für soziale Marktwirtschaft eintritt. Ziel ist nicht mehr sozialistische Vergesellschaftung der Wirtschaft, sondern die Überwindung der Mängel des Kapitalismus durch demokratische Beteiligung der Bürger und sozial- und rechtsstaatliche Regelungen.

Die PDS (Partei des demokratischen Sozialismus) ging nach der deutschen Vereinigung 1989/90 aus der SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) hervor, die in der DDR-Diktatur auf marxistisch-leninistischer Basis den Staat beherrschte. 2005 konstituierte sich die politische Partei WASG (Arbeit und soziale Gerechtigkeit – Die Wahlalternative) aus kritischen Mitgliedern der SPD und Gewerkschaften. 2007 erfolgte die Vereinigung von PDS und WASG zur Partei Die Linke, die sich zum sogenannten "demokratischen Sozialismus" bekennt.

Angesichts der Krisenerscheinungen wohlfahrtsstaatlicher Industriegesellschaften (Überforderung der Sozialsysteme, Grenzen staatlicher Steuerung, ökologische Krise, Individualisierung) zielen Theoretiker des Dritten Weges auf eine Reformierung der Sozialdemokratie: Nicht mehr vorrangig sozialstaatliche Politik, sondern eine Verbindung von Marktwirtschaft, Zivilgesellschaft und gemeinsamen Werten soll zu sozialer Sicherheit und Gerechtigkeit führen.

Das Ziel sozialer Gerechtigkeit wird mit der Idee einer selbstverantwortlichen Zivilgesellschaft verbunden (Individuum hat Eigenverantwortung, Rechte und Pflichten), partiell werden auch liberale Prinzipien (kapitalistische Marktwirtschaft) und konservative Elemente (Bewahren sozialer Werte und Sicherheiten) aufgenommen.

Der deutsche Politikwissenschaftler OSSIP K. FLECHTHEIM (1909–1998) engagierte sich für eine humane, ökologische und soziale Demokratie und propagierte das Konzept eines „Dritten Wegs“ als eine „neue Synthese von Freiheit und Gleichheit, von nationaler Selbstbestimmung und universeller Kooperation, von Liberalismus, Sozialismus und Pazifismus“ (1975). Seit Ende der 1990er-Jahre wurde der „Dritte Weg“ ein verbreitetes Postulat sozialdemokratischer Regierungsparteien in Europa („Politik der Neuen Mitte“), z. B. bei der New Labour Party in Großbritannien unter Premierminister TONY BLAIR (* 1953). Ein wichtiger Vertreter dieser Denkrichtung ist ANTHONY GIDDENS (* 1938), der mit seinem Buch „The Third Way“ (1998) zur Modernisierung der europäischen Sozialdemokratie beitragen wollte.

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