Architektur des Klassizismus

Entwicklung des Klassizismus

Anstöße für die wissenschaftliche Erforschung der antiken Kunst und Architektur gaben die Ausgrabungen von Herculaneum (ab 1738) und Pompeji (ab 1748) sowie die Schriften des Grafen ANNE CLAUDE PHILIPPE CAYLUS („Recueil d'antiquités ...“, 1752–1757) und vor allem JOHANN JOACHIM WINCKELMANNs („Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst “, 1755; „Geschichte der Kunst des Altertums“, 1764).

Der Wörlitzer Park – eine Art Kulturlandschaft

Die ersten Gebäude mit diesem Charakter wurden in England errichtet mit dem Landsitz von WILIAM CHAMBERS und den Landsitzen der Brüder ROBERT und JAMES ADAM.

Von dort kamen Fürst LEOPOLD III. FRIEDRICH FRANZ VON ANHALT-DESSAU (1740–1817) auch die Anregungen, auf seinem Landgut in Wörlitz ähnliche Gebäude zu errichten, eine Art „Kulturlandschaft“ zu entwickeln. Sein Chefarchitekt war der geniale FRIEDRICH WILHELM VON ERDMANNSDORFF (1736–1800).

Mit dem „Neuen Haus“ entstand hier 1769–1773 eines der frühesten Meisterwerke des deutschen Klassizismus: Ein schlichter, hell verputzter Kubus mit 11 x 7 Fensterachsen und zwei Obergeschossen, dem ein über einer Freitreppe sich erhebender antikisierender Portikus mit vier korinthischen Säulen vorangestellt ist. Im Erdgeschoss befindet sich ein an das römische Pantheon erinnernder Kuppelsaal, darüber ein innerer Lichthof.

Im umgebenden Park entstanden weitere Gebäude, teils in klassizistischem Habitus, teils auch in anderen Stilen: ein palladianischer Gartentempel („Englischer Sitz“), ein „Nymphäum“, zwei rustikale Pavillons, die der Aufnahme der ethnografischen Sammlung und der Bibliothek des Fürsten dienten, ein „Flora-Tempel“, ein „Pantheon“, eine „Synagoge“, eine Brücke aus Eisen, 1771 (ein Vorläufer der ersten Brücke aus Gusseisen von 1777–1779, sie führt über den Severn bei Coalbrookdale in England), das „Gotische Haus“ u. a. – ein frühes und umfassendes Beispiel für das Bauen des Historismus in Deutschland. Eingebettet sind die Wörlitzer Architekturen in einen Landschaftspark, ebenfalls nach britischem Vorbild.

Landschaftsgärten sind eine englische Erfindung; der erste wurde in der Mitte des 18. Jahrhunderts in Stourhead angelegt. Sie simulieren kleine Landschaften mit gewundenen Wegen, Hügeln, Teichen mit natürlichem Umriss – ganz anders als die über geometrischem Grundriss entworfenen französischen Schlossgärten vom Typ Versailles.

Verbreitung des Klassizismus und einige Beispiele

Der Klassizismus verbreitete sich seit etwa der Mitte des 18. Jahrhunderts nicht nur in ganz Europa, sondern auch in Amerika. Er hielt sich, getragen auch von Ideen der Romantik, bis etwa in die Mitte des 19. Jahrhunderts.

In Deutschland entstanden bedeutende klassizistische Gebäude, Ensembles und Stadtanlagen: in Berlin (Architekten: LANGHANS und SCHINKEL), in Karlsruhe (WEINBRENNER), München (KLENZE) und bei Regensburg (KLENZE).

Hier wirken sich die intensiven antiquarischen Forschungen der vorangegangenen Jahrzehnte aus und die Ausgrabungen antiker Stätten in Griechenland und in Italien. Wenn es auch den Anschein hat, als handle es sich um Stilkopien, so sind es doch eigentlich Interpretationen. Ein Gebäude wie das Neue Haus in Wörlitz z. B. hat es in der Antike nicht gegeben.

Das Brandenburger Tor (1788–1791) in Berlin zitiert das Eingangsportal zur Akropolis in Athen, die sogenannten Propyläen. Aber als GOTTHARD LANGHANS (1732–1808) es entwarf, waren die Ausgrabungen in Athen nicht so weit fortgeschritten, dass man hätte entscheiden können, wie der obere Abschluss ursprünglich ausgesehen hatte. LANGHANS folgte dem Rekonstruktionsvorschlag englischer Ausgräber und setzte über seine dorische Säulenreihe eine rechteckige Attika. Es hätte ein griechischer Dreiecksgiebel sein müssen.

Hauptmotiv der klasssizistischen Gebäude ist in der Regel eine antikisierende Tempelfront, deren plastische Säulenstellungen kontrastierend abgesetzt sind von den sie begleitenden Mauerflächen mit ihren einfachen Fensterreihen – nichts pompös, alles voll Würde und Einfachheit.

So dienten griechische Tempel und Tempelfassaden als Vorbilder für den Umbau der Kirche Saint-Madeleine in Paris (1806–1842), von PIERRE VIGNON (1763–1828), für das Alte Museum (1822–1830) in Berlin von KARL FRIEDRICH SCHINKEL (1781–1841), das British Museum (1823–1847) in London von ROBERT SMIRKE (1780–1867) sowie das Custom House in Boston (1804) von AMMI BURNHAM YOUNG (1798–1874).

Auch der französische Architekt JEAN-FRANÇOIS-THÉRÈSE CHALGRIN (1739–1811) ließ sich bei seinem Plan für den Arc de Triomphe von der hellenistischen Architektur inspirieren.

Als vorbildliche Stadtanlage entstand in Deutschland im letzten Jahrhundertviertel das neue Kassel mit Museum Fridericianum, 1769–1779 von SIMON LOUIS DU RY (1726–1799).

Noch stärker der Antike verpflichtet fühlte sich die zweite Phase des Klassizismus, die um 1800 mit einer Anzahl städtebaulicher Projekte einsetzte.

Größere Stadterweiterungen mit jeweils einheitlich gestalteten Bebauungen finden wir in:

  • London durch JOHN NASH (1752–1835),
  • München/Regensburg durch LEO VON KLENZE
    (1784–1864), z. B. Walhalla in Regensburg (1830–1841),
  • Karlsruhe durch FRIEDRICH WEINBRENNER (1766–1826),
  • Sankt Petersburg (Admiralität) durch ANDREJAN SACHAROW (1761–1811),
  • Washington (D. C.) durch PIERRE L'ENFANT (1754–1825).

Ab 1820 lassen sich aufgrund der Übernahme von Formelementen der italienischen Renaissance erste historische Tendenzen erkennen, die den Klassizismus nur schwer gegen die Neurenaissance abgrenzen lassen. Der Nachweis der Polychromie (Vielfarbigkeit) griechischer Tempel durch IGNAZ HITTORF (1792–1867, er gestaltete u. a. die Champs-Élysées) führte zu einer verstärkten Farbigkeit in der Architektur, die besonders durch verschiedenfarbige Materialien erreicht wurde und dem Stil eine romantische Note gab. Die wichtigsten Vertreter dieser Zeit sind:

  • GOTTFRIED SEMPER (1803–1879) in Dresden (Dresdner Opernhaus 1838–1841),
  • FRIEDRICH VON GÄRTNER (1792–1847) in München (Gestaltung der Ludwigstraße),
  • FREDERIK HASDORFF (1735–1799, erbaute u. a. die Kolonnade am Schlossplatz von Amalienborg) und die Brüder CHRISTIAN (1803–1883) und THEOPHIL HANSEN (1813–1891) in Kopenhagen, Athen und Wien,
  • GEORG LAVES (1788–1864) in Hannover (Villen, Palais, Garten- und Wohnhäuser; Hauptwerk = Opernhaus/Neurenaissance) und
  • CHARLES ROBERT COCKERELL (1788–1863) in England (u. a. Fitzwilliam Museum in Cambridge und das Taylor Instute in Oxford).

Großenteils handelt es sich hier um Gebäude für vor dem 19. Jahrhundert noch unbekannte Zwecke: das Museum, das bürgerliche Theater, die Ruhmeshalle (als architektonisches Denkmal).

Aber bald kamen auf die Architekten weitere, bisher ungekannte Bauaufgaben hinzu: Bahnhöfe, Bibliotheken, Parlamente, Justizpaläste, Markt- und Ausstellungshallen, Fabriken, Warenhäuser, Wolkenkratzer, Brücken von unerhörter Spannweite. Schon wegen ihrer enormen Größe, wegen der damit zusammenhängenden Schwierigkeiten der Konstruktion, auch aber ihrer ästhetischen Herausforderungen wegen stellten sie die Architekten vor unlösbar scheinende Probleme. Aber sie wurden bewältigt.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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